BFH: Bestimmung des herrschenden Unternehmens i.S. der grunderwerbsteuerlichen Konzernklausel
Welches Unternehmen "herrschendes Unternehmen" und welche Gesellschaft "abhängige Gesellschaft" i.S. der grunderwerbsteuerlichen Konzernklausel des § 6a GrEStG ist, richtet sich nach dem jeweiligen Umwandlungsvorgang, für den die Steuer nach § 6a S. 1 GrEStG nicht erhoben werden soll. Unerheblich ist, ob bei mehrstufigen Beteiligungsstrukturen das herrschende Unternehmen selbst von einem oder weiteren Unternehmen abhängig ist (entgegen Auffassung der Finanzverwaltung; siehe unter Anmerkung).
Hintergrund
Innerhalb eines Konzerns können Grundstücksübertragungen von der Grunderwerbsteuer befreit sein. Nach § 6a S. 1 GrEStG wird für einen nach § 1 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2a oder 3 GrEStG steuerbaren Rechtsvorgang aufgrund einer Umwandlung i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UmwG die Steuer nicht erhoben. Voraussetzung hierfür ist nach § 6a S. 3 GrEStG, dass an dem Rechtsvorgang ausschließlich ein „herrschendes Unternehmen“ und ein oder mehrere von einem herrschenden Unternehmen „abhängige Gesellschaften“ beteiligt sind. Abhängig ist eine Gesellschaft nach § 6a S. 4 GrEStG, sofern das herrschende Unternehmen innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren vor dem Umwandlungsvorgang (sog. Vorbehaltensfrist) und fünf Jahren nach dem Umwandlungsvorgang (sog. Nachbehaltensfrist) ununterbrochen zu min. 95 % beteiligt ist.
Sachverhalt
Die K-GmbH war zu 100 % an der grundbesitzenden D-GmbH beteiligt. Gesellschafterin der K-GmbH war zu 100 % die E-GmbH, deren Anteile wiederum vollständig durch die F-AG gehalten wurden. Im Jahr 2011 wurde die D-GmbH auf die K-GmbH verschmolzen. Dieser Vorgang löste Grunderwerbsteuer in Bezug auf das von der D-GmbH gehaltene Grundstück aus. Aufgrund der Konzernklausel gem. § 6a GrEStG wurde der Vorgang jedoch in voller Höhe steuerfrei gestellt. Anschließend (d.h. innerhalb von fünf Jahren seit der Verschmelzung) verminderte die F-AG ihre Beteiligung an der E-GmbH um insgesamt 26,8 %.
Daraufhin versagte das Finanzamt die vormals gewährte Steuerbefreiung nach § 6a GrEStG mit der Begründung, dass die fünfjährige Nachbehaltensfrist nicht eingehalten worden sei. Denn die F-AG als herrschendes Unternehmen sei nicht länger mittelbar über die E-GmbH zu mindestens 95 % an der K-GmbH beteiligt. Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt.
Entscheidung
Der BFH kommt - ebenso wie das FG- zu der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Steuerbegünstigung des § 6a GrEStG durch die Veräußerung der Anteile der F-AG an der E-GmbH innerhalb von fünf Jahren seit der Verschmelzung nicht nachträglich weggefallen sind.
Bestätigung der bisherigen BFH-Rechtsprechung zur Einhaltung von Vor- und Nachbehaltensfristen
Der BFH bestätigt zunächst seine bisherige Rechtsprechung, dass die in § 6a S. 4 GrEStG genannten Vor- und Nachbehaltensfristen nur insoweit eingehalten werden müssen, als sie aufgrund eines begünstigten Umwandlungsvorgangs auch eingehalten werden können. In Fällen der Verschmelzung zwischen einer abhängigen Gesellschaft und einem herrschenden Unternehmen muss daher nur die Vorbehaltensfrist eingehalten werden (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 22.08.2019, II R 18/19 (II R 62/14)).
Auslegung des Begriffs „herrschendes Unternehmen“
Die Nichterhebung der Steuer setzt nach § 6a S. 3 GrEStG weiter voraus, dass an dem Umwandlungsvorgang ausschließlich ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere abhängige Gesellschaften i.S. des § 6a S. 4 GrEStG beteiligt sind. Welches Unternehmen dabei „herrschendes Unternehmen“ und welche Gesellschaft „abhängige Gesellschaft“ i.S. dieser Vorschrift ist, richtet sich aus Sicht des BFH nach dem jeweiligen Umwandlungsvorgang, für den die Steuer nach § 6a S. 1 GrEStG nicht erhoben werden soll.
Soweit das Gesetz von einem herrschenden Unternehmen spricht, sei zunächst – soweit vorhanden – das am steuerbaren Umwandlungsvorgang unmittelbar beteiligte Unternehmen gemeint. Unerheblich sei daher, ob bei mehrstufigen Beteiligungen das herrschende Unternehmen selbst von einem oder weiteren Unternehmen abhängig ist. Ebenso wenig sei maßgebend, ob bei abhängigen Gesellschaften weitere Gesellschaften vom herrschenden Unternehmen abhängen, wenn diese Unternehmen oder Gesellschaften selbst nicht am Umwandlungsvorgang beteiligt sind.
