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12.05.2022
Indirekte Steuern/Zoll

BMF: Direktanspruch in der Umsatzsteuer

Unter welchen Voraussetzungen kann ein Leistungsempfänger die Erstattung einer rechtsgrundlos an den Leistenden gezahlten Umsatzsteuer vom Finanzamt verlangen? Mit Schreiben vom 12.04.2022 gibt das BMF seine Rechtsauffassung zum Direktanspruch bekannt.

Hintergrund

Weist der leistende Unternehmer unzutreffend Umsatzsteuer in einer Rechnung aus und zahlt der Leistungsempfänger an ihn den Umsatzsteuerbetrag, ist der Leistungsempfänger nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Für den Leistungsempfänger stellt sich die Frage, wie er die Umsatzsteuer, die er an den leistenden Unternehmer bezahlt hat, zurückerhält, wenn ihm die Durchsetzung des zivilrechtlichen Anspruchs beispielsweise bei Zahlungsunfähigkeit des leistenden Unternehmers unmöglich ist.

In der Rechtsache Reemtsma hat der EuGH entschieden, dass ein Leistungsempfänger, der eine gesetzlich nicht entstandene, aber in einer Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer bezahlt hat, die Rückerstattung unmittelbar vom Finanzamt verlangen kann, wenn die Durchsetzung des zivilrechtlichen Erstattungsanspruchs gegen den Leistenden unmöglich oder übermäßig erschwert ist (EuGH, Urt. v. 15.03.2007, C-35/05, Reemtsma). Die Durchsetzung des zivilrechtlichen Erstattungsanspruchs ist insbesondere dann unmöglich, wenn der leistende Unternehmer zahlungsunfähig ist (EuGH, Urt. v. 15.03.2007, C-35/05, Reemtsma, Rz. 41). Nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie obliegt es den Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen die Rückzahlung der rechtsgrundlos gezahlten Steuer erfolgen kann (EuGH, Urt. v. 15.03.2007, C-35/05, Reemtsma, Rz. 40 f.). Die von den Mitgliedstaaten zu bestimmenden Verfahrensmodalitäten müssen dabei den Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität entsprechen (EuGH, Urt. v. 15.03.2007, C-35/05, Reemtsma, Rz. 37). 

Der BFH hat sich der Rechtsprechung des EuGH angeschlossen (u.a. BFH, Urt. v. 30.06.2015, VII R 30/14, VII R 42/14). Ergänzend zur Auffassung des EuGH (EuGH, Urt. v. 31.05.2018, C-660/16 und C-661/16, Kollroß und Wirtl) ist der Anwendungsbereich des Direktanspruchs nach dem BFH jedoch nur dann eröffnet, wenn der Rechnungsaussteller tatsächlich eine Leistung an den Rechnungsempfänger erbracht hat, für die er die Umsatzsteuer in der Rechnung zu Unrecht ausgewiesen hat (BFH, Urt. v. 22.08.2019, V R 50/16). Liegt keine Leistung vor, lehnt der BFH den Direktanspruch ab (BFH, Beschl. v. 25.06.2020, V B 88/19). Darüber hinaus ist höchstrichterlich bislang nicht geklärt, in welchen Fällen von der Zahlungsunfähigkeit des leistenden Unternehmers auszugehen ist. 

Der Direktanspruch ist vom Leistungsempfänger bei dem für ihn zuständigen Finanzamt geltend zu machen (BFH, Urt. v. 30.06.2015, VII R 30/14 und VII R 42/14). Über den Direktanspruch ist nach gefestigter BFH-Rechtsprechung im Rahmen des vom Festsetzungsverfahren zu unterscheidenden Billigkeitsverfahren nach §§ 163, 227 AO zu entscheiden (BFH, Urt. v. 30.06.2015, VII R 30/14, VII R 42/14; BFH, Urt. v. 24.04.2013, XI R 9/11; BFH, Beschl. v. 05.01.2021, XI S 20/20). Der Direktanspruch lässt sich nicht auf § 37 Abs. 2 AO stützen (BFH, Urt. v. 10.12.2020, V R 7/20).

Für den Leistungsempfänger war der Verweis auf den Billigkeitsweg bislang mit Rechtsunsicherheit verbunden, da die Rechtsprechung des EuGH und BFH im UStAE nicht umgesetzt war.

Verwaltungsanweisung

Nachdem die Rechtsprechung zum unmittelbaren Anspruch des Leistungsempfängers gegen den Fiskus immer wieder Anlass umsatzsteuerrechtlicher Diskussionen war, positioniert sich das BMF 15 Jahre nach dem Reemtsma-Urteil erstmals zum Direktanspruch in der Umsatzsteuer. Der Umsatzsteuer-Anwendungserlass wird mit der Einfügung des Abschn. 15.11 Abs. 8 UStAE entsprechend geändert.

Zuständigkeit

Über den Direktanspruch entscheidet das Finanzamt, das für die Umsatzsteuerfestsetzung des Leistungsempfängers zuständig ist.

Billigkeitsverfahren

Das Finanzamt entscheidet über den Direktanspruch im Billigkeitsverfahren nach §§ 163, 227 AO.

Subsidiarität

Der Leistungsempfänger hat seinen Anspruch auf Erstattung einer unzutreffend in Rechnung gestellten und rechtsgrundlos gezahlten Umsatzsteuer zunächst zivilrechtlich gegenüber dem Leistenden geltend zu machen.

