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26.08.2021
Arbeitnehmerbesteuerung/ Sozialversicherung

BFH: Entfernungspauschale bei typischerweise arbeitstäglichem Aufsuchen eines Sammelpunktes

Die Anwendung der Entfernungspauschale gem. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4a S. 3 EStG für Fahrten von der Wohnung des Arbeitsnehmers zu einem Sammelpunkt setzt voraus, dass der Arbeitnehmer den Ort oder das weiträumige Gebiet zur Aufnahme der Arbeit (Sammelpunkt) aufgrund einer Weisung des Arbeitgebers zum einen typischerweise arbeitstäglich und zum anderen auch dauerhaft aufzusuchen hat. Ein "typischerweise arbeitstägliches" Aufsuchen erfordert dabei kein ausnahmsloses Aufsuchen des vom Arbeitgeber festgelegten Orts oder Gebiets an sämtlichen Arbeitstagen des Arbeitnehmers. Ein nach Weisung "typischerweise fahrtägliches" Aufsuchen genügt aber nicht (entgegen Ansicht der Finanzverwaltung).

Sachverhalt

Der Kläger ist bei einer KG als Baumaschinenführer angestellt. Sein Arbeitgeber bescheinigte ihm, keiner ersten Tätigkeitsstätte zugewiesen gewesen zu sein. Der Kläger fuhr jeweils von seiner Wohnung – einer betriebsinternen Anweisung folgend – zunächst zum Betriebssitz des Arbeitgebers, um von dort per Sammelbeförderung an den jeweiligen Arbeitsort (Baustellen) gefahren zu werden. Dies betraf sowohl Fahrten mit täglicher Rückkehr als auch Fahrten zu sonstigen Arbeitsorten, an denen der Kläger (mehrtägig) übernachtete. Die Einsätze auf den „Fernbaustellen“ dauerten i.d.R. die gesamte Woche. Finanzamt und FG waren der Auffassung, dass die Fahrten vom Wohnort zum Betriebssitz des Arbeitgebers (Sammelpunkt) an 145 Tagen lediglich mit der Entfernungspauschale anstelle der geltend gemachten Reisekosten anzusetzen sind.

Entscheidung

Gesetzliche Grundlagen

Hat ein Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte und hat er nach den dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie den diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit dauerhaft denselben Ort typischerweise arbeitstäglich aufzusuchen (sog. Sammelpunkt), ist die Entfernungspauschale i.S.d. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 1 EStG auf die Fahrten von der Wohnung zu diesem Ort entsprechend anzuwenden (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4a S. 3 EStG).

Voraussetzungen für die entsprechende Anwendung der Entfernungspauschale

Nach Auffassung des BFH setzt die entsprechende Anwendung der Entfernungspauschale nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4a S. 3 EStG voraus, dass der Arbeitnehmer aus der Sicht ex ante den Ort oder das weiträumige Gebiet zur Aufnahme der Arbeit aufgrund der Weisung des Arbeitgebers zum einen „typischerweise arbeitstäglich“ und zum anderen auch „dauerhaft“ aufzusuchen hat. Die arbeitsrechtliche Anordnung des Arbeitgebers als solche muss dabei für ihre steuerliche Wirksamkeit nicht dokumentiert werden (vgl. BFH-Urteil vom 04.04.2019, VI R 27/17).

Auslegung eines "typischerweise arbeitstäglichen" Aufsuchens

Der Wortlaut „typischerweise arbeitstäglich“ bringt laut BFH zum Ausdruck, dass das Gesetz gerade kein ausnahmsloses Aufsuchen des vom Arbeitgeber festgelegten Orts oder Gebiets an sämtlichen Arbeitstagen des Arbeitnehmers voraussetzt. Es komme in Übereinstimmung mit der Auffassung des BMF auch nicht darauf an, dass eine bestimmte prozentuale oder tageweise Grenze überschritten wird. Maßgebend sei vielmehr, ob der Arbeitnehmer entsprechend der Weisung des Arbeitgebers den Ort in der Regel aufzusuchen hat. Nicht ausreichend sei es entgegen der Ansicht des BMF jedoch, wenn der Arbeitnehmer bei wechselnden Einsatzorten weiß, dass er an jedem Arbeitstag, an dem er Fahrten von seiner Wohnung aus durchführen wird, immer den vom Arbeitgeber festgelegten Ort vor Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit aufzusuchen hat. Das Gesetz fordere nach dem Wortlaut ein "typischerweise arbeitstägliches" Aufsuchen, so dass ein nur "typischerweise fahrtägliches" Aufsuchen gerade nicht ausreiche.

Auslegung eines „dauerhaften“ Aufsuchens

Ein dauerhaftes Aufsuchen (erste Tätigkeitsstätte) ist nach Ansicht des BFH entsprechend der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 S. 3 EStG zu bejahen, wenn die Anordnung des Arbeitgebers zum Aufsuchen desselben Orts oder desselben weiträumigen Tätigkeitsgebiets unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus erfolgt.

