Länderfinanzbehörden veröffentlichen Erlasse zur grunderwerbsteuerlichen Zurechnung von Grundstücken für die sog. Ergänzungstatbestände des GrEStG
Die gleich lautenden Erlasse zur grunderwerbsteuerlichen Zurechnung von Grundstücken zu den Gesellschaften i.S. der §§ 1 Abs. 2a bis 3a GrEStG enthalten hilfreiche Erläuterungen zur Auslegung der jüngeren BFH-Rechtsprechung aus Verwaltungssicht.
Die Finanzbehörden der Länder haben in gleich lautenden Erlassen, die am 16.10.2023 veröffentlicht wurden, zur aktuellen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bezüglich der Zurechnung von deutschem Grundbesitz zu den Gesellschaften i.S. der §§ 1 Abs. 2a bis 3a GrEStG Stellung genommen. Die Finanzverwaltung folgt den BFH-Urteilen und vertritt die Ansicht, dass das bloße Halten einer Beteiligung in Höhe der grunderwerbsteuerlichen Beteiligungsgrenze (seit 01.07.2021 einheitlich auf 90% abgesenkt) nicht für die Zurechnung ausreicht. Die Zurechnung erfolgt nun - entgegen der früher vertretenen Finanzverwaltungsansicht - nur bei Verwirklichung eines grunderwerbsteuerbaren Tatbestands nach § 1 Abs. 1, 2, 3 oder 3a GrEStG. Die Finanzverwaltung hält dabei die Mehrfachzurechnung desselben Grundbesitzes zu mehreren Gesellschaften in Konzernsachverhalten für möglich.
Die Erlasse greifen wichtige Aspekte zur grunderwerbsteuerlichen Zurechnung auf und verdeutlichen mit hilfreichen Beispielen die Verwaltungsansicht. Trotzdem bleibt die Beurteilung vieler Fallkonstellationen weiterhin offen und es ergeben sich diverse Folgefragen.
Hintergrund: BFH-Rechtsprechung zur Zurechnung bei § 1 Abs. 2a bis 3a GrEStG
Der zweite Senat des BFH hat in drei aktuellen Urteilen zur grunderwerbsteuerlichen Zurechnung von Grundbesitz i.S.d. § 2 GrEStG Stellung genommen (vgl. Deloitte Tax News vom 03.04.2023). Im Urteil vom 01.12.2021 (Az. II R 44/18) wurde entschieden, dass einer Personengesellschaft, die zwischen einer Obergesellschaft und einer grundbesitzenden Kapitalgesellschaft zwischengeschaltet ist, der Grundbesitz nicht zuzurechnen ist, wenn diese keinen grunderwerbsteuerbaren Tatbestand verwirklicht hat. Weder eine Beteiligung von mind. 95% noch zivilrechtliches oder wirtschaftliches Eigentum waren entscheidend. Diese Auffassung bestätigte der BFH in einem Urteil vom 14.12.2022 (Az. II R 33/20).
In einem weiteren Urteil vom 14.12.2022 (Az. II R 40/20) hat der BFH entschieden, dass der (Eigentümer-)Gesellschaft ein Grundstück nicht mehr zuzurechnen ist, wenn ein Dritter in Bezug auf dieses Grundstück einen unter § 1 Abs. 2 GrEStG (Übergang der Verwertungsbefugnis) fallenden Erwerbsvorgang verwirklicht hat.
Einzelheiten zu den Regelungen in den neuen gleich lautenden Erlassen
Grundlagen
Die Finanzverwaltung hat ihre frühere Ansicht zur Zurechnung zugunsten der BFH-Rechtsprechung aufgegeben. Die Auslegung erfolgt sehr extensiv und geht über die konkreten Fragestellungen der entschiedenen Urteilssachverhalte deutlich hinaus.
