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10.11.2021
Indirekte Steuern/Zoll

BFH: Drittwirkung der Umsatzsteuerfestsetzung bei Organschaft – Kein „Rosinenpicken“ für Organträger und Organgesellschaft

Entfaltet eine unrechtmäßig, aber bestandskräftig festgesetzte Umsatzsteuer bei einer unerkannten Organgesellschaft Drittwirkung im Hinblick auf die Organträgerin?

Hintergrund

Welche Auswirkungen das formelle Verfahrensrecht auf das materielle Umsatzsteuerrecht haben kann, zeigt sich ua. bei der Beantwortung der Frage, inwieweit ein umsatzsteuerlicher Organträger eine unrechtmäßige, bestandskräftige Steuerfestsetzung für eine (unerkannte) Organgesellschaft gegen sich gelten lassen muss. Materiell-rechtlich führt das Vorliegen einer umsatzsteuerlichen Organschaft dazu, dass die Organgesellschaft mangels Selbständigkeit die Unternehmereigenschaft verliert. Umsatzsteuerlicher Unternehmer und Steuerpflichtiger ist allein der Organträger. Ihm gegenüber ist die Steuer für die gesamte Organschaft festzusetzen und er ist auch der Adressat der jeweiligen Steuerbescheide. Wird nun die Umsatzsteuer irrig gegen eine (unerkannte) Organgesellschaft durch Bescheid festgesetzt, ist diese Festsetzung zwar materiell-rechtlich rechtswidrig und inhaltlich unzutreffend, aber dennoch wirksam, solange sie nicht aufgehoben oder in anderer Weise ihre Rechtswirkung verloren hat (BFH VII R 3/97).

Letzteres kann nur eintreten, sofern die Steuerfestsetzung noch nicht unanfechtbar ist und das Anfechtungs- oder Änderungsrecht rechtzeitig ausgeübt wird. Wird die Steuerfestsetzung hingegen unanfechtbar, stellt sich die Frage, ob sie nicht nur gegenüber der Organgesellschaft, sondern im Wege der Drittwirkung, auch gegenüber dem Organträger wirksam ist (dazu vorliegendes Besprechungsurteil, BFH VR 13/20). Die Drittwirkung der Steuerfestsetzung betrifft zwar insbesondere Haftungsbescheide, ist auf diese jedoch nicht beschränkt. Im Rahmen seiner Rechtsprechung zur widerstreitenden Steuerfestsetzung nach § 174 Abs. 5 S. 1 AO hatte der BFH bereits darauf hingewiesen, dass sich Organträger und Organgesellschaft grundsätzlich als „Dritte“ gegenüberstehen können (BFH V R 5/12). Denn „Dritter“ im Sinne der Abgabenordnung ist jeder, der in dem fehlerhaften Steuerbescheid nicht als Steuerschuldner angegeben ist.

Sachverhalt

Der Kläger war als Einzelunternehmer Organträger zweier Organgesellschaften (GmbHs). Weiterhin war er Kommanditist von drei GmbH & Co. KGs und hielt je 100% der Anteile an deren Komplementär-GmbHs. Bei diesen war er auch jeweils alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer. Die Steuerfestsetzungen der drei GmbH & Co. KGs wurden formell und materiell bestandskräftig, da der Kläger, in seiner Funktion als Vertreter, gegen die Bescheide keine Rechtsmittel einlegte bzw. keine Änderungsanträge stellte. Nachdem die Bescheide Bestandskraft erlangt hatten, beantragte der Kläger die Änderung seiner Steuerfestsetzungen, da er nun von dem Vorliegen einer Organschaft mit den drei GmbH & Co.KGs ausging. Hieraus beanspruchte er Erstattungen, da sich jeweils Vorsteuerüberhänge ergaben.

Entscheidung des BFH

Ist für eine Organgesellschaft entgegen § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG eine Steuerfestsetzung ergangen, ergibt sich hieraus eine Drittwirkung i.S. von § 166 AO. Der Organträger kann dann keinen Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen geltend machen, die von Dritten über die Organgesellschaft bezogen wurden. Das Recht des Organträgers, die Nichtbesteuerung von Innenleistungen geltend zu machen, die er an die Organgesellschaft erbracht hat, bleibt unberührt.

Bei einer Rechtsprechungsänderung können Organträger und Organgesellschaften nicht beanspruchen, im selbem Besteuerungszeitraum für den einen Unternehmensteil (vorliegend: Organgesellschaft) auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung und für den anderen Unternehmensteil (vorliegend: Organträger) nach der geänderten Rechtsprechung besteuert zu werden.

Anmerkung

Ist die Steuer dem Steuerpflichtigen gegenüber unanfechtbar festgesetzt, so hat dies … auch gegen sich gelten zu lassen, wer in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter anzufechten“ (§ 166 AO). Die für die KGs rechtswidrig-bestandskräftigen und damit wirksamen Steuerfestsetzungen begründen eine Drittwirkung bei der Besteuerung des Klägers mit der Folge, dass er diese gegen sich gelten lassen muss, da er vertretungsberechtigter Geschäftsführer der beiden Komplementär-GmbHs war. Auch wenn der geschilderte Sachverhalt die Eigenheit aufweist, dass der Organträger als natürliche Person zugleich Geschäftsführer der Komplementär-GmbH und alleiniger Kommanditist der Organgesellschafts-KG ist, ist die Entscheidung aus verfahrensrechtlicher Sicht grundlegend und zeigt, dass sich die Wirkung der Steuerfestsetzung von der Anfechtungsbefugnis, die der Kläger hier in seiner Funktion als Vertreter hat, unterscheidet. Ferner folgt aus der Entscheidung, welche verfahrensrechtlichen Fallstricke für Unternehmer bestehen, die Organschaftsstrukturen und damit einhergehende Bescheide nicht rechtzeitig (über-)prüfen.

Denn neben materiell-rechtlichen Gefahren wie bspw. einem vorgenommenen Vorsteuerabzug auf unerkannte Innenumsätze, kann das Verfahrensrecht dazu führen, dass ein Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen vom Organträger gar nicht erst geltend gemacht werden kann, weil ein (rechtswidriger) Bescheid Bestandskraft erlangt hat und eine Korrektur verfahrensrechtlich nicht mehr möglich ist. Zu beachten ist, dass sich die Drittwirkung nur auf Einwendungen bezieht, die im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Festsetzung hätten geltend gemacht werden können. Im Hinblick auf die Frage, ob sich der Steuerpflichtiger teilweise auf die frühere (aufgegebene) und teilweise auf die neue (geänderte) Rechtsprechung zur Organschaft berufen kann, stellt der BFH klar, dass eine Besteuerung im selben Zeitraum für die Organgesellschaft auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung und für den Organträger nach der geänderten Rechtsprechung jedenfalls nicht in Betracht kommt, da dies zu einem Verstoß gegen Treu und Glauben führt – oder mit anderen Worten: Sich nur die Rosinen aus dem Kuchen picken, geht eben nicht.

Betroffene Normen

 § 33 AO, § 43 AO, § 166 AO, § 176 Abs 1 S 1 Nr 3 AO, § 2 Abs 2 Nr 2 UStG, 112/2006 Art 11 EGRL

Fundstelle

BFH, Urteil vom 26.08.2021, V R 13/20,

Ihre Ansprechpartner

Dr. Ulrich Grünwald
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ugruenwald@deloitte.de
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Dr. Diana-C. Kurtz
Senior Manager

dkurtz@deloitte.de
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