BVerfG: Ersatzbemessungsgrundlage im Grunderwerbsteuerrecht verfassungswidrig
Die Regelung über die Ersatzbemessungsgrundlage im Grunderwerbsteuerrecht gemäß § 8 Abs. 2 GrEStG, die auf das Bewertungsgesetz verweist, ist verfassungswidrig. Sie führt zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung gegenüber dem Regelbemessungsmaßstab, der an die Gegenleistung des Erwerbsvorgangs anknüpft. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens bis zum 30.06.2016 rückwirkend zum 01.01.2009 eine Neuregelung zu treffen. Bis zum 31.12.2008 ist die Vorschrift weiter anwendbar.
Sachverhalt
Klägerin des Ausgangsverfahrens zu 1 BvL 13/11 (II R 23/10), eine US-amerikanische Gesellschaft, hatte in 2001 alle Anteile an einer deutschen GmbH erworben, zu deren Vermögen in Deutschland gelegene Grundstücke gehörten. Klägerin des Ausgangsverfahrens zu 1 BvL 14/11 (II R 64/08) ist eine GmbH, die in 2002 von ihrer Alleingesellschafterin, einer AG, den einzigen Geschäftsanteil an einer anderen GmbH, die Eigentümerin eines unbebauten und eines bebauten Grundstücks war, kaufte. Für diese Anteilsübertragungen (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG) setzte das Finanzamt Grunderwerbsteuer auf der Grundlage der für die Grundstücke festgestellten Grundbesitzwerte fest, die es gemäß § 8 Abs.
2 S. 1 Nr. 3 GrEStG i.V.m. § 138 BewG gesondert festgestellt hatte.
Einsprüche und Klagen gegen den jeweiligen Grunderwerbsteuerbescheid blieben ohne Erfolg. Der BFH hatte die beiden Ausgangsverfahren ausgesetzt dem Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit der Ersatzbemessungsgrundlage vorgelegt.
Beschluss
Die Regelung über die Ersatzbemessungsgrundlage im Grunderwerbsteuerrecht gemäß § 8 Abs. 2 GrEStG i.d.F. des JStG 1997 und allen seitherigen Fassungen sei verfassungswidrig. Sie führe zu einer Ungleichbehandlung gegenüber der Grunderwerbsteuererhebung nach Maßgabe der Regelbemessungsgrundlage des § 8 Abs. 1 GrEStG, die verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt sei.
Regelbemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer ist gem. § 8 Abs. 1 GrEStG der Wert der Gegenleistung (Kaufpreis). Bei Fehlen einer Gegenleistung, bei Erwerbsvorgängen auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage sowie bei Übertragung von mind. 95 % der Anteile an Gesellschaften wird auf die Ersatzbemessungsgrundlage nach § 8 Abs. 2 GrEStG zurückgegriffen. Im Rahmen der Ersatzbemessungsgrundlage bemisst sich die Grunderwerbsteuer nach §§ 138 ff. BewG.
Die als die Regelbemessungsgrundlage maßgebliche Gegenleistung spiegle regelmäßig den gemeinen Wert des Grundstücks wider. Von diesem gemeinen Wert wichen die bei Anwendung der Ersatzbemessungsgrundlage ermittelten Werte sowohl im Durchschnitt als auch in vielen Einzelfällen gravierend ab. Bei Anwendung der Ersatzbemessungsgrundlage erreichten die Bewertungen des Grundvermögens bei bebauten und unbebauten Grundstücken durchschnittlich nur 50 % beziehungsweise 70 % des Verkehrswerts, bei land- und forstwirtschaftlichem Vermögen sogar in der Regel lediglich 10 %; sie divergierten zudem noch innerhalb der jeweiligen Vermögensgegenstände gravierend.
Nach Auffassung der BVerfG sei kein gewichtiger Sachgrund zur Rechtfertigung dieser erheblichen Ungleichbehandlung zwischen der Besteuerung nach der Gegenleistung und der Ersatzbemessungsgrundlage ersichtlich.
Die mit der Ersatzbemessungsgrundlage regelmäßig verbundenen Abweichungen vom gemeinen Wert können nicht mit etwaigen Lenkungszielen der Bewertungsregeln gerechtfertigt werden. Offensichtlich verfolge das Gesetz mit der Gegenleistung als Regelbemessungsgrundlage ausschließlich das fiskalische Ziel, die steuerrelevanten Grunderwerbsvorgänge nach dem Verkehrswert zu besteuern. Es dürfe daher auch bei der Ersatzbemessungsgrundlage keinem davon abweichendem Ziel nachgehen. Vielmehr müssten die Ergebnisse beider Bemessungsgrundlagen angenähert sein.
Die Bewertungsunterschiede ließen sich auch nicht durch den Spielraum des Gesetzgebers rechtfertigen, der aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung Sachverhalte typisieren und auf Detailgenauigkeit im Bewertungsergebnis verzichten dürfe. Die festgestellten Bewertungsdisparitäten seien jedoch struktureller Natur und nicht von Typisierungs- oder Pauschalierungserwägungen des Gesetzgebers getragen.
Die beanstandeten Bewertungsregeln zielten bewusst auf eine erhebliche Unterbewertung des Grundvermögens, knüpften systematisch an untaugliche oder wertverfälschende Parameter an oder führten mehr oder minder ungewollt zu Zufallsergebnissen. Nirgendwo seien die Mängel jedoch Folge einer bewussten Typisierungsentscheidung.
Der Gesetzgeber sei verpflichtet, spätestens bis zum 30.06.2016 rückwirkend zum 01.01.2009 eine Neuregelung zu treffen. Bis zum 31.12.2008 sei die Vorschrift weiter anwendbar. Die Tarifnorm des § 11 Abs. 1 GrEStG sei von der Verfassungswidrigkeit der der Ersatzbemessungsgrundlage nicht erfasst.
Anmerkung
Ländererlasse vom 16.12.2015
Im Rahmen des Steueränderungsgesetzes 2015 wurden die Regelungen zur Anwendung der Ersatzbemessungsgrundlage gemäß § 8 Abs. 2 GrEStG geändert. Die Ländererlasse vom 16.12.2015 nehmen zur Änderung der bislang vorläufig durchgeführten Festsetzungen von Grunderwerbsteuer Stellung. Siehe Deloitte Tax-News
Betroffene Normen
§ 8 Abs. 2 GrEStG, § 11 Abs. 1 GrEStG, § 138 BewG, Art. 3 Abs. 1 GG
Streitjahre 2001, 2002
Vorinstanzen
Zu 1 BvL 13/11: BFH, Urteil vom 02.03.2011, II R 23/10, siehe Deloitte Tax-News
Zu 1 BvL 14/11: BFH, Urteil vom 02.03.2011, II R 64/08, siehe Deloitte Tax-News
Fundstellen
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 23.06.2015, 1 BvL 13/11, 1 BvL 14/11
Pressemitteilung Nr. 55/2015 vom 17.07.2015