BFH: Forderungsverzicht zwischen Gesellschaftern einer GmbH als freigebige Zuwendung
Haben Gesellschafter einer GmbH wirksam vereinbart, dass Leistungen in die Kapitalrücklage gesellschafterbezogen zugeordnet werden, wird jedoch die Kapitalrücklage im Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung abweichend hiervon allen Gesellschaftern entsprechend ihren Beteiligungsquoten zugerechnet, kann der Verzicht auf einen angemessenen Wertausgleich durch den Gesellschafter, der die Leistungen erbracht hat, eine freigebige Zuwendung zugunsten der Mitgesellschafter darstellen.
BFH, Urteil vom 19.06.2024, II R 40/21
Sachverhalt
Der Kläger (K), sein Vater (V) und sein Bruder (B) waren jeweils zu einem Drittel am Gesellschaftsvermögen einer GmbH beteiligt. Eine Zuweisung und Auflösung der Kapitalrücklagen stand den Gesellschaftern im Verhältnis ihrer Beteiligung am Stammkapital zu.
Am 01.07.2006 fassten die Gesellschafter folgenden Beschluss: "Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass jeder Gesellschafter über seinen Teil der Kapitalrücklagen frei verfügen kann und insbesondere bei disquotalen Einlagen jeder Gesellschafter Rechtsinhaber und Eigentümer seines Anteils der Kapitalrücklagen bleibt, die Kapitalrücklagen also nicht im Verhältnis der Beteiligungen zu je 1/3 den Gesellschaftern zugerechnet werden“.
Im Zeitraum zwischen Juli 2006 und Januar 2010 erbrachte V mehrere Bar- und Sachleistungen an die GmbH, die zunächst teilweise auf dem Gesellschafter-Verrechnungskonto verbucht, jedoch später in die Kapitalrücklage der GmbH umgebucht wurden.
Mit notariellem Vertrag vom 15.11.2012 beschlossen die Gesellschafter der GmbH, das Stammkapital zu erhöhen. Zur Übernahme der neuen Geschäftsanteile wurden nur K und B zugelassen. Die Differenz zu den von K und B übernommenen Kapitalerhöhungsgeschäftsanteilen wurde als sonstige Zuzahlung in die Kapitalrücklage der GmbH eingestellt. Infolge der Kapitalerhöhung verringerte sich die Beteiligung des V am Gesellschaftsvermögen der GmbH und erhöhten sich die Beteiligungen von K und B.
Im Gegenzug für den Verzicht des V auf die Teilnahme an der Kapitalerhöhung trafen die Beteiligten mit Vertrag vom 15.11.2012 eine Ausgleichsvereinbarung, in der sie unter anderem festlegten, dass die Veränderung der Kapitalbeteiligungen auch zu einer Veränderung der Ansprüche der Gesellschafter an und auf die Kapitalrücklage, welche bei der Gesellschaft besteht, führt.
Für V ergab sich eine Wertminderung in Bezug auf seine Beteiligung an der GmbH. Bei der Bestimmung des bei V eingetretenen Wertverlusts rechneten sie die Kapitalrücklage der GmbH (vor Kapitalerhöhung) den Gesellschaftern in Höhe von jeweils einem Drittel zu. Zum Ausgleich dieses Verlusts verpflichteten sich K und B zu lebenslänglichen monatlichen Zahlungen an V.
Das Finanzamt sah den Wertverlust des V durch die Ausgleichsvereinbarung vom 15.11.2012 als nicht vollständig ausgeglichen an und erblickte darin eine gemischte Schenkung von V an K und B. Das FG gab der dagegen erhobenen Klage statt.
Entscheidung
Der BFH kommt nun zu dem Ergebnis, dass das FG zu Unrecht angenommen hat, dass der Forderungsverzicht des V im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung der GmbH nicht den Tatbestand der freigebigen Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erfüllt.
