BFH: Abgabe von Speisen und Getränken in einem Food‐Court
Die Nutzung eines Food-Court in einem Einkaufszentrum kann beim Verzehr von Speisen als überwiegendes Dienstleistungselement zum Vorliegen einer sonstigen Leistung führen, wenn die Einräumung dieser Nutzungsmöglichkeit aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers dem Speisenanbieter zuzurechnen ist.
Hintergrund
Die korrekte Besteuerung von Gastronomieumsätzen ist immer wieder Gegenstand von höchstrichterlichen Entscheidungen. Im Mittelpunkt steht die Beantwortung der Frage, ob es sich bei den Umsätzen aus der Abgabe von Speisen um regelsteuersatzpflichtige sonstige Leistungen oder um ermäßigt zu besteuernde Lieferungen handelt. Zwar ist seit der EuGH Entscheidung in der Rechtssache Faaborg-Gelting Linien (C-231/09) klar, dass Restaurants grundsätzlich keine Speisen und Getränke liefern, sondern Dienstleistungen erbringen. Die notwendige Abgrenzung erfolgt, wie üblich in den Fällen einer aus mehreren einzelnen Leistungselementen bestehenden und umsatzsteuerlich einheitlich zu beurteilenden komplexen Leistung, jedoch nach den Gesamtumständen des Einzelfalls. Die Vielzahl der zeitlich nachfolgenden Entscheidungen zeigt, wie herausfordernd die Würdigung einzelner Umstände sein kann (EuGH Urt. v.10.03.2011, C-497/09; 499/09; C-501/09 und C-502/09). Auch national setzt(e) sich der BFH immer wieder mit unterschiedlichen Fallkonstellationen auseinander (XI R 37/08 sowie V R 35/08 zum Imbissstand; V R 3/07 Abgabe von Snacks im Kino; XI R 6/08 Partyservice; V R 61/16 Krankenhauscafé usw.; derzeit anhängig BFH XI R 24/20 und XI R 12/21). Unter Berufung auf den EuGH (vgl. Urteile vom 10.03.2011 C-497/09, C-499/09, C-501/09, C-502/09), urteilte der BFH unter anderem (Urt. v. 30.06.2011, V R 18/10), dass die Abgabe von Bratwürsten, Pommes und ähnlichen standardisiert zubereiteten Speisen an einem nur mit behelfsmäßigen Verzehrvorrichtungen ausgestatteten Imbissstand eine einheitliche Leistung darstellt, die als Lieferung dem ermäßigten Steuersatz unterliegt. Ähnlich sah es der BFH auch beim Verkauf von Wiesnbrezn im Festzelt durch selbständige Breznläufer (Urt. v. 3.8.2017, V R 15/17) und entschied, dass nur sonstige Leistungen des Lieferers zusammen mit der Lieferung eine Restaurationsleistung ergeben können.
Verzehrvorrichtungen eines Dritten sind demnach nur dann zu berücksichtigen, wenn der Dritte dem Unternehmer diese überlässt und sie dann der Unternehmer seinen Kunden zur Verfügung stellt (vgl. Abschn. 3.6 Abs. 5 S. 3-5 UStAE eingefügt durch BMF Schreiben v. 22.04.2021). Geringfügige Dienstleistungsanteile genügen damit nicht für die Annahme einer Dienstleistung. Der EuGH entschied dazu, dass die Abgabe von Speisen unter den Begriff "Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen" (im Sinne von Art. 6 Abs. 1 MwStVO) fällt, wenn sie mit ausreichenden unterstützenden Dienstleistungen einhergeht, die deren sofortigen Verzehr durch den Endkunden ermöglichen sollen. Entscheidet sich der Endkunde dafür, diese ihm neben dem Verzehr angeboten Mittel nicht in Anspruch zu nehmen, ist davon auszugehen, dass keine unterstützende Dienstleistung mit der Abgabe dieser Speisen einhergeht (Urt. v. 22.04.2021, C-703/19, Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach; zur Vereinbarkeit dieser EuGH Entscheidung mit der Ansicht der Finanzverwaltung siehe Anmerkung).
