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16.07.2021
Indirekte Steuern/Zoll

BMF: Keine Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft durch Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung unter Bestellung eines vorläufigen Sachwalters

Keineswegs jeder Insolvenzantrag, jedwede Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, eine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eines Mitglieds eines umsatzsteuerlichen Organkreises führt auch zum Ende der Organschaft. Besonderheiten, die u.a. in Folge der Covid-Pandemie gelten, wie das Zusammenspiel von Insolvenzordnung, SanInsFoG, COVInsAG und Umsatzsteuer sind zu beachten.

Hintergrund

 Die Schnittstelle zwischen Insolvenzrecht und Umsatzsteuerrecht ist Gegenstand einer Vielzahl von gerichtlichen Entscheidungen (vgl. ua. BFH Urt. v. 15.12.2016, V R 14/16; BFH Urt. v. 08.08.2013, V R 18/13), da die Auswirkungen eines Insolvenzverfahrens auf die Umsatzsteuer weder in der Insolvenzordnung noch im Umsatzsteuergesetz ausdrücklich geregelt sind. Neben den Fragen der insolvenzrechtlichen Zuordnung der Umsatzsteuer zu Insolvenzforderungen oder zur bevorrechtigt zu befriedigenden Masseverbindlichkeit geht es in den Entscheidungen auch um die Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft durch die Insolvenz von Organgesellschaft, Organträger oder gar beiden Unternehmen. Ob die Organschaft durch die Insolvenz beendet wird, weil ihre materiell-rechtlichen Voraussetzungen nicht mehr vorliegen, hängt maßgeblich davon ab, in welchem Verfahren bzw. Verfahrensabschnitt sich die Insolvenz des jeweiligen Schuldners befindet. So bestehen wesentliche Unterschiede zwischen der vorläufigen Eigenverwaltung, zum eröffneten Verfahren der Eigenverwaltung und zum vorläufigen Insolvenzverfahren – die insolvenzrechtlichen Unterschiede wirken sich dabei unterschiedlich auf den Bestand der umsatzsteuerlichen Organschaft aus. Aktuell hat sich das BMF mit zwei Schreiben dazu geäußert, ob die vorläufige Eigenverwaltung zur Beendigung der Organschaft führt (Schreiben v. 04.03.2021 und v. 22.06.2021). Zum besseren Verständnis wird kurz auf die einzelnen insolvenzrechtlichen Verfahren bzw. Verfahrensabschnitte und deren Auswirkungen auf die umsatzsteuerliche Organschaft eingegangen.

Eröffnung des Insolvenzverfahrens und vorläufige Insolvenzverwaltung

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die vorläufige Insolvenzverwaltung führen grundsätzlich zur Beendigung Organschaft. Die vom V. Senat entwickelten Grundsätze beziehen sich auf Fälle, in denen das Insolvenzverfahren bereits eröffnet war (sowohl in Fremd- als auch in Eigenverwaltung) sowie Fallgestaltungen, in denen es um die vorläufige Insolvenzverwaltung ging. Für sämtliche der vorgelegten Sachverhalte stellte der V. Senat die Beendigung der Organschaft fest. 

  • Aus Sicht der Organgesellschaft
    Wird das Insolvenzverfahren über die Organgesellschaft eröffnet, endet ihre Eingliederung in den Organträger. Denn die Verwaltungs- und Verfügungsmacht geht spätestens zu diesem Zeitpunkt auf den Insolvenzverwalter über, so dass der Organträger keine Möglichkeit mehr hat, sich durchzusetzen (das Merkmal der organisatorische Eingliederung entfällt). Diese Möglichkeit hat der Organträger auch dann nicht, wenn das Insolvenzgericht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Organgesellschaft die Eigenverwaltung anordnet. Denn statt des Organträgers obliegt es bei der Eigenverwaltung dem Sachwalter, die Geschäfte zu überwachen. Zwar ist der Schuldner und damit die Organgesellschaft berechtigt, unter der Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen. Die für die Organschaft erforderliche Eingliederung mit Durchgriffsmöglichkeit entfällt gleichwohl (das Merkmal der finanziellen Eingliederung). Denn ist der Schuldner eine juristische Person, haben Aufsichtsrat, Gesellschafterversammlung oder entsprechende Organe keinen Einfluss mehr auf die Geschäftsführung des Schuldners. Die Organschaft endet, weil ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. 
  • Aus Sicht der Organträgerin
    Wird hingegen über das Vermögen der Organträgerin das Insolvenzverfahren eröffnet, endet die Organschaft, weil es kein einheitliches Insolvenzverfahren für den gesamten Organkreis gibt. Die Insolvenz des herrschenden Unternehmers erstreckt sich nur auf sein Vermögen. Die insolvenzrechtliche Trennung (Trennungsgrundsatz/Einzelverfahrensgrundsatz) bewirkt, dass nur die eigene Umsatztätigkeit und der dadurch entstehende Umsatzsteueranspruch des herrschenden Unternehmers und Organträgers zu Masseverbindlichkeiten führen.