Gesetzliche Grundlage
Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gilt als Schenkung unter Lebenden jede freigebige Zuwendung, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. Als Bereicherung kommt dabei grundsätzlich jede Vermögensmehrung sowie jede Minderung von Schulden oder Belastungen beim Bedachten in Betracht. Auch ein Forderungsverzicht kann Gegenstand einer freigebigen Zuwendung sein (BFH-Urteile vom 30.08.2017, II R 46/15).
Gesellschafterbezogene Zuordnung der Kapitalrücklage ist zulässig
Eine von den Beteiligungsquoten abweichende Zuordnung der Kapitalrücklage ist zivilrechtlich zulässig und grundsätzlich auch steuerrechtlich anzuerkennen (vgl. auch BFH-Urteil vom 28.09.2021, VIII R 25/19; so auch R E 7.5 Abs. 11 S. 14 ErbStR 2019).
Die Kapitalrücklage ist zwar Bestandteil des Eigenkapitals der Gesellschaft; dieses steht allein der Gesellschaft und nicht dem Gesellschafter zu (vgl. BFH-Urteil vom 20.07.2018, IX R 5/15). Insbesondere erwirbt der Gesellschafter im Fall einer Einlage in das Gesellschaftsvermögen nicht ein selbständiges Wirtschaftsgut "Beteiligung an der Kapitalrücklage". Die Einzahlung in die Kapitalrücklage ist vielmehr in rechtlicher Hinsicht aufzuspalten in die Zuführung von Kapital zum Vermögen der Gesellschaft (Einlage) und die anschließende Einstellung des zugeführten Betrags in die Kapitalrücklage. Die spätere Einstellung in die Rücklage ist ein rein gesellschaftsinterner Vorgang, deshalb entsteht auch bei Zuführung des Kapitals zu einer Kapitalrücklage nicht eine Berechtigung des Gesellschafters speziell in Bezug auf diese Rücklage, sondern die Einlage verstärkt lediglich die aus der Beteiligung erwachsende Gesellschafterstellung (BFH-Urteil vom 27.04.2000, I R 58/99).
Die Zuordnung der Kapitalrücklage zum Eigenkapital der Gesellschaft schließt es nach allgemeiner Auffassung im Schrifttum jedoch nicht aus, dass Leistungen eines Gesellschafters in die Kapitalrücklage in der Weise gesellschafterbezogen zugeordnet werden können, dass die geleisteten Beträge nur für den Gesellschafter einen Anspruch auf die Kapitalrücklage begründen sollen, der die Leistung ursprünglich erbracht hat.
Freigebige Zuwendung – Verzicht auf einen angemessenen Wertausgleich
Eine solche Vereinbarung entsprechender disquotaler Rückzahlungsansprüche in Bezug auf die Kapitalrücklage kann dazu führen, dass ein späterer Verzicht auf eine derartige Forderung im Verhältnis der Gesellschafter untereinander einen schenkungsteuerbaren Vorgang nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG auslöst.
Im Streitfall
Die Gesellschafter der GmbH haben mit Beschluss vom 01.07.2006 wirksam eine von den Beteiligungsverhältnissen abweichende Zuordnung der Kapitalrücklage zugunsten des V beschlossen.
Durch den Verzicht auf einen vollen Ausgleich des von ihm aufgebrachten Betrags der Kapitalrücklage im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung bei der GmbH hat V eine freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG an K und B bewirkt.
Objektive Bereicherung
Die objektive Bereicherung von K und B liegt darin, dass sie aufgrund des Forderungsverzichts des V die bei diesem aufgrund der Kapitalerhöhung entstandene Wertminderung seines Anteils nicht vollständig ausgleichen mussten. Obwohl die Kapitalrücklage nach dem Gesellschafterbeschluss vom 01.07.2006 allein dem V zustand, wurde sie in der Wertverlustberechnung vom 15.11.2012 allen Gesellschaftern in Höhe ihrer jeweiligen Beteiligungsquote zugerechnet. Hierin liegt ein vermögenswerter Vorteil, um den K und B bereichert worden sind.
