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31.03.2022
Indirekte Steuern/Zoll

BFH: EuGH-Vorlage zur margenmindernden Berücksichtigung der Erwerbsteuer

Ist bei Anwendung der Differenzbesteuerung auf Lieferungen von Kunstgegenständen, die ein Steuerpflichtiger zuvor von Urhebern innergemeinschaftlich erworben hat, die Erwerbsteuer dem Einkaufspreis hinzurechnen?

Hintergrund

Ein Wiederverkäufer kann nach § 25a Abs. 2 UStG für Lieferungen von Kunstgegenständen für mindestens zwei Kalenderjahre zur Differenzbesteuerung optieren, wenn er bestimmte Kunstgegenstände i.S.d. Nr. 53 der Anlage 2 zum UStG selbst eingeführt hat oder die Kunstgegenstände zuvor an ihn steuerpflichtig geliefert wurden. Nach § 25a Abs. 7 Nr. 1 Buchst. a UStG ist die Differenzbesteuerung auf die Lieferung des Wiederverkäufers jedoch nicht anwendbar, wenn auf die Lieferung an den Wiederverkäufer im Ansässigkeitsstaat des Lieferers die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen angewandt wurde und der Wiederverkäufer den Gegenstand innergemeinschaftlich erworben hat. Eine solche Einschränkung ist unionsrechtlich nicht vorgesehen. Dem Wortlaut nach unterscheidet Art. 316 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL nicht danach, ob der Wiederverkäufer den Kunstgegenstand im Inland oder in einem anderen Mitgliedstaat erworben hat.

Bereits 2018 entschied der EuGH auf Vorlage des FG Münster in der Rechtssache Mensing, dass der Ausschluss der Differenzbesteuerung nach nationalem Recht (§ 25a Abs. 7 Nr. 1 Buchst. a UStG) unionsrechtswidrig ist und die Differenzbesteuerung auf Lieferungen von innergemeinschaftlich erworbenen Kunstgegenständen anwendbar ist (EuGH, Urt. v. 29.11.2018, C-264/17, Mensing). Ein steuerpflichtiger Kunsthändler, der Kunstgegenstände von einem Urheber im EU-Ausland erwirbt, kann daher die Differenzbesteuerung anwenden und sich unmittelbar auf die in Art. 316 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL vorgesehene Option zur Differenzbesteuerung berufen. Der deutsche Gesetzgeber hat das Urteil bislang nicht zum Anlass genommen, die nationalen Vorschriften entsprechend anzupassen; die Finanzverwaltung hat das Urteil nicht in den Anwendungserlass aufgenommen (vgl. Abschn. 25.3. Abs. 5 UStAE).

Dieselbe Streitfrage beschäftigt den EuGH jetzt ein zweites Mal, nun allerdings auf Vorlage des BFH und in Bezug auf die Ermittlung der Bemessungsgrundlage. Streitig ist, ob bei der Anwendung der Differenzbesteuerung auf Lieferungen von Kunstgegenständen, die ein Händler zuvor im Rahmen einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung vom Urheber erworben hat, die Steuer für den innergemeinschaftlichen Erwerb die zu besteuernde Handelsmarge mindert.

Sachverhalt

Der Kläger ist ein in Deutschland ansässiger Kunsthändler, der in mehreren deutschen Städten Kunstgalerien betreibt und auf die Lieferungen von Kunstgegenständen die Differenzbesteuerung anwendet. Im Streitjahr wurden ihm Kunstgegenstände von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Urhebern geliefert. Die Urheber erklärten steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen im Ansässigkeitsstaat. Der Kläger versteuerte in Deutschland innergemeinschaftliche Erwerbe und machte keinen Vorsteuerabzug geltend. Das Finanzamt lehnte die Differenzbesteuerung ab. Dagegen wandte sich der Kläger vor dem FG Münster. Auf die Vorlagefrage des FG Münster antwortete der EuGH, dass ein steuerpflichtiger Wiederverkäufer zur Differenzbesteuerung auf Lieferungen von zuvor innergemeinschaftlich erworbenen Kunstgegenständen optieren kann (s.o. EuGH, Urt. v. 29.11.2018, C-264/17, Mensing).

Daraufhin entschied das FG Münster, dass die Differenzbesteuerung anzuwenden ist und die Erwerbsteuer margenmindernd als Bestandteil des Einkaufspreises zu berücksichtigen ist. Das Finanzamt legte Revision ein. Nach Ansicht der Finanzverwaltung mindert die Umsatzsteuer für den innergemeinschaftlichen Erwerb die zu besteuernde Marge nicht, da es anders als in den Fällen der Einfuhr aus Drittländern (vgl. Art. 317 Nr. 2 MwStSystRL) an einer unionsrechtlichen Regelung fehlt (zur planwidrigen Regelungslücke vgl. GA Szpunar in Rz. 49 ff., SA v. 13.09.2018, C-264/17, Mensing). Der BFH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vor.

