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09.12.2020
Rechnungslegung

BFH: Passivierung von Verbindlichkeiten bei Rangrücktritt

Ein unter der Maßgabe erklärter Rangrücktritt, dass Verpflichtungen nicht nur aus künftig entstehenden Gewinnen und Einnahmen, sondern auch aus „sonstigem freien Vermögen“ zu bedienen sind, löst selbst dann weder handels- noch steuerbilanziell ein Passivierungsverbot aus, wenn der Schuldner aufgrund einer fehlenden operativen Geschäftstätigkeit aus der Sicht des Bilanzstichtages nicht in der Lage ist, freies Vermögen zu schaffen, und eine tatsächliche Belastung des Schuldnervermögens voraussichtlich nicht eintreten wird. Denn die reale Erfüllungsfähigkeit ist für die Passivierung einer Verbindlichkeit irrelevant.

Sachverhalt

Eine GmbH, die im Streitzeitraum keine operativen Tätigkeiten ausübte, hatte Verbindlichkeiten gegenüber ihrer Alleingesellschafterin. Diese erklärte im Jahr 2007 zur Abwendung der Überschuldung der GmbH für einen Teil ihrer Forderungen hinter die Forderungen aller anderen Gläubiger in der Weise zurückzutreten, dass ihre Forderungen nur aus künftigen Jahresüberschüssen, einem Liquidationserlös oder