 Der Direktanspruch kommt nur nachrangig gegenüber dem Verfahren zur Steuerberichtigung nach § 14c Abs. 1 UStG in Betracht. Es kann nicht über einen geltend gemachten Direktanspruch entschieden werden, solange die Inanspruchnahme des Fiskus durch den Leistenden aufgrund einer Berichtigung des Steuerbetrages nach § 14c Abs. 1 Sätze 2 und 3 UStG rechtlich möglich ist.

Akzessorietät

Ist der bereicherungsrechtliche Anspruch des Leistungsempfängers gegen den Leistenden aufgrund der zivilrechtlichen Verjährung nicht mehr durchsetzbar, kommt ein Direktanspruch gegen den Fiskus nicht in Betracht.

Voraussetzungen

Der Leistungsempfänger muss nachweisen, dass der zivilrechtliche Anspruch gegen den Leistenden besteht und es unmöglich oder übermäßig erschwert ist, die Erstattung der irrtümlich in Rechnung gestellten und rechtsgrundlos gezahlten Umsatzsteuer vom Leistenden zu erlangen. Der leistende Unternehmer muss die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer an die Steuerbehörden gezahlt haben.

 Der Direktanspruch setzt weiterhin voraus, dass der Rechnungsaussteller tatsächlich eine Leistung erbracht hat, für die mangels Steuerbarkeit oder aufgrund einer Steuerfreiheit oder Steuersatzermäßigung die in der Rechnung ausgewiesene Steuer gesetzlich nicht entstanden ist. Im Fall der Anzahlungsrechnung muss der Leistungswille des Rechnungsausstellers zweifelsfrei feststehen.

Zudem müssen die übrigen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs erfüllt sein. Die Rechnung muss, abgesehen vom Steuerausweis, den umsatzsteuerrechtlichen Anforderungen genügen. Die Ausschlussgründe nach § 15 Abs. 2 bis 4 UStG sind für das Entstehen des Direktanspruchs unbeachtlich, da der Leistungsempfänger bei einer ordnungsgemäßen Rechnungsstellung nicht mit Umsatzsteuer belastet gewesen wäre.

Ausschluss

Der Direktanspruch scheidet aus, wenn der Steuerbetrag aufgrund einer Rechnungsberichtigung an den Leistenden zurückgezahlt wurde. Der Direktanspruch kann auch nicht entstehen, wenn der Leistende die Umsatzsteuer nicht angemeldet hat. Ebenso kommt der Direktanspruch nicht in Betracht, soweit der Leistende im Fall einer Erklärung der Umsätze Vorsteuerbeträge aus Rechnungen Dritter abzieht, denen keine Leistungen zugrunde lagen. Sofern der Leistungsempfänger wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Leistungsbezug an einem Umsatz im Sinne von § 25f UStG beteiligt, scheidet der Direktanspruch ebenfalls aus. 

Anmerkung

Die Ausführungen des BMF zu den Voraussetzungen des Direktanspruchs und zur verfahrensrechtlichen Durchsetzung tragen zur Rechtssicherheit bei.

Im Einklang mit der Rechtsprechung geht das BMF davon aus, dass der Direktanspruch nur entstehen kann, wenn der Rechnungsaussteller tatsächlich eine Leistung erbracht hat oder im Fall einer Anzahlungsrechnung zweifelsfrei erbringen wollte, für die mangels Steuerbarkeit oder aufgrund einer Steuerfreiheit oder Steuersatzermäßigung die in der Rechnung ausgewiesene Steuer nicht gesetzlich entstanden ist (vgl. BFH, Urt. v. 22.08.2019, V R 50/16). In Fällen des § 14c Abs. 2 UStG kommt ein Direktanspruch daher nicht in Betracht.

Bei der Geltendmachung des Direktanspruchs ist nach der Auffassung der Finanzverwaltung aufgrund der angenommenen Akzessorietät des Direktanspruchs die Verjährung des bereicherungsrechtlichen Anspruchs zu beachten.

Die Voraussetzung der unmöglichen oder übermäßig erschwerten Erstattung wird von der Finanzverwaltung restriktiv ausgelegt. Nach Verwaltungsauffassung liegt eine unmögliche oder übermäßig erschwerte Erstattung regelmäßig nur im Fall eines mangels Masse abgelehnten Insolvenzantrages über das Vermögen des Leistenden vor. Zahlungsunfähigkeit i.S.d InsO ist nicht ausreichend.

Soweit das BMF ausführt, dass das Mitverschulden des Leistungsempfängers bei der Billigkeitsentscheidung über den Direktanspruch zu berücksichtigen ist, bleibt offen, in welchen Fällen ein Mitverschulden des Leistungsempfängers anzunehmen ist. Im Einzelfall kann das dem Finanzamt des Leistungsempfängers eingeräumte Ermessen auf Null reduziert sein, wenn die vom EuGH formulierten Voraussetzungen des Direktanspruchs vorliegen (vgl. BFH, Urt. v. 30.06.2015, VII R 30/14, Rz. 27).

Betroffene Normen

​§§ 163, 227 AO

Fundstelle

BMF, Schreiben vom 12.04.2022, III C 2 - S 7358/20/10001 :004

Ihre Ansprechpartner

Dr. Ulrich Grünwald
Partner

ugruenwald@deloitte.de
Tel.: +49 30 25468 258

Dr. Diana-C. Kurtz
Senior Manager

dkurtz@deloitte.de
Tel.: +49 89 29036 8025

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