Was hingegen in den Fällen eines Food Courts für die vor Ort ausgeführten Umsätze gilt und wie sich Verzehrvorrichtungen einer Gastro-Mall auswirken, war Gegenstand einer aktuellen BFH-Entscheidung.
Sachverhalt
Die Klägerin eröffnete in einem Einkaufszentrum eine neue Filiale ihrer Fast-Food-Restaurants. Die vorgefertigten Speisen werden in Einwegverpackungen über eine Verkaufstheke abgegeben und können in einem „Food-Court“, einem für die Kunden des Einkaufszentrums eingerichteten gemeinsamen Sitz- und Verzehrbereich, eingenommen werden. Rund um diesen Sitz- und Verzehrbereich befinden sich mehrere Gastronomie-betriebe. Die Kosten für den Food-Court werden von den Mietern des Zentrums anteilig getragen.
Die Klägerin unterwarf ihre Umsätze dem ermäßigten Steuersatz für Lieferungen (Verkauf von Speisen zum Mitnehmen). Das Finanzamt war der Ansicht, dass sonstige Leistungen zum Regelsteuersatz vorliegen, da die Klägerin mit der Zurverfügungstellung von Sitzgelegenheiten in dem Gemeinschaftsbereich eine Dienstleistung erbracht habe.
Das FG bestätigte die Auffassung des FA und wies die Klage ab.
Entscheidung
Der BFH hat die Entscheidung des FG aufgehoben und zurückverwiesen. Zwar hat das FG in der Sache zutreffend entschieden, dass es für die Annahme einer sonstigen Leistung bei der Abgabe von Speisen auf zusätzliche Dienstleistungselemente ankommt (z.B. die Nutzung von Tischen und Sitzgelegenheiten). Ebenso zutreffend hat das FG entschieden, dass die Klägerin an der Verschaffung derartiger Dienstleistungselemente mitgewirkt hat. Allerdings hat das FG dabei nicht hinreichend auf die maßgebliche Sichtweise des Durchschnittsverbrauchers abgestellt.
Begründung
Ausgehend von der aktuellen EuGH Entscheidung (s.o. Urt. v. 22.04.2021, C-703/19, Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach) und deren Grundsätze auf die Nutzung eines Food-Court übertragend, gelangt der BFH zum Ergebnis, dass die Nutzung als überwiegendes Dienstleistungselement zu einer sonstigen Leistung führen kann, wenn die Einräumung dieser Möglichkeit dem Speisenanbieter zuzurechnen ist.
Das ist vorliegend der Fall, da die Klägerin aufgrund ihres Mietvertrags einen Anspruch auf die Benutzung des Food-Court durch ihre Kunden hatte. Damit lag keine fremde Einrichtung eines Dritten mehr vor (vgl. BFH Urt. 03.08.2017, V R 15/17). Aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers folgt für die Zurechnung des Food-Court zur Klägerin nichts anders. Der Durchschnittsverbraucher kann davon ausgehen, dass er als Kunde zur Nutzung des Food-Court berechtigt ist. Allein die Ausgabe der Speise mit einem Tablett dient typischerweise dazu, die Speisen zum Food-Court zu bringen und sie dort zu verzehren. Aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers besteht die Leistung nicht allein in der bloßen Abgabe am Verkaufstresen, sondern schließt den Verzehr in unmittelbarer Nähe mit ein. Danach muss sich die Klägerin, die durch die Nutzung des Food-Court ergebenden Dienstleistungselemente zurechnen lassen.
