BFH: Kein Zufluss von Arbeitslohn bei Zuführungen zu einem Wertguthabenkonto
Zuführungen zu einem Wertguthaben zur Finanzierung eines vorzeitigen Ruhestands stellen keinen gegenwärtig zufließenden Arbeitslohn dar und sind deshalb erst in der Auszahlungsphase zu versteuern. Dies gilt auch für Gutschriften auf dem Wertguthabenkonto eines Fremd-Geschäftsführers einer GmbH (entgegen BMF-Schreiben vom 17.06.2009).
Sachverhalt
Der Kläger war Geschäftsführer einer GmbH, an der er nicht beteiligt war. Er schloss mit der GmbH eine Vereinbarung zur Ansammlung von Wertguthaben zur Finanzierung eines vorzeitigen Ruhestands (Wertguthabenvereinbarung) ab. Darin verzichtete der Kläger auf die Auszahlung laufender Bezüge zum Zweck der Auszahlung in einer späteren Freistellungsphase. Die GmbH unterwarf die Zuführungen zu dem Wertguthaben des Klägers nicht dem Lohnsteuerabzug.
Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass die Wertgutschriften auf dem Zeitwertkonto zum Zufluss von Arbeitslohn beim Kläger führten und forderte die Lohnsteuer nach. Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt.
Entscheidung
Das FG sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Zuführungen zu dem Zeitwertkonto nach der Wertguthabenvereinbarung kein gegenwärtig zufließender Arbeitslohn sind.
Nach § 38a Abs. 1 S. 2 und 3 EStG wird Arbeitslohn, der nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird, in dem Kalenderjahr bezogen, in dem er dem Arbeitnehmer zufließt. Somit unterliegt nur zugeflossener Arbeitslohn der Einkommensteuer und dem Lohnsteuerabzug. Arbeitslohn ist dabei mit der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht zugeflossen (vgl. BFH-Urteil vom 23.08.2017). Zuflusszeitpunkt ist der Tag, an dem der Arbeitgeber die geschuldete Leistung tatsächlich erbringt (vgl. ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 20.11.2008).
Der Kläger habe von der GmbH in Höhe der Gutschriften auf dem Wertguthabenkonto keine Auszahlung erhalten. Darüber hinaus seien dem Kläger die Zuführungen zu dem Wertguthaben nicht durch eine Gutschrift in den Büchern der GmbH zugeflossen, denn der Kläger habe über die Gutschriften nach der mit der GmbH abgeschlossenen Wertguthabenvereinbarung im Streitjahr nicht verfügen können. Die Zuführungen seien dem Kläger auch nicht durch Schuldumwandlung im Zeitpunkt der Gutschriften zugeflossen. Auch eine zum Lohnzufluss führende Lohnverwendungsabrede sei im Streitfall nicht gegeben. Die Wertguthabenvereinbarung sei zudem keine Vorausverfügung des Klägers über seinen Arbeitslohn, die den Zufluss im Zeitpunkt der Gutschrift bewirkt hätte. Vielmehr habe der Kläger mit der Wertguthabenvereinbarung lediglich auf die Auszahlung eines Teils seines Barlohns zugunsten einer Zahlung in der Freistellungsphase verzichtet und folglich über seinen Arbeitslohnanspruch im Sinne einer Einkommensverwendung nicht im Voraus verfügt.
Für Gutschriften auf dem Wertguthabenkonto eines Fremd-Geschäftsführers einer GmbH gelte – entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. BMF-Schreiben vom 17.06.2009) – nichts Anderes. Für das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen Arbeitslohn zufließt, sei die Organstellung als Geschäftsführer ohne Bedeutung. Es bestehe kein Anlass und insbesondere auch keine Rechtsgrundlage, für den Zufluss von Arbeitslohn bei einem angestellten Fremd-Geschäftsführer andere Voraussetzungen zugrunde zu legen als bei sonstigen Arbeitnehmern.
Selbst wenn die Vereinbarung eines Wertguthabenkontos – wie die Finanzverwaltung meint – nicht mit dem Aufgabenbild des Organs einer Körperschaft vereinbar sein sollte (vgl. für den Gesellschafter-Geschäftsführer BFH-Urteil vom 11.11.2015), könne dies den Zufluss der Wertgutschriften auf dem Zeitwertkonto als Arbeitslohn nicht herbeiführen. Denn die Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht richte sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Erlangt der Steuerpflichtige – wie im Streitfall – keine wirtschaftliche Verfügungsmacht über einen Vermögensvorteil, könne daher der Zufluss grundsätzlich auch nicht fingiert werden (vgl. BFH-Urteil vom 15.05.2013).
Besonderheiten bei den Voraussetzungen für den Zufluss von Arbeitslohn seien allenfalls bei beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern einer Kapitalgesellschaft gerechtfertigt.