Diese Auslegung folgt nach Auffassung des BFH dem Wortlaut des § 6a S. 3 GrEStG sowie der Systematik der Norm. Sie entspreche ferner dem Zweck der Steuerbegünstigung, mit der der Gesetzgeber Umstrukturierungen innerhalb von Konzernen erleichtern wollte, damit Unternehmen flexibel auf Veränderungen der Marktverhältnisse reagieren können. Sie stehe ferner auch nicht im Widerspruch zu dem durch § 6a S. 3 u. 4 GrEStG verfolgten Zweck, ungewollte Mitnahmeeffekte zu vermeiden. Denn in Verschmelzungsfällen müsse in jedem Fall die Vorbehaltensfrist gewahrt sein. Kurzfristige Gestaltungen, wie sie § 6a S. 3 u. 4 GrEStG verhindern will, seien folglich auch bei Umwandlungsvorgängen innerhalb mehrstufiger Beteiligungsstrukturen ausgeschlossen.
Übertragung der Auslegung auf einen dreistufigen Konzern
Wird z.B. in einem dreistufigen Konzern mit Mutter-, Tochter- und Enkelgesellschaft die Enkelgesellschaft auf die Tochtergesellschaft verschmolzen, ist laut BFH bei diesem Umwandlungsvorgang die Tochtergesellschaft das „herrschende Unternehmen“ und die Enkelgesellschaft die „abhängige Gesellschaft“. Nur in diesem Verhältnis müsse die Beteiligung von 95 % fünf Jahre vor dem Umwandlungsvorgang bestanden haben. Eine Nachbehaltensfrist könne nach den oben dargestellten Grundsätzen umwandlungsbedingt nicht eingehalten werden.
Unerheblich sei, dass die Muttergesellschaft zugleich unmittelbar die Tochter- und mittelbar die Enkelgesellschaft beherrscht, da sie am Umwandlungsvorgang i.S. des § 6a S. 3 GrEStG nicht beteiligt ist. Auch für die Beachtung der Nachbehaltensfrist ist laut BFH die Beteiligung der Muttergesellschaft an der Tochtergesellschaft unmaßgeblich.
Ergebnis
Übertragen auf den zugrundeliegenden Streitfall waren nach Auffassung des BFH an dem Umwandlungsvorgang die K-GmbH als herrschendes Unternehmen und die D-GmbH als abhängige Gesellschaft beteiligt. Die K-GmbH war dabei i.S. des § 6a S. 4 GrEStG vor dem Umwandlungsvorgang mehr als fünf Jahre zu 100 % an der D-GmbH beteiligt. Dass die K-GmbH umwandlungsbedingt nicht weitere fünf Jahre an der D-GmbH beteiligt blieb, sei unerheblich.
Darüber hinaus führe auch die Veräußerung der Anteile der F-AG an der E-GmbH innerhalb von fünf Jahren seit der Verschmelzung nicht zu einer Nachversteuerung, denn beide Gesellschaften waren an dem steuerbaren Umwandlungsvorgang, für den nach § 6a S. 1 GrEStG die Steuer nicht erhoben wurde, nicht i.S. von § 6a S. 3 GrEStG beteiligt.
Betroffene Norm
§ 6a GrEStG
Streitjahr 2011
Anmerkung
Auffassung der Finanzverwaltung
Nach der Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. auch Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 22.09.2020, Tz. 3.1, 6. Absatz; Verfügung der OFD Nordrhein-Westfalen vom 25.03.2021, Tz. 1.2) definiert sich das herrschende Unternehmen i.S. des § 6a GrEStG als der oberste Rechtsträger, der die Voraussetzungen des § 6a S. 4 GrEStG erfüllt und wirtschaftlich tätig ist. Die Voraussetzungen müssen dabei (sofern umwandlungsbedingt möglich) während der gesamten Vorbehaltens- und Nachbehaltensfrist bestehen. Demnach ist der oberste Rechtsträger nach Auffassung der Finanzverwaltung derjenige in einer Kette, der als letztes Glied an der Konzernspitze in seiner Person die Mindestbeteiligungshöhe von 95%, die wirtschaftliche Tätigkeit und die Vorbesitzzeit zu den an der Umwandlung beteiligten Gesellschaften erfüllt. Dieser Verwaltungsauffassung tritt der BFH nun in seiner o.g. Entscheidung entgegen.
Vorinstanz
Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 20.05.2020, 7 K 820/17 GE, EFG 2020, S. 1332, siehe Deloitte Tax-News
Fundstelle
BFH, Urteil vom 28.09.2022, II R 13/20, BStBl II 2023, S. 666
Pressemitteilung Nr. 058/22 vom 01.12.2022
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 22.08.2019, II R 18/19 (altes Az. II R 62/14), BStBl II 2020, S. 352, siehe Deloitte Tax-News
Oberste Finanzbehörden der Länder, Gleich lautende Erlasse vom 22.09.2020, siehe Deloitte Tax News
OFD Nordrhein-Westfalen, Verfügung vom 25.03.2021, S 4518-2014/0006-St 255