Die Zurechnung für die Zwecke der §§ 1 Abs. 2a bis 3a GrEStG erfolgt ausschließlich unter Rückgriff auf die grunderwerbsteuerlichen Tatbestände nach §§ 1 Abs. 1, 2, 3 und 3a GrEStG. Das wirtschaftliche und zivilrechtliche Eigentum am Grundbesitz ist nicht entscheidend. Eine Zurechnung ist nur bei Personen- und Kapitalgesellschaften möglich; eine Zurechnung auf natürliche Personen, juristische Personen des öffentlichen Rechts, Vereine oder Stiftungen scheidet aus.
Beginn und Ende der Zurechnung
Eine Gesellschaft gilt als grundbesitzend, sobald sie einen grunderwerbsteuerbaren Tatbestand nach § 1 Abs. 1, 2, 3 oder 3a GrEStG verwirklicht, also beispielsweise durch Kauf eines Grundstücks, Erwerb der Verwertungsbefugnis, Eigentumserwerb durch Anwachsung oder Verschmelzung sowie Anteilserwerb von mind. 90% (bzw. 95%) an einer grundbesitzenden Gesellschaft.
Durch die Verwirklichung der § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG (Änderung des Gesellschafterbestands von Personen- oder Kapitalgesellschaften zu ≥90%) ändert sich die Zurechnung nicht.
Eine Änderung der Zurechnung von Grundbesitz nach § 1 Abs. 1 GrEStG (schuldrechtliches oder dingliches Geschäft zur Übertragung von Grundbesitz) oder § 1 Abs. 2 GrEStG (Übertragung der Verwertungsbefugnis) beendet vorausgegangene Zurechnungen nach §§ 1 Abs. 1 und 2 bzw. 3 und 3a GrEStG. Die Verwirklichung der § 1 Abs. 3 und 3a GrEStG (erstmalige Anteilsvereinigung oder Übertragung bereits vereinigter Anteile an grundbesitzenden Gesellschaften) führt zwar zur Zurechnung von Grundbesitz, aber nicht zur Beendigung der Zurechnung bei der grundbesitzenden Gesellschaft selbst. Allerdings endet laut Finanzverwaltung eine vormals erfolgte Zurechnung nach § 1 Abs. 3 oder 3a GrEStG, sobald ein Dritter in Bezug auf dieses Grundstück einen unter § 1 Abs. 3 oder 3a GrEStG fallenden Erwerbsvorgang verwirklicht (vgl. gleichlautende Erlasse vom 16.10.2023, Beispiel 2, Tz. 4, Rz. 19).
Mehrfachzurechnung
Wenn eine Gesellschaft die Tatbestände § 1 Abs. 3 oder 3a GrEStG verwirklicht hat, ist dieser Grundbesitz sowohl dieser erwerbenden Gesellschaft als auch (weiterhin) der grundbesitzenden Gesellschaft zuzurechnen.
Diese Mehrfachzurechnung kann dann zu einer Doppel- oder Mehrfachbesteuerung desselben Grundbesitzes führen (siehe Beispiel unten).
Zurechnung bei Share Deals
Bei sog. Share Deals stellt grundsätzlich das schuldrechtliche Rechtsgeschäft („Signing“) einen grunderwerbsteuerbaren Tatbestand nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder 3 GrEStG auf Ebene des Anteilserwerbers dar. Das dingliche Verfügungsgeschäft („Closing“) ist – bei Übertragung von mind. 90% der Anteile – zusätzlich nach § 1 Abs. 2a GrEStG bei Personengesellschaften bzw. nach § 1 Abs. 2b GrEStG bei Kapitalgesellschaften auf Ebene der grundbesitzenden Gesellschaft grunderwerbsteuerbar. Unter der Voraussetzung, dass beide Vorgänge Signing und Closing vollständig und rechtzeitig innerhalb der gesetzlichen Frist (zwei Wochen bei inländischen Steuerschuldnern und ein Monat bei ausländischen Steuerschuldnern) angezeigt werden, ist nach § 16 Abs. 4a i.V.m. Abs. 5 Satz 2 GrEStG Grunderwerbsteuer auf den Vorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 bzw. 3 GrEStG nicht zu erheben (vgl. Deloitte Tax News vom 06.12.2022). Gemäß den gleich lautenden Erlassen vom 16.10.2023 ändert der § 16 Abs. 4a i.V.m. Abs. 5 Satz 2 GrEStG nichts an der grunderwerbsteuerlichen Zurechnung aufgrund des verwirklichten § 1 Abs. 3 Nr. 1 bzw. 3 GrEStG. Das bedeutet, dass der Grundbesitz auch bei Nichterhebung der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 GrEStG beim Anteilserwerber diesem zusätzlich zur grundbesitzenden Gesellschaft zuzurechnen ist. Dieses Ergebnis scheint bei einem Share Deal nach Verwaltungsauffassung nicht vermeidbar zu sein, da der gesetzliche Anwendungsvorrang der § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG gegenüber dem § 1 Abs. 3 und 3a GrEStG offenbar nur bei Anteilsübertragungen ohne vorausgehendes schuldrechtliches Geschäft gilt (vgl. gleich lautende Erlasse vom 16.10.2023, Tz. 3.2, Rz. 11).