Betroffene Normen
§ 11 Abs. 1 EStG, § 38 Abs. 1 S. 2, 3 EStG
Streitjahr 2010
Anmerkungen
Die Rechtsauffassung des BFH, wonach Gutschriften auf einem Wertguthabenkonto noch keinen gegenwärtig zufließenden Arbeitslohn darstellen, entspricht auch der Rechtsprechung der FG (z.B. Hessisches FG, Urteil vom 19.01.2012, 1 K 250/11; Niedersächsisches FG, Urteil vom 16.02.2012, 14 K 202/11; FG Düsseldorf, Urteil vom 21.03.2012, 4 K 2834/11 AO; FG Münster, Urteil vom 13.03.2013, 12 K 3812/10 E; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.06.2017, 12 K 1044/15) und der herrschenden Meinung im Schrifttum. Das sieht im Grundsatz auch die Finanzverwaltung so (BMF-Schreiben vom 17.06.2009; Oberfinanzdirektion Frankfurt/M., Rundverfügung vom 09.03.2016).
BMF-Schreiben vom 08.08.2019
Die Ansicht des BFH (und der o.g. FG), dass für Gutschriften auf dem Wertguthabenkonto eines Fremd-Geschäftsführers einer GmbH nichts anderes gelten könne, wurde von der Finanzverwaltung nicht geteilt (BMF-Schreiben vom 17.06.2009). Mit Schreiben vom 08.08.2019 schließt sich das BMF nun der Rechtsauffassung des BFH an und erkennt Zeitwertkonten bei einem Organ einer Körperschaft dann an, wenn der Arbeitnehmer nicht an der Körperschaft beteiligt ist (z. B. Fremd-Geschäftsführer); siehe vorliegendes BFH-Urteil vom 22.02.2018, VI R 17/16. Bei einem Minderheits-Gesellschafter-Geschäftsführer, der an der Körperschaft beteiligt ist, ist das Vorliegen einer vGA zu prüfen. Liegt eine solche nicht vor, sind Vereinbarungen über die Einrichtung von Zeitwertkonten anzuerkennen. Ist der Arbeitnehmer an der Körperschaft beteiligt und beherrscht diese, liegt eine vGA vor (siehe BFH-Urteil vom 11.11.2015, I R 26/15, siehe Deloitte Tax-News). Zeitwertkonten-Modelle sind dann nicht anzuerkennen. Neufassung von Abschnitt A. IV. 2. B. des BMF-Schreibens vom 17.06.2009, BStBl I S. 1286.
Vorinstanz
Finanzgericht Köln, Urteil vom 26.04.2016, 1 K 1191/12, EFG 2016, S. 1238
Fundstellen
BFH, Urteil vom 22.02.2018, VI R 17/16
Pressemitteilung Nr. 30 vom 04.06.2018
siehe zum Thema auch:
BFH, Urteil vom 04.09.2019, VI R 39/17, nicht zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen
Weitere Fundstellen
BMF, Schreiben vom 08.08.2019
BFH, Urteil vom 23.08.2017, VI R 4/16, BStBl II 2018, S. 208
BFH, Urteil vom 11.11.2015, I R 26/15, BStBl II 2016, S. 489, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 15.05.2013, VI R 24/12, BStBl II 2014, S. 495
BFH, Urteil vom 20.11.2008, VI R 25/05, BStBl II 2009, S. 382
BMF, Schreiben vom 17.06.2009, IV C 5 – S 2332/07/004, BStBl I 2009, S. 1286
Oberfinanzdirektion Frankfurt/M., Rundverfügung vom 09.03.2016, DStR 2016, S. 1869
Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 19.01.2012, 1 K 250/11, EFG 2012, S. 1243, siehe Deloitte Tax-News
Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 16.02.2012, 14 K 202/11, EFG 2012, S. 1397 (aus anderen Gründen aufgehoben durch BFH, Urteil vom 27.02.2014, VI R 19/12, BFH/NV 2014, S. 1370), siehe Deloitte Tax-News
Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 21.03.2012, 4 K 2834/11 AO, EFG 2012, S. 1400 (aus anderen Gründen aufgehoben durch BFH, Urteil vom 27.02.2014, VI R 26/12, BFH/NV 2014, S. 1372), siehe Deloitte Tax-News
Finanzgericht Münster, Urteil vom 13.03.2013, 12 K 3812/10 E, EFG 2013, S. 1026 (aus anderen Gründen aufgehoben durch BFH-Urteil vom 27.02.2014, VI R 23/13, BStBl II 2014, S. 894), siehe Deloitte Tax-News
Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 22.06.2017, 12 K 1044/15, EFG 2017, S. 1585, BFH-anhängig: VI R 39/17