Vorläufige Eigenverwaltung

Während die Organschaft endet, wenn das Insolvenzgericht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Eigenverwaltung anordnet, gilt etwas anderes im Rahmen des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens. Für die Fälle der vorläufigen Eigenverwaltung beim Organträger bzw. bei der Organgesellschaft entschied der XI. Senat (Urt. v. 27.11.2019, XI R 35/17), dass weder die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung beim Organträger noch eine solche bei der Organgesellschaft eine Organschaft beenden, wenn das Insolvenzgericht lediglich bestimmt, dass ein vorläufiger Sachwalter bestellt wird und eine insolvenzrechtliche Anordnung erlässt. Der Unterschied zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung besteht darin, dass im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren dem Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen zusteht. Der Schuldner handelt im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung aufgrund seiner eigenen, privatautonomen Verfügungsmacht (so auch der BGH, BGHZ 220, 243). Damit handelt der Schuldner, auch im Unterschied zum vorläufigen Insolvenzverfahren, völlig autonom. Im Rahmen des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens ist auch unschädlich, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis der entsprechenden Organe in der Krise gesetzlichen Einschränkungen unterliegt. Auswirkungen hat eine Beschränkung der Organkompetenz durch die Insolvenzordnung erst dann, wenn sie auf eine andere Person (Sachwalter) übergeht und damit endet. Die Organschaft wird im Rahmen des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens folglich nicht durch den Wegfall der Voraussetzungen der organisatorischen oder finanziellen Eingliederung beendet.

Aktuelle BMF-Schreiben

 Mit Schreiben v. 04.03.2021 schließt sich das BMF der Rechtsprechung des XI. Senats an (Schreiben v. 04.03.2021) und nimmt oben besprochenes Urteil (BFH Urt. v. 27.11.2019, XI R 35/17) in den Anwendungserlass auf. Für die Finanzverwaltung gilt danach: Weder die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung beim Organträger noch die bei der Organgesellschaft beenden eine Organschaft, wenn das Insolvenzgericht lediglich bestimmt, dass ein vorläufiger Sachwalter bestellt wird, sowie anordnet, dass Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagt oder einzustellen sind, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind. Das zweite BMF-Schreiben vom 22.06.2021 bezieht sich lediglich auf den Anwendungszeitpunkt der neuen Verwaltungsanweisung.

Anwendungszeitpunkte des Schreibens und Berücksichtigung von gesetzlichen Änderungen

 Im Hinblick auf den Anwendungszeitpunkt ist das zweite BMF-Schreiben (v. 22.06.2021) hinzuziehen, da es, im Gegensatz zum ersten Schreiben, die Änderungen der Insolvenzordnung sowie die Auswirkungen des Covid-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes berücksichtigt. Danach gilt folgendes: Das BMF-Schreiben vom 04.03.21 ist in allen offenen Fällen anzuwenden, ausgenommen davon sind die vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren, die nach dem 31.12.2020 angeordnet wurden, es sei denn, diese fallen unter den Anwendungsbereich des Covid-Insolvenzaussetzungsgesetzes. Das ist der Fall, wenn die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners auf die Covid-19 Pandemie zurückzuführen ist.

Anmerkung

Die Aufnahme des Urteils in den Anwendungserlass der Finanzverwaltung ist aus Sicht der Unternehmen zu begrüßen, da es im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren bei der Eingliederung des Unternehmens bleibt und die Organschaft damit fortbestehen kann. Eine Überprüfung des Fortbestands der Organschaft ist und bleibt aber im Einzelfall unerlässlich. Auch aus fiskalischer Sicht ist das Urteil ein Gewinn. Denn in den Fällen, in denen die Umsatzsteuerverbindlichkeit de lege lata nicht als zu bevorrechtigt zu befriedigende Masseverbindlichkeit eingestuft werden kann, wie im vorliegenden Fall des XI. Senats, ist der fiskalische Anspruch im Rahmen der (fort-)bestehenden Organschaft gesichert: Für die Verbindlichkeiten der Organgesellschaft kommt der Organträger als Steuerschuldner auf; umgekehrt, haftet die Organgesellschaft nach § 73 AO nicht nur für die von ihr verursachten Steuerschulden, sondern kann auch für die originären Steuerschulden des Organträgers in Anspruch genommen werden. In allen weiteren Fällen, in denen das Insolvenzverfahren bereits eröffnet ist (sowohl in Fremd- als auch in Eigenverwaltung), sowie in den Fällen der vorläufigen Insolvenzverwaltung, ist die Umsatzsteuerverbindlichkeit stets Masseverbindlichkeit (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO; zur starken vorläufigen Insolvenzverwaltung § 55 Abs. 2 InsO; zum schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt § 55 Abs. 4 InsO) und der Fiskus damit bevorrechtigter Gläubiger.

Für den Rechtsanwender irritierend sind die durch zwei verschiedene BMF-Schreiben vorgeschriebenen Anwendungszeitpunkte. Es drängt sich unweigerlich die Frage auf, warum nicht bereits im ersten BMF-Schreiben die Änderungen der Insolvenzordnung durch das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz sowie die durch das Covid-19-Insolvenzaussetzungsgesetz berücksichtigt wurden, sondern dies erst drei Monate später im Rahmen eines zweiten Schreibens nachgeholt wird.

Betroffene Normen

​§§ 21; 270 ff, 276a InsO; § 2 UStG

Fundstellen

BMF, Schreiben vom 22.06.2021, III C2- S7105/20/10001 :001 
BMF, Schreiben vom 04.03.2021, III C2- S7105/20/10001 :001 

Ihre Ansprechpartner

Dr. Ulrich Grünwald
Partner

ugruenwald@deloitte.de
Tel.: +49 30 25468 258

Dr. Diana-C. Kurtz
Senior Manager

dkurtz@deloitte.de
Tel.: +49 89 29036 8025

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