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21.04.2021
Indirekte Steuern/Zoll

BFH: Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf Leistungen von Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen

Der BFH hat erneut präzisiert, wie die gemeinnützigkeitsrechtliche Finanzierungsproportion im Rahmen des Zweckbetriebs „Forschung“ (§ 68 Nr. 9 AO) für umsatzsteuerliche Zwecke auszulegen ist.  

Sachverhalt

Die (Revisions)Klägerin ist Rechtsnachfolgerin einer gemeinnützigen GmbH, die im Bereich der Auftragsforschung tätig war. Sie war Alleingesellschafterin einer GmbH, von der sie Beteiligungserträge und Mieten vereinnahmte. Später veräußerte sie die Beteiligung an der GmbH.

Streitig ist die Anwendbarkeit des ermäßigten Steuersatzes auf die Ausgangsleistungen der Klägerin im Bereich der Auftragsforschung (§ 12 Abs. 2 Nr. 8 lit. a UStG), d.h. die Frage, ob die Leistungen im Rahmen eines Zweckbetriebs erbracht wurden.

Entscheidung

Im ersten Verfahrensgang hat der BFH entschieden, dass die Beteiligungserträge bei der Ermittlung der Finanzierungsproportion gem. § 68 Nr. 9 AO als Einnahmen aus der Vermögensverwaltung zu berücksichtigen waren, weil es sich um nicht steuerbare Einnahmen handelte, so dass unter diesem Aspekt auch für umsatzsteuerliche Zwecke ein Zweckbetrieb angenommen werden konnte, in dessen Rahmen die Forschungstätigkeiten erbracht wurden (Urteil vom 10.05.2017, V R 43/14, V R 7/15).

Streitig blieb, ob in dem Zusammenhang auch die Erlöse aus dem Verkauf der Beteiligung an der H-GmbH der Vermögensverwaltung zuzuordnen waren. Die Finanzverwaltung und das FG haben dies (im zweiten Verfahrensgang) abgelehnt und die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes (mangels Zweckbetriebseigenschaft) versagt.

Dies hat der BFH hat mit seiner aktuellen Entscheidung bestätigt und die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes damit im Ergebnis versagt. Im Urteilsfall waren die Erlöse aus der Beteiligungsveräußerung – anders als die Einnahmen aus Beteiligungserträgen – bei der Ermittlung der Finanzierungsproportion im Rahmen des § 68 Nr. 9 AO nicht als Einnahmen aus dem Bereich der Vermögensverwaltung zu berücksichtigen, weil die Beteiligung im unternehmerischen Bereich gehalten wurde.

Der BFH bleibt den im ersten Verfahrensgang aufgestellten Grundsätzen treu, dass der Vermögensverwaltung nach § 14 AO i.V.m. § 68 Nr. 9 AO für Zwecke der Umsatzsteuer nur solche Einnahmen zugerechnet werden können, die nicht-unternehmerisch sind (wie z.B. Einnahmen aus Beteiligungserträgen). Das Halten der Beteiligung im unternehmerischen Bereich schlägt allerdings nicht auf die Beteiligungserträge durch; diese sind unabhängig davon, ob die Beteiligung im unternehmerischen Bereich gehalten wird, als nicht-steuerbare Einnahmen der Vermögensverwaltung zuzuordnen.

Anmerkungen und praktische Hinweise

Die für gemeinnützige Einrichtungen heikle Fragen nach der Anwendbarkeit des ermäßigten Steuersatzes auf Leistungen aus der (oder in die) ertragsteuerliche(n) Sphäre des Zweckbetriebs bleibt weiterhin ungeklärt.

Der hier zuständige V. Senat hat (erneut) festgestellt, dass es keine unionsrechtliche Grundlage für die allgemeine Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf Forschungsleistungen gibt (§ 12 Abs. 2 Nr. 8 lit. a UStG i.V.m. § 64 Abs. 1, § 68 Nr. 9 AO). Nach den europäischen Rechtsvorgaben ist der ermäßigte Steuersatz nämlich nur auf Lieferungen und Dienstleistungen anwendbar, die durch von den Mitgliedstaaten anerkannte gemeinnützige Einrichtungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit erbracht werden (soweit sie nicht von der Umsatzsteuer befreit sind), Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anhang III Nr. 15 MwStSystRL (Richtlinie 2006/112/ EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem). Er bleibt allerdings bei seiner Auffassung, dass die Vorschrift daher im Hinblick auf die Begriffe, die eine Steuersatzermäßigung über den unionsrechtlich zulässigen Rahmen hinaus ermöglichen, einschränkend auszulegen sei. Die Frage nach der allgemeinen Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht hatte der V. Senat zuletzt im Urteil vom 24.06.2020 (Az. V R 47/19, zur ermäßigten Besteuerung der Überlassung von Bootsliegeplätzen) noch offen gelassen.

Der XI. Senat des BFH hat jedoch ausdrücklich festgestellt (Urteil vom 23.07.2019, Az. XI R 2/17), dass die Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 8 lit. a Satz 1 UStG gegen europäische Vorgaben verstößt und aufgrund des klaren Wortlauts auch nicht unionsrechtskonform ausgelegt werden kann. Die folgenden beiden Sätze seien daher weit auszulegen. Dieses Urteil ist bislang nicht im BStBl. II veröffentlicht und es ist eine Verfassungsbeschwerde beim BVerfG anhängig (Az. 1 BvR 2837/19).

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung zu § 12 Abs. 2 Nr. 8 lit. a UStG weiterentwickeln wird und ob der deutsche Gesetzgeber eine Anpassung an die europäischen Vorgaben vornehmen wird. Dies würde in der Praxis weitreichende Auswirkungen für alle gemeinnützigen Einrichtungen haben.

Betroffene Norm

§ 12 Abs. 2 Nr. 8 lit. a UStG

§ 68 Nr. 9 AO

Vorinstanzen

FG Sachsen, Zwischenurteil vom 29.04.2014, 3 K 492/13

BFH, Urteil vom 10.05.2017, V R 43/14, V R 7/15 (veröffentlicht: 28.06.2017)

FG Sachsen, Urteil vom 14.01.2020 Az. 3 K 492/13

Fundstelle

BFH, Urteil vom 10.12.2020, V R 5/20

Ihre Ansprechpartner

Dr. Ulrich Grünwald
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ugruenwald@deloitte.de
Tel.: +49 30 25468 258

Inga Kruse
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