FG Münster: Finanzierungsaufwendungen für eigene Räume bei Rückstellungen für gesetzliche Aufbewahrungspflichten
Aufhebung des FG-Urteils durch:
BFH, Urteil vom 11.10.2012, I R 66/11, siehe Deloitte Tax-News
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Voraussichtliche Finanzierungsaufwendungen für eigene Räumlichkeiten können in die Bewertung von Rückstellungen für Aufbewahrungspflichten als Einzel- bzw. Gemeinkosten nur dann einbezogen werden, wenn ein tatsächlicher Verwendungszusammenhang besteht.
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten darum, ob bei der Bewertung einer Rückstellung für die Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen Finanzierungskosten für die eigenen hierfür genutzten Räumlichkeiten einzubeziehen sind.
In ihrem Jahresabschluss 2005 setzte die Klägerin (Sparkasse) eine Rückstellung für die Verpflichtung zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen an. In diesem Betrag waren auch Finanzierungskosten enthalten, die auf die eigenen Archivräume entfielen. Der Betrag dieser Finanzierungsaufwendungen ergebe sich auf der Basis der durchschnittlichen Passivverzinsung und der Restbuchwerte für die jeweiligen Grundstücke und Gebäude (sog. Poolfinanzierung). Das Finanzamt lehnte die Berücksichtigung der Finanzierungsaufwendungen im Rahmen der - dem Grunde nach unstreitigen - Rückstellung ab.
Entscheidung
Das Finanzamt hat die von der Klägerin gebildete Rückstellung für die Verpflichtung zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen zu Recht insoweit nicht anerkannt, als diese sich auf die hier in Rede stehenden voraussichtlichen Finanzierungsaufwendungen bezog.
Für die gesetzliche Verpflichtung zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen ist eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten nach § 249 Abs. 1 1. Fall HGB i.V.m. § 5 Abs. 1 S. 1 EStG, § 8 Abs. 1 S. 1 KStG zu bilden (vgl. BFH-Urteile vom 19.08.2002 und 18.01.2011). Demnach war seitens der Klägerin dem Grunde nach eine Rückstellung der vorgenannten Art zu bilden.
Nach dem im Streitfall anwendbaren § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG a.F. sind Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen mit den Einzelkosten und den angemessenen Teilen der notwendigen Gemeinkosten zu bewerten. Der Senat geht davon aus, dass diese Vorschrift eine eigenständige steuerrechtliche Bewertungsregelung für Rückstellungen der vorgenannten Art enthält, die als solche sowie aufgrund des Bewertungsvorbehalts (§ 5 Abs. 6 EStG) den allgemeinen handelsrechtlichen Bewertungsregelungen vorgeht.
Im Streitfall sind die von der Klägerin angesetzten voraussichtlichen Finanzierungsaufwendungen weder als Einzel- noch als Gemeinkosten in die Rückstellung einzubeziehen. Voraussichtliche Finanzierungsaufwendungen können nämlich nur dann als Einzel- oder evtl. auch als Gemeinkosten anzusehen sein, wenn sie durch die zu erbringende Sachleistungsverpflichtung (hier: die Aufbewahrung der Geschäftsunterlagen) veranlasst sind bzw. sein werden. Hierbei geht der Senat davon aus, dass eine solche Veranlassung nur dann anzunehmen ist, wenn die entsprechende Verbindlichkeit bzw. das Darlehen, welches die Finanzierungsaufwendungen auslöst bzw. voraussichtlich auslösen wird, tatsächlich zur Erbringung der Sachleistungsverpflichtung verwendet worden ist bzw. zumindest voraussichtlich verwendet werden wird. Es ist ein "tatsächlicher Verwendungszusammenhang" erforderlich, wie er auch sonst für die Einordnung von Finanzierungsaufwendungen bzw. Schuldzinsen als Betriebsausgaben i.S.v. § 4 Abs. 4 EStG verlangt wird. Dieser Verwendungszusammenhang ist jedoch im Streitfall nicht erkennbar.
Die von der Klägerin geltend gemachten voraussichtlichen Finanzierungsaufwendungen beruhen lediglich auf der von ihr berechneten durchschnittlichen Passivverzinsung, die sie auf die (anteiligen) Restbuchwerte der entsprechenden Grundstücke und Gebäude angewendet hat. Nach Angaben der Klägerin ist es auch nicht möglich, ihre Refinanzierung einzelnen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens und insbesondere nicht etwa der Anschaffung oder Herstellung der Betriebsgebäude zuzuordnen. Vielmehr würden ihre gesamten verfügbaren liquiden Mittel in Form der Eigen- wie auch der aufgenommenen Fremdmittel in einen "Pool" gegeben, der ihrer Liquiditätssteuerung diene. Da sämtliche Auszahlungen und insbesondere auch die Mittel für die Anschaffung oder Herstellung der Betriebsgebäude aus diesem "Pool" geleistet würden, fehle jede Möglichkeit, die konkrete Verwendung der aufgenommenen Fremdmittel nachzuverfolgen.
Der Senat verkennt nicht, dass angesichts der von der Klägerin geltend gemachten und nach ihrem Vorbringen bei Kreditinstituten üblichen Fremdkapitalquote eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass in den dem "Pool" entnommenen Geldmitteln, die für die Anschaffung oder Herstellung der entsprechenden Betriebsgebäude verwendet wurden, auch Fremdmittel enthalten waren. Dies dürfte ebenso für die ggf. inzwischen für eine Tilgung dieser Fremdmittel verwendeten Geldmittel gelten. Zwingend ist dies jedoch nicht. Angesichts dessen sieht der Senat keine Möglichkeit, einen Anteil der bei der Klägerin insgesamt anfallenden Finanzierungsaufwendungen zu schätzen und diesen den Archivräumen bzw. damit der von der Klägerin zu erbringenden Aufbewahrung der Geschäftsunterlagen zuzuordnen. Für eine solche Schätzung bietet nach Auffassung des Senats auch der Begriff der Gemeinkosten in § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG keine hinreichende Grundlage.
Betroffene Norm
§ 249 Abs. 1 S. 1 HGB; § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002
Streitjahr 2005
Fundstelle
Finanzgericht Münster, Urteil vom 15.06.2011, 9 K 501/08 K; BFH, Urteil vom 11.10.2012, I R 66/11
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 19.08.2002, VIII R 30/01, BStBl II 2003, S. 131
BFH, Urteil vom 18.01.2011, X R 14/09, BStBl II 2011, S. 794, siehe Deloitte Tax-News