Vorlagefragen

1. Ist bei Anwendung der Differenzbesteuerung auf Lieferungen von Kunstgegenständen, die der Steuerpflichtige zuvor vom Urheber innergemeinschaftlich erworben hat, die Bemessungsgrundlage ausschließlich nach dem Unionsrecht zu bestimmen, so dass eine Auslegung des nationalen Rechts, wonach die Erwerbsteuer nicht zur Bemessungsgrundlage gehört, unzulässig ist?

2. Falls die Frage 1 bejaht wird:

Sind Art. 311 ff. MwStSystRL dahingehend zu verstehen, dass bei Anwendung der Differenzbesteuerung auf Lieferungen von Kunstgegenständen, die zuvor vom Urheber innergemeinschaftlich erworben wurden, die auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallende Steuer die Handelsspanne mindert, oder liegt insoweit eine planwidrige Lücke des Unionsrechts vor, die nur vom Richtliniengeber geschlossen werden darf?

Anmerkung

Der Ausgang des Vorabentscheidungsverfahrens ist für sämtliche Unternehmer relevant, die als steuerpflichtige Wiederverkäufer zur Differenzbesteuerung optieren und Kunstgegenstände von Urhebern aus dem EU-Ausland beziehen.

Nach Ansicht des BFH kann § 25a Abs. 3 Satz 3 UStG grundsätzlich dahin ausgelegt werden, dass die Erwerbsteuer dem Einkaufspreis hinzuzurechnen ist. Aufgrund der Unionsrechtswidrigkeit des § 25a Abs. 7 Nr. 1 Buchst. a UStG zweifelte der BFH jedoch daran, dass eine richtlinienkonforme Auslegung des § 25a Abs. 3 Satz 3 UStG erfolgen kann. Der EuGH hat daher zunächst die Frage zu klären, ob sich die Bemessungsgrundlage für differenzbesteuerte Umsätze aus einer unionsrechtsgemäßen Auslegung des nationalen Rechts ergeben kann, wenn die Differenzbesteuerung nach nationalem Recht unionsrechtswidrig ausgeschlossen ist und die Anwendbarkeit der Differenzbesteuerung unmittelbar aus dem Unionsrecht folgt.

Sofern die unionsrechtskonforme Auslegung des § 25a Abs. 3 Satz 3 UStG zulässig sein sollte, hat der EuGH zu klären, ob es einer richterlichen Rechtsfortbildung des Unionsrechts bedarf. Art. 315 Satz 1 MwStSystRL sieht vor, dass die Bemessungsgrundlage die Handelsspanne abzüglich des Betrags der auf diese Spanne erhobenen Mehrwertsteuer ist. Die Marge ist danach ein Bruttobetrag einschließlich Mehrwertsteuer aus dem zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage die Mehrwertsteuer herauszurechnen ist. Die grammatikalische Auslegung der unionsrechtlichen Bestimmung ließe es zu, die Erwerbsteuer als vom Merkmal der auf diese Spanne erhobenen Mehrwertsteuer erfasst anzusehen (BFH, EuGH-Vorlage v. 20.10.2021, XI R 2/20, Rz. 34). Eine abweichende Beurteilung liefe dem vom Richtliniengeber mit der Differenzbesteuerung verfolgten Ziel der Vermeidung der Doppelbesteuerung sowie dem Neutralitätsgrundsatz zuwider (51. Erwägungsgrund der MwStSystRL; EuGH, Urt. v. 29.11.2018, C-264/17, Mensing, Rz. 35; FG Münster, Urt. v. 07.11.2019, 5 K 177/16 U, Rz. 56; BFH, EuGH-Vorlage v. 20.10.2021, XI R 2/20, Rz. 36).

Betroffene Normen

Art. 312 Nr. 2 MwStSystRL, Art. 315 Satz 1 MwStSystRL, § 25a Abs. 3 Satz 3 UStG

Fundstelle

BFH, EuGH-Vorlage vom 20.10. 2021, XI R 2/20

Weitere Fundstellen

Finanzgericht Münster, Urteil vom 07.11.2019, 5 K 177/16 U
EuGH, Urteil vom 29.11.2018, C-264/17, Mensing
Schlussanträge des GA Szpunar vom 13.09.2018, C-246/17, Mensing
Finanzgericht Münster, EuGH-Vorlage vom 11.05.2017, 5 K 177/16 U

​51. Erwägungsgrund der MwStSystRL

Ihre Ansprechpartner

Dr. Ulrich Grünwald
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ugruenwald@deloitte.de
Tel.: +49 30 25468 258

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