Zurückverweisung an das FG

Der BFH konnte anhand der Feststellungen des FG nicht beurteilen, ob der Kläger für seine Fahrten zum Betriebssitz des Arbeitgebers tatsächlich nur die Entfernungspauschale beanspruchen kann. Unbestritten ist, dass der Kläger keine erste Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 EStG hat. Das FG hat nach Ansicht des BFH allerdings rechtsfehlerhaft ein typischerweise arbeitstägliches Aufsuchen des Betriebssitzes des Arbeitgebers als Sammelpunkt i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a S. 3 EStG allein aufgrund der Anzahl der dorthin unternommenen Fahrten im Verhältnis zu den Gesamtarbeitstagen bejaht.

Vom FG sei vielmehr noch zu prüfen, ob der Kläger gemäß den Weisungen des Arbeitgebers bei einer ex ante Betrachtung den Betriebssitz seines Arbeitgebers als von diesem festgelegten Ort (Sammelpunkt) auch typischerweise arbeitstäglich aufsuchen sollte. Sollte diese Prüfung ergeben, dass von vornherein feststand, dass der Kläger nicht nur auf eintägigen Baustellen eingesetzt werden würde, sondern auch auf mehrtägigen Fernbaustellen, dann hätte von vornherein festgestanden, dass der Kläger den Betriebssitz nur an den Fahrtagen aufsuchen sollte, was eben für den Ansatz der (geringeren) Entfernungspauschale nicht ausreichend sei. Sollte das FG demgegenüber zu der Erkenntnis gelangen, dass der Kläger aus der ex ante Sicht grundsätzlich nur tageweise auf lokalen Baustellen eingesetzt werden sollte, es sich bei den tatsächlich erfolgten wiederholten mehrtägigen Einsätzen auf Fernbaustellen mithin um nicht absehbare Ausnahmen handelte, wäre der Tatbestand des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a S. 3 EStG hingegen erfüllt.

Betroffene Normen

§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4a S. 3 EStG, § 9 Abs. 4 S. 3 EStG

Streitjahr 2014

Anmerkungen

Erstmalige Entscheidung zum sog. Sammelpunkt nach neuem Reisekostenrecht

Mit dem oben dargestellten Urteil hat der BFH erstmals nach der Neuregelung des steuerlichen Reisekostenrechts zum sog. Sammelpunkt entschieden. Der BFH hat damit die in der Praxis häufig streitbefangene Begrifflichkeit des „typischerweise arbeitstäglichen“ Aufsuchens für die Rechtsprechung nunmehr geklärt. Fraglich wird aber sein, ob die Finanzverwaltung das Urteil anwenden oder vielmehr mit einem Nichtanwendungserlass belegen wird. Denn der BFH wähnt sich im Widerspruch zum BMF, wenn er es für die Anwendung der Entfernungspauschale für nicht ausreichend hält, wenn der Arbeitnehmer bei wechselnden Einsatzorten weiß, dass er an jedem Arbeitstag, an dem er Fahrten von seiner Wohnung aus durchführen wird, immer den vom Arbeitgeber festgelegten Ort vor Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit aufzusuchen hat ("typischerweise fahrtägliches" Aufsuchen).

Die Regelung in § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4a S. 3 EStG zu Aufwendungen für Fahrten von der Wohnung des Arbeitsnehmers zu einem Sammelpunkt betrifft lediglich den Ansatz der Entfernungspauschale, also Wegekosten. Den Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen lässt die Vorschrift unberührt. Denn der Arbeitnehmer ist auch in einem solchen Fall „außerhalb seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte“ beruflich tätig und kann daher Verpflegungsmehraufwand nach § 9 Abs. 4a S. 3 EStG (bei einer Abwesenheitszeit von mehr als acht Stunden von der Wohnung) einkünftemindernd geltend machen.

Entscheidung zum tätigkeitsbezogenen Aufsuchen eines Sammelpunkts steht noch aus

Bislang noch nicht entschieden hat der BFH zum tätigkeitsbezogenen Aufsuchen eines Sammelpunkts (oder weiträumigem Tätigkeitsgebiets). In dem hierzu anhängigen Revisionsverfahren wird der BFH sich mit der Frage zu beschäftigen haben, welche Anforderungen an eine erste Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 S. 1 bis 3 EStG zu stellen sind. Konkret geht es darum, in welchem Umfang ein überwiegend im Außendienst tätiger Müllwerker auf dem Betriebshof "tätig werden", d.h. Tätigkeiten ausüben muss, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören, damit der Betriebshof zur ersten Tätigkeitsstätte wird.

Vorinstanz

Thüringer Finanzgericht, Urteil vom 05.12.2018, 1 K 594/16, EFG 2019, S. 261 

Fundstelle

BFH, Urteil vom 19.04.2021, VI R 6/19, BStBl. II 2021, S. 727

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 04.04.2019, VI R 27/17, BStBl II 2019, S. 536, siehe Deloitte Tax-News 

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