BFH: Rückstellungen für Pensionsverpflichtungen im Falle eines Schuldbeitritts
Rückstellungen für Pensionsverpflichtungen sind nicht zu bilden, wenn eine Inanspruchnahme am maßgeblichen Bilanzstichtag infolge eines Schuldbeitritts nicht (mehr) wahrscheinlich ist. Ein Freistellungsanspruch wegen des Schuldbeitritts zu den Pensionsverpflichtungen ist in einem solchen Fall nicht zu aktivieren (gegen BMF-Schreiben vom 16.12.2005).
Sachverhalt
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine KG, hatte ihren Mitarbeitern einen Anspruch auf Alters- und Invalidenrente eingeräumt. Im Streitjahr 2002 vereinbarte die Klägerin mit einer konzernverbundenen GmbH einen entgeltlichen Schuldbeitritt, mit dem Letztere sich verpflichtete, als weitere Schuldnerin für die Pensionszusagen der Klägerin gegenüber namentlich bezeichneten Pensionsberechtigten einzustehen. Die Klägerin hatte dafür ein sofort fälliges Basisentgelt zu zahlen, bei dem es sich um die Summe der nach den damaligen Erkenntnissen ermittelten Barwerte der Zahlungsverpflichtungen gegenüber den einzelnen Pensionsberechtigten handelte. Im Innenverhältnis war die GmbH verpflichtet, die Zahlungen aus den Pensionsverpflichtungen unter Ausschluss eines Ausgleichsanspruchs zu leisten. Sofern - davon abweichend - die Klägerin in Anspruch genommen werden sollte, hatte sie die Zahlungen im Innenverhältnis für Rechnung der GmbH vorzunehmen, die diese einmal jährlich nachschüssig auszugleichen hatte.
Die Klägerin wies daraufhin für die vom Schuldbeitritt betroffenen Verpflichtungen in ihrer Handels- und Steuerbilanz zum 31.12.2002 keine Pensionsrückstellungen mehr aus. Dem folgte das Finanzamt nach einer Betriebsprüfung nicht mehr. Die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren gerichtete Klage hatte Erfolg.
Das BMF, das dem Verfahren beigetreten ist, vertritt die Auffassung, die Pensionsverpflichtungen seien nach § 6a EStG zu passivieren gewesen.
Entscheidung
Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin weder Rückstellungen für die vom Schuldbeitritt betroffenen Pensionsverpflichtungen zu bilden noch einen Freistellungsanspruch gegen die beitretende GmbH zu aktivieren hatte.
Die Verpflichtung der Klägerin, ihren Mitarbeitern künftig Versorgungsleistungen zu erbringen, ist eine ungewisse Verbindlichkeit (§ 249 Abs. 1 S. 1 HGB). Eine Rückstellung darf dafür nur gebildet werden, wenn aus der Sicht des Bilanzstichtags eine Inanspruchnahme wahrscheinlich ist (u.a. BFH-Urteil vom 18.12.2001). Ist die Inanspruchnahme nicht wahrscheinlich, besteht handelsrechtlich ein Passivierungsverbot, das wegen der Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen Grundsätze für die Gewinnermittlung (§ 5 Abs. 1 EStG) auch steuerrechtlich zu beachten ist. Das gilt auch im Anwendungsbereich des § 6a EStG (BFH-Urteil vom 08.10.2008).
Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das FG zu Recht entschieden, dass die Klägerin die streitigen Rückstellungen für Versorgungsleistungen nicht zu bilden hatte, weil ihre Inanspruchnahme am maßgeblichen Bilanzstichtag nicht (mehr) wahrscheinlich war. Zwar schuldete die Klägerin den Versorgungsberechtigten weiterhin künftige Versorgungsleistungen; ihre Inanspruchnahme war jedoch infolge des Schuldbeitritts der GmbH nicht (mehr) wahrscheinlich. Da nach dem Innenverhältnis der Gesamtgläubiger allein die (leistungsfähige) GmbH künftig zu den Versorgungsleistungen verpflichtet war, waren die Pensionsrückstellungen von der GmbH und nicht von der Klägerin zu passivieren.
Einen Freistellungsanspruch gegen die GmbH wegen des Schuldbeitritts zu den Pensionsverpflichtungen hat die Klägerin ebenfalls in zutreffender Weise nicht aktiviert. Denn die Verpflichtung der GmbH zur Freistellung der Klägerin, falls diese künftig aus den Pensionsverpflichtungen in Anspruch genommen werden sollte, ist bei dieser - wie das FG zutreffend entschieden hat - schon deshalb kein bilanzierungsfähiges Wirtschaftsgut, weil bereits die künftige Inanspruchnahme aus den Pensionsverpflichtungen ungewiss und für deren Passivierung nicht hinreichend wahrscheinlich ist. Da das Entgelt für den Schuldbeitritt unstreitig sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach betrieblich veranlasst war, führt es - mangels Erfüllung der Voraussetzungen für die Aktivierung eines Wirtschaftsguts - zu sofort abziehbaren Betriebsausgaben (vgl. BFH-Urteil vom 08.09.2011). Der wirtschaftliche Wert der Ansprüche, die die Klägerin aus dem Schuldbeitritt der GmbH gegen diese hat, spiegelt sich bilanziell allein darin wider, dass die ungewisse Verbindlichkeit aus den Pensionszusagen nicht mehr als Passivposten auszuweisen ist.
Die Einwände des Finanzamtes und des BMF rechtfertigen die weitere Passivierung von Pensionsrückstellungen und die Aktivierung eines Freistellungsanspruchs nicht. Die im Streitfall in den vorausgegangenen Bilanzen gebildeten Pensionsrückstellungen sind aufzulösen, weil sich die für ihre Bildung maßgeblichen Verhältnisse - entgegen der Auffassung des Finanzamtes und des BMF - geändert haben. Die Klägerin hat die stillen Lasten im Wege des entgeltlichen Schuldbeitritts mit Erfüllungsübernahme durch die GmbH realisiert; eine Inanspruchnahme aus den fortbestehenden rechtlichen Verpflichtungen war nicht mehr wahrscheinlich. Die Auffassung des BMF, dass sich das Risiko der Inanspruchnahme für die Klägerin nicht geändert habe, ist nicht nachvollziehbar. Es trifft auch nicht zu, dass der Schuldbeitritt lediglich das Innenverhältnis zwischen Klägerin und GmbH berührt; vielmehr erhielten die Versorgungsberechtigten einen unmittelbaren Anspruch gegen die GmbH als Gesamtschuldnerin.
Betroffene Norm
§ 6a EStG
Streitjahr 2002
Vorinstanz
Finanzgericht Münster, Urteil vom 19.08.2009, 11 K 2899/06 F, EFG 2009, S. 1922
Fundstelle
BFH, Urteil vom 26.04.2012, IV R 43/09, BStBl II 2017 Seite 1228
Weitere Fundstellen
BMF, Schreiben vom 16.12.2005, IV B 2 -S 2176- 103/05, BStBl I 2005, S. 1052
BFH, Urteil vom 18.12.2001, VIII R 27/00, BStBl II 2002, S. 733
BFH, Urteil vom 08.10.2008, I R 3/06, BStBl II 2010, S. 186
BFH, Urteil vom 08.09.2011, IV R 5/09, BStBl II 2012, S. 122, siehe Deloitte Tax-News