Auf Kosten des V bereichert
K und B sind auch, wie es § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erfordert, auf Kosten des V bereichert worden. Denn soweit V auf einen vollen Ausgleich der bei ihm eingetretenen Wertminderung verzichtet hat, ist bei ihm eine entsprechende Vermögensminderung eingetreten. Denn in der notariellen Urkunde vom 15.11.2012 wurde festgelegt, dass "die Veränderung der Kapitalbeteiligung (…) auch zu einer Veränderung der Ansprüche der Gesellschafter an und auf die Kapitalrücklage" führt.
Wille zur Freigebigkeit
Auch das subjektive Erfordernis einer freigebigen Zuwendung, nämlich der Wille des V zur Freigebigkeit, ist erfüllt. Hierfür genügt es, wenn sich der Zuwendende der (Teil-)Unentgeltlichkeit seiner Leistung bewusst ist.
Dem V war bekannt, dass bei der Bestimmung der von K und B zu erbringenden Ausgleichsleistungen die Kapitalrücklage der GmbH den Gesellschaftern im Verhältnis ihrer quotalen Beteiligung am Gesellschaftsvermögen zugerechnet worden war, obwohl die Gesellschafter mit Beschluss vom 01.07.2006 bindend festgelegt hatten, dass jeder Gesellschafter Rechtsinhaber und Eigentümer seines Anteils der Kapitalrücklage bleibt, die Kapitalrücklage also nicht im Verhältnis der Beteiligungen sämtlichen Gesellschaftern zugerechnet werden sollte.
Zutreffende Festsetzung von Schenkungsteuer
Die ermittelten Ausgleichszahlungen konnten den Wertverlust des V nur teilweise ausgleichen. Den Differenzbetrag hat das Finanzamt zu Recht jeweils zur Hälfte bei K und bei B als Bereicherung angesetzt, weil sie jeweils in dieser Höhe durch den Forderungsverzicht des V von ihrer Ausgleichsverpflichtung befreit wurden.
Betroffene Norm
§ 7 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 8 S. 1 ErbStG
Streitjahr: 2012
Anmerkungen
Die Entscheidung des BFH zeigt einmal mehr, dass es im Kontext von Kapitalerhöhungen in die Kapitalrücklage durchaus zahlreiche Fallstricke gibt, die zur Annahme einer Schenkung zwischen den Gesellschaftern führen kann. Entsteht hierbei bei einem Gesellschafter eine Wertminderung seiner Gesellschaftsanteile, so muss bei der Berechnung des Ausgleichsanspruch äußerst gewissenhaft vorgegangen werden, damit das Finanzamt keine gemischte Schenkung erblickt. Auch muss hier auf die sog. Fremdüblichkeit geachtet werden. Dies gilt vor allem, wenn die Gesellschafter – wie im Streitfall – miteinander verwandt sind.
Ferner sollte in der Praxis seitens des steuerlichen Beraters unbedingt darauf hingewiesen werden, dass der Verzicht auf einen solchen Ausgleichsanspruch eine Schenkung an die übrigen Gesellschafter, gegen die sich der Anspruch gerichtet hat, darstellt.
Vorinstanz
Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 24.06.2020, 7 K 2351/17
Fundstelle
BFH, Urteil vom 19.06.2024, II R 40/21
Inhaltsgleich:
BFH, Urteil vom 19.06.2024, II R 41/21
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 30.08.2017, II R 46/15 BStBl. II 2019, S. 38
BFH, Urteil vom 20.07.2018, IX R 5/15, BStBl. II 2019, S. 194, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 27.04.2000, I R 58/99, BStBl. II 2001, S. 168
BFH, Urteil vom 28.09.2021, VIII R 25/19, BFH/NV 2022, S. 267, siehe Deloitte Tax-News