Rückgängigmachung nach § 16 Abs. 1 und 2 GrEStG
Die Rückgängigmachung von Erwerbsvorgängen unter den näheren Voraussetzungen der § 16 Abs. 1 und 2 GrEStG führt nicht dazu, dass eine Zurechnung rückwirkend wieder entfällt.
Vielmehr endet die Zurechnung im Falle des § 16 Abs. 1 GrEStG erst zu dem Zeitpunkt, an dem der Anspruch auf Aufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung oder der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen nach § 17 GrEStG entsteht (rechtliche und tatsächliche Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs). Im Falle eines Rückerwerbs gemäß § 16 Absatz 2 GrEStG endet die Zurechnung, sobald das steuerauslösende Rechtsgeschäft für den Rückerwerb abgeschlossen ist.
Beispiel (vgl. gleich lautende Erlasse vom 16.10.2023, Tz. 4, Rz. 14 ff.)
Sachverhalt
- A-GmbH ist grundbesitzende Gesellschaft nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG
- Im Jahr 01 erwirbt die B-KG 100% der Anteile an der A-GmbH
- Im Jahr 02 erwerben X und Y jeweils 50% der Anteile an der B-KG
Bewertung nach Verwaltungsansicht
- Der Erwerb der Anteile an der A-GmbH ist grunderwerbsteuerbar nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG (schuldrechtliches Rechtsgeschäft) auf Ebene der B-KG und zusätzlich nach § 1 Abs. 2b GrEStG auf Ebene der A-GmbH (unmittelbarer Anteilsübergang). Nach § 16 Abs. 4a i.V.m. Abs. 5 Satz 2 GrEStG wird die Grunderwerbsteuer nur bei der A-GmbH erhoben (ordnungsgemäße, vor allem fristgerechte Grunderwerbsteueranzeigen für Signing und Closing vorausgesetzt). Trotzdem führt die Verwirklichung des § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG zur Zurechnung bei der B-KG.
- Der anschließende Erwerb der Anteile an der B-KG ist nach § 1 Abs. 2b GrEStG auf Ebene der A-GmbH und nach § 1 Abs. 2a GrEStG auf Ebene der B-KG grunderwerbsteuerbar. Damit kommt es nach Verwaltungsmeinung zur doppelten Besteuerung desselben Grundbesitzes.
Kommentar aus Beratersicht
- Aus der BFH-Rechtsprechung geht zwar hervor, dass eine Mehrfachzurechnung desselben Grundbesitzes möglich ist. Jedoch wurde (noch) nicht der Fall entschieden, dass diese Mehrfachzurechnung auch zu einer mehrfachen Besteuerung desselben Grundstücks auf den verschiedenen Beteiligungsebenen führen kann.
- Grundsätzlich sollte im vorliegenden Fall nur einmal Grunderwerbsteuer auf den Grundbesitz anfallen, wobei fraglich ist, auf welcher Ebene.