Aus Sicht des BFH hat das FG zu den konkreten Umständen im Zusammenhang mit der Tablett-Nutzung keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Aus dem Sachverhalt kann nicht geschlossen werden, ob aus Sicht der Kunden klar war, dass für sie die Möglichkeit der Nutzung des Food-Court bestand. Ferner fehlt es dem BFH an einer Schätzung der Aufteilung nach Kunden, die den Food-Court nutzten bzw. nicht nutzten und insoweit keine unterstützende Dienstleistung in Anspruch nahmen. Darüber hinaus weist der BFH darauf hin, dass jedenfalls außerhalb der Öffnungszeiten des Food-Court, mangels Nutzung, keine sonstige Leistung vorliegen kann.
Anmerkung
Aus dem Urteil folgt, dass es entscheidend auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers ankommt, ob der leistende Unternehmer Verzehrvorrichtungen bereitstellt, die ihm zuzurechnen und damit Rahmen der Bestimmung der Dienstleistungselemente zu berücksichtigen sind. Einig sind sich die Rechtsprechung und die aktuelle Verwaltungsansicht darin, dass die Umstände des Einzelfalles entscheidend sind. Darüber hinaus steht die Ansicht der Finanzverwaltung nicht im Einklang mit der aktuellen EuGH Rechtsprechung. Der EuGH sieht in der Zubereitung von Speisen ein grundsätzlich zu berücksichtigendes Dienstleistungselement, während die bisherige Verwaltungsansicht das verneint (Abschn. 3.6 Abs. 2 UStAE). Ferner folgt aus Abschn. 3.6 Abs. 4 Satz 11 ff. UStAE, dass das bloße Zur-Verfügung-Stellen von Verzehreinrichtungen ausreichend ist, um auf sämtliche Vor-Ort-Umsätze den allgemeinen Steuersatz anzuwenden. Für die Berücksichtigung einer die Bewirtung fördernden Infrastruktur ist nach Ansicht der Finanzverwaltung die Zweckabrede zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses maßgeblich. Das heißt, dass wenn der Kunde zum Ausdruck bringt, dass er eine Speise vor Ort verzehren will, diese anschließend jedoch mitnimmt, es bei der Anwendung des Regelsteuersatzes bleibt. Der EuGH urteilte hingegen, dass wenn sich der Kunde dafür entscheidet, die materiellen und personellen Mittel, die ihm vom Steuerpflichtigen neben dem Verzehr der bereitgestellten Speisen angeboten werden, nicht in Anspruch zu nehmen, davon auszugehen ist, dass keine unterstützende Dienstleistung mit der Abgabe der Speise einhergeht.
Eine Reaktion der Finanzverwaltung liegt bislang nicht vor. Offen sind auch noch weitere nationale Verfahren, in denen es bei der Abgabe der Speise ebenfalls um die Auswirkungen von vorhandenen Verzehrvorrichtungen geht (anh. BFH XI R 24/20, Vorinstanz FG Leipzig, Urt. v. 05.02.2020, 5 K 1604/19 – Kantine; anh. BFH XI R 12/21, Vorinstanz FG Münster, Urt. v. 03.09.2019, 15 K 2553/16 U – Backwaren und Fast-Food).
Zu beachten bleibt, dass im Rahmen der Covid-Pandemie die Abgrenzung „Lieferung oder Dienstleistung“ im Rahmen der Gastroumsätze an Brisanz eingebüßt hat. Denn bis einschließlich den 31.12.2022 gilt die Steuersatzsenkung (Anwendung des ermäßigten Steuersatzes) für alle Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen mit Ausnahme der Abgabe von Getränken und stellt sie den reinen Lieferungen von Speisen faktisch gleich.
Betroffene Normen
UStG § 12 Abs 2 Nr 1 ; UStG § 12 Abs 1 ; UStG § 3 Abs 1 ; UStG § 3 Abs 9
Fundstelle
BFH, Urteil vom 26.08.2021, V R 42/20; DStR 2021, S. 2785 ff (Leitsatz und Gründe)