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30.03.2022
Indirekte Steuern/Zoll

BFH: Restriktiver Unterrichtsbegriff des EuGH

​Leistungen einer privaten Schwimmschule sind nicht mehr umsatzsteuerfrei. Der BFH ändert seine Rechtsprechung und schließt sich dem engen Begriffsverständnis des EuGH an. Die Entscheidung hat Auswirkungen auf alle Bildungsanbieter.

Hintergrund

Bis zur EuGH-Entscheidung in der Rechtsache A & G Fahrschul-Akademie (EuGH, Urt. v. 14.03.2019, C-449/17, A & G Fahrschul-Akademie) legten der EuGH und der BFH die Steuerbefreiungen für Bildungsleistungen extensiv aus. Sämtliche Unterrichtsleistungen waren erfasst, die nicht der bloßen Freizeitgestaltung dienten (EuGH, Urt. v. 14.06.2007, C-445/05, Haderer, Rz. 26; EuGH, Urt. v. 28.01.2010, C-473/08, Eulitz, Rz. 29; BFH, Urt. v. 05.06.2014, V R 19/13; BFH, Urt. v. 24.01.2008, V R 3/05). Das vom EuGH nicht näher definierte Abgrenzungskriterium der reinen Freizeitgestaltung konkretisierte der BFH dahingehend, dass ein hohes Gemeinwohlinteresse die Annahme der Freizeitgestaltung widerlegt (BFH, Urt. v. 05.06.2014, V R 19/13; BFH, Beschl. v. 07.01.2015, V B 102/14).

 In der Fahrschulentscheidung legte der EuGH dann eine enge Definition des Schul- und Hochschulunterrichts zugrunde. Schul- und Hochschulunterricht setzt nach dem EuGH ein integriertes System der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen sowie die Vertiefung und Entwicklung dieser Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Schüler und Studierenden je nach Fortschritt und Spezialisierung voraus (EuGH, Urt. v. 14.03.2019, A & G Fahrschul-Akademie, C-449/17, Rz. 26).

Aufgrund des neuen restriktiven Unterrichtsbegriffs des EuGH zweifelte der BFH in der Rechtssache Dubrovin & Tröger – Aquatics daran, ob er an seiner bisherigen Rechtsprechung zum umsatzsteuerfreien, von Privatlehren erteilten Schwimmunterricht (BFH, EuGH-Vorlage v. 27.03.2019, V R 32/18) festhalten kann. Mit Urteil vom 21.10.2021 C-373/19) verneinte der EuGH die Steuerbefreiung für den von der Klägerin durchgeführten Schwimmunterricht für Kinder, da er nicht dem strengeren Begriffsverständnis des Schul- und Hochschulunterrichts (Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL) entspricht. In der vorliegenden Nachfolgeentscheidung folgt der BFH dem EuGH und verneint die Anwendung der Steuerbefreiung für Schwimmunterricht (BFH, Urt. v. 16.12.2021, V R 31/21).

Entscheidung des BFH

Danach sind die Leistungen der Klägerin, Durchführung von Schwimmkursen für Kinder, weder nach nationalem Recht noch nach dem Unionsrecht steuerfrei. Die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG liegen nicht vor. Die Vorschrift setzt voraus, dass die Kurse auf eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vorbereiten. In den Streitjahren führte die Klägerin keine Prüfungen durch. Auch die unternehmerbezogene Voraussetzung des § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG ist nicht erfüllt. Denn die Klägerin ist weder eine Person des öffentlichen Rechts noch eine andere Einrichtung i.S.d. Steuerbefreiung. Im Hinblick auf die Auslegung der unionsrechtlichen Steuerbefreiungen legt der BFH das Begriffsverständnis des EuGH zugrunde. Eine unmittelbare Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL scheidet damit aus.

Anmerkung

Die Änderung der Rechtsprechung des BFH ist für sämtliche Anbieter von Bildungsleistungen relevant. Das Urteil schränkt den Anwendungsbereich der Steuerbefreiungen für Bildungsleistungen erheblich ein. Die bisherige BFH-Rechtsprechung ist angesichts der engen Unterrichtsdefinition des EuGH, der sich der BFH anschließt, als obsolet anzusehen sein.

Die Erfüllung reiner Freizeitzwecke steht der unionsrechtlichen Steuerbefreiung von Unterrichtsleistungen weiterhin entgegen. Nach der Unterrichtsdefinition des EuGH sind weitere einschränkende Kriterien begriffsprägend. Ein punktuell erteilter, spezialisierter Unterricht erfüllt nicht den vom EuGH formulierten Unterrichtsbegriff. Um den Anforderungen an den begünstigten Unterricht nach dem engen Begriffsverständnis zu genügen, muss der Unterricht im Rahmen eines integrierten Systems der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten erbracht werden und auf die Vermittlung eines breiten und vielfältigen Spektrums von Lehrinhalten und Fähigkeiten ausgerichtet sein. Der Unterricht muss an den Lernfortschritt des Teilnehmerkreises anknüpfen. Ein ausgeprägtes Allgemeininteresse an der Erlernung einer Grundfähigkeit kompensiert nicht die Nichterfüllung der einschränkenden Begriffsmerkmale.

Betroffene Normen

Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL
§ 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG, § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG

Fundstelle

BFH, Urteil vom 16.12.2021, V R 31/21 (V R 32/18).

Weitere Fundstellen

EuGH, Urteil vom 21.10.2021, C-373/19, Dubrovin & Tröger GbR – Aquatics
BFH, EuGH-Vorlage vom 27.03.2019, V R 32/18
Finanzgericht München, Urteil vom 13.09.2018, 3 K 1868/17​

 

Ihre Ansprechpartner

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ugruenwald@deloitte.de
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