- Vorzugswürdig erscheint im Beispielsfall nur eine Besteuerung auf Ebene der B-KG vorzunehmen, da deren Anteile Gegenstand des Erwerbsvorgangs sind und unmittelbar übertragen werden.
- Wir empfehlen daher, jeden in Betracht kommenden Erwerbsvorgang (im Beispielsfall § 1 Abs. 2a, 2b und 3 GrEStG) gegenüber den zuständigen Finanzämtern rechtzeitig anzuzeigen und etwaige Steuerfestsetzungen verfahrensrechtlich offen zu halten.
Zusätzliche Kommentare
Die gleichlautenden Erlasse vom 16.10.2023 bieten hilfreiche Erläuterungen und sind eine willkommene Klarstellung zu den dargestellten Zurechnungsfragen. Es ist zu begrüßen, dass die Finanzverwaltung die aktuelle Rechtsprechung des BFH übernommen hat. Die sehr extensive Auslegung der Aussagen des BFH führt jedoch insbesondere in Fällen mit mehrfacher Verwirklichung grunderwerbsteuerbarer Tatbestände bezogen auf denselben Grundbesitz zu überschießenden Ergebnissen in Form von Doppel- oder gar Mehrfachbesteuerung. Es bleibt abzuwarten, wie die Finanzgerichte und der BFH auf die Verwaltungsmeinung reagieren werden.
Auch die von BFH und Verwaltung vertretene Ansicht, dass einer Gesellschaft ein Grundstück nicht mehr zuzurechnen ist, wenn ein Dritter in Bezug auf dieses Grundstück einen unter § 1 Abs. 2 GrEStG (Übergang der Verwertungsbefugnis) fallenden Erwerbsvorgang verwirklicht hat, dürfte in der Praxis zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen. Die Vorschrift folgt speziellen Regeln und eine Einordnung ist in vielen Fällen nicht zweifelsfrei und ohne großen Aufwand möglich. Dies birgt das Risiko unzutreffender Grundstückszurechnungen und damit unzutreffender Grunderwerbsteuerfestsetzungen.
In jedem Fall verdeutlichen die Erlasse die weiter gestiegene Komplexität durch die sehr dynamische Rechtsentwicklung in der Grunderwerbsteuer und den erhöhten Bedarf an sorgfältiger Analyse der grunderwerbsteuerlichen Implikationen bei Transaktionen, an denen Gesellschaften mit deutschem Grundbesitz direkt oder indirekt beteiligt sind. Die damit einhergehenden erforderlichen Regelungen in Anteilskaufverträgen sowie gesetzliche Anzeigeverpflichtungen sollten bei Transaktionen frühzeitig berücksichtigt werden, um ungewollte Überraschungen im Zusammenhang mit der Grunderwerbsteuer zu vermeiden. Dabei müssen im Lichte der BFH-Rechtsprechung und der neuen Erlasse auch die Historie der Konzernstruktur mit sämtlichen zurückliegenden Grunderwerben und späteren Veränderungen der Beteiligungsstrukturen berücksichtigt werden.
Grundsätzlich empfehlen wir umfassend Grunderwerbsteueranzeigen für alle infrage kommenden Erwerbsvorgänge und grundbesitzenden Gesellschaften rechtzeitig innerhalb der Zweiwochenfrist bei Inlandsgesellschaften bzw. der Monatsfrist bei Auslandsgesellschaften abzugeben und anschließend mit den Finanzbehörden die tatsächlich steuerpflichtigen Gesellschaften abzustimmen. Unseres Erachtens sollte eine Einmalbesteuerung des Grundbesitzes im Rahmen eines einheitlichen Vorgangs erreicht werden.
Betroffene Normen
§ 1 Abs. 2a bis 3a GrEStG
Fundstelle
Gleich lautende Erlasse der Länder vom 16.10.2023 zur Zurechnung von Gründstücken für die Ergänzungstatbestände in § 1 Abs. 2a bis 3a des GrEStG (u.a. Ministerium für Finanzen des Landes Baden-Württemberg, 16.10.2023, FM3-S 4514-2/33, FMNR202301830)