BFH: Kein Zufluss von Arbeitslohn wegen fehlender Insolvenzsicherung
Die fehlende Insolvenzsicherung von Gehaltsansprüchen, die zukünftig noch einzurichtenden sog. Zeitwertkonten gutgeschrieben werden sollen, und das damit einhergehende Risiko des (Wert-)Verlusts eines vom Arbeitgeber nicht erfüllten Lohnanspruchs führen nicht zum Zufluss von Arbeitslohn. Der BFH sieht sich mit dieser Feststellung nicht im Widerspruch zum BMF-Schreiben vom 17.06.2009 betreffend die steuerliche Nicht-Anerkennung von Wertguthabenkonten aufgrund fehlender Zeitwertkontengarantie. Denn im hier vom BFH zu beurteilenden Fall ging es insoweit um eine andere Gestaltung, als eine Wertguthabenvereinbarung nicht bereits getroffen, sondern erst noch zu vereinbaren war.
BFH, Urteil vom 28.06.2023, VI R 28/21
Sachverhalt
Die Klägerin zahlte verschiedenen Arbeitnehmern ab dem Jahr 2008 Gehaltsansprüche wie Prämien und Weihnachtsgeld nicht aus, da sie vereinbarungsgemäß noch einzurichtenden sog. Zeitwertkonten gutgeschrieben werden sollten.
Im November 2011 schloss die Klägerin dann mit den Arbeitnehmern Wertguthabenvereinbarungen über die Führung von Wertkonten zum Zweck der ruhestandsnahen Freistellung ab. Die Wertguthaben wurden durch die X-GmbH geführt und waren gegen das Risiko einer Insolvenz gesichert. Im März 2012 führte die Klägerin die nicht ausgezahlten Arbeitslöhne diesen Wertkonten der Arbeitnehmer zu.
Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass Wertgutschriften auf einem Zeitwertkonto lohnsteuerrechtlich nur dann keinen Zufluss auslösten, wenn bestimmte Vorgaben eingehalten seien, insbesondere eine sog. Zeitwertkontengarantie vorliege. Bis November 2011 seien die Voraussetzungen der Zeitwertkontengarantie wegen fehlender Zeitwertkonten jedoch nicht erfüllt. Die vorher entstandenen und fälligen Gehaltsansprüche seien den Arbeitnehmern deshalb zugeflossen und unterlägen dem Lohnsteuerabzug, den die Klägerin zu Unrecht nicht vorgenommen habe. Das FG der hiergegen erhobenen Klage statt.
Entscheidung
Auch der BFH kommt zu dem Ergebnis, dass die Klägerin ihren Arbeitnehmern nicht dadurch Arbeitslohn zugewandt hat, dass sie einzelne Lohnbestandteile nicht ausgezahlt, sondern einbehalten hat, um die betreffenden Beträge zukünftig einzurichtenden Wertguthabenkonten gutzuschreiben.
Zufluss von Arbeitslohn
Arbeitslohn, der wie Prämien und Weihnachtsgeld nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird (sonstige Bezüge), wird in dem Kalenderjahr bezogen, in dem er dem Arbeitnehmer zufließt. Arbeitslohn ist mit der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht zugeflossen (BFH-Urteil vom 23.08.2017, VI R 4/16). Zuflusszeitpunkt ist dabei der Tag der Erfüllung des Anspruchs des Arbeitnehmers, also der Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber die geschuldete Leistung tatsächlich erbringt (BFH-Urteil vom 22.02.2018, VI R 17/16).
Keine Vorausverfügung, sondern Verzicht auf sofortige Auszahlung
Die Klägerin hat die Lohnbestandteile nicht an ihre Arbeitnehmer ausgezahlt, sondern vielmehr mit ihnen vereinbart, die nicht ausgezahlten Lohnbestandteile zukünftig noch einzurichtenden Wertguthabenkonten zuzuführen. Diese Vereinbarung stellt keine Vorausverfügung der Arbeitnehmer über ihren Arbeitslohnanspruch dar. Vielmehr verzichteten die Arbeitnehmer dadurch lediglich auf die (sofortige) Auszahlung eines Teils ihres Arbeitslohns, wodurch der Zufluss, ähnlich wie bei einer Stundung, hinausgeschoben wurde.
Fehlende Insolvenzsicherung führt nicht zum Zufluss von Arbeitslohn
Ungeachtet dessen hat das Finanzamt einen Zufluss der nicht ausgezahlten Lohnbestandteile angenommen, weil die Arbeitnehmer wegen der erst im November 2011 mit der Klägerin abgeschlossenen Wertguthabenvereinbarungen und der bis dahin fehlenden Zeitwertkontengarantie das Insolvenzrisiko hinsichtlich der für den Aufbau der Wertguthaben vorgesehenen Beträge getragen und daher die wirtschaftliche Verfügungsmacht hierüber erlangt hätten. Dem tritt der BFH mit der Ansicht entgegen, dass die fehlende Insolvenzsicherung und das damit einhergehende Risiko des (Wert-)Verlusts eines vom Arbeitgeber nicht ausgezahlten bzw. nicht erfüllten Lohnanspruchs als solches nicht zum Zufluss von Arbeitslohn führe. Vielmehr sei das Risiko, durch die Insolvenz des Schuldners einen (Wert-)Verlust zu erleiden, jedem (nicht insolvenzgesicherten) Anspruch immanent. Trotzdem führe nach ständiger BFH-Rechtsprechung das bloße Innehaben von Ansprüchen gegen den Arbeitgeber nicht zum Zufluss von Arbeitslohn beim Arbeitnehmer (u.a. BFH-Urteile vom 27.05.1993, VI R 19/92 und vom 18.08.2016, VI R 18/13). Denn das Tragen des Insolvenzrisikos in Bezug auf den Arbeitslohnanspruch begründe (noch) keine wirtschaftliche Verfügungsmacht über das durch die spätere Erfüllung des Anspruchs – und damit das für den Zufluss maßgebliche – Erlangte.
BMF-Schreiben zur Zeitwertkontengarantie nicht anwendbar
Soweit sich das Finanzamt im Hinblick auf die fehlende Zeitwertkontengarantie auf das BMF-Schreiben vom 17.06.2009 beruft, könne die vorliegende Fallgestaltung dort von vornherein nicht angesprochen sein, da es denklogisch ausgeschlossen sei, dass eine erst zu vereinbarende, aber noch nicht abgeschlossene Wertguthabenvereinbarung bereits eine Zeitwertkontengarantie beinhaltet. Dementsprechend werde in dem vorgenannten BMF-Schreiben auch verlangt, dass die "getroffene Vereinbarung" eine Zeitwertkontengarantie vorsieht.
Betroffene Normen
§ 38a Abs. 1 S. 2 und 3 EStG
Streitjahr 2008-2011
Anmerkungen
Keine Entscheidung zu Zeitwertkontengarantie
Für die steuerliche Anerkennung von Wertguthabenkonten verlangt die Finanzverwaltung eine Zeitwertkontengarantie (siehe dazu BMF-Schreiben vom 17.06.2009, unter V. Zeitwertkontengarantie). Höchstrichterlich ist die Frage der Erforderlichkeit einer Zeitwertkontengarantie soweit ersichtlich noch nicht geklärt. In der hier besprochenen Entscheidung hat der BFH die Auffassung vertreten, dass die fehlende Insolvenzsicherung und das damit einhergehende Risiko des (Wert-)Verlusts eines vom Arbeitgeber nicht erfüllten Lohnanspruchs nicht zum Zufluss von Arbeitslohn führen. Der BFH sieht sich damit nicht im Widerspruch zum BMF-Schreiben vom 17.06.2009 betreffend eine fehlende Zeitwertkontengarantie. Denn im hier vom BFH zu beurteilenden Fall ging es insoweit um eine andere Gestaltung, als eine Wertguthabenvereinbarung erst noch zu treffen war. Der BFH hält es für denklogisch ausgeschlossen, dass eine erst zu vereinbarende, aber noch nicht abgeschlossene Wertguthabenvereinbarung bereits eine Zeitwertkontengarantie beinhaltet. Dementsprechend werde in dem vorgenannten BMF-Schreiben auch verlangt, dass die "getroffene Vereinbarung" eine Zeitwertkontengarantie vorsieht. Der BFH musste hier daher nicht entscheiden, ob er sich der in dem o.g. BMF-Schreiben vom 17.06.2009 vertretenen Auffassung anschließen könnte und die Frage der Erforderlichkeit einer Zeitwertkontengarantie für die steuerliche Anerkennung von Wertguthabenkonten bleibt weiterhin offen.
Zivilrechtliche Wirksamkeit einer Vereinbarung zu Wertguthabenkonten ist nicht relevant
Der BFH hat allerdings bereits entschieden, dass es für den Zufluss von Arbeitslohn im Zusammenhang mit einer Wertguthabenvereinbarung nicht auf die (zivilrechtliche) Wirksamkeit der Vereinbarung ankommt, sofern die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis gleichwohl eintreten und bestehen lassen (BFH-Urteile
vom 03.05.2023, IX R 25/21 und vom 04.09.2019, VI R 39/17). Der Zufluss von Arbeitslohn richte sich nach steuerrechtlichen Maßstäben und folglich nicht danach, ob eine Wertguthabenvereinbarung den sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben entspricht.
Offene Frage
Eine andere – im Streitfall ebenfalls nicht entscheidungserhebliche – Frage ist es, welche steuerlichen Rechtsfolgen sich für den Zufluss von Arbeitslohn im Falle der Auflösung des Wertguthabens wegen eines vom Rentenversicherungsträger festgestellten Verstoßes gegen die Zeitwertkontengarantie (§ 7e Abs. 6 SGB IV) ergeben.
Vorinstanz
Thüringer Finanzgericht, Urteil vom 25.11.2021, 4 K 122/18, EFG 2022, S. 120
Fundstelle
BFH, Urteil vom 28.06.2023, VI R 28/21
Weitere Fundstellen
BMF, Schreiben vom 17.06.2009, BStBl. I 2009, S. 1286, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 03.05.2023, IX R 25/21, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 04.09.2019, VI R 39/17
BFH, Urteil vom 22.02.2018, VI R 17/16, BStBl. II 2019, S. 496, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 23.08.2017, VI R 4/16, BStBl. II 2018, S. 208
BFH, Urteil vom 18.08.2016, VI R 18/13, BStBl. II 2017, S. 730, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 27.05.1993, VI R 19/92, BStBl. II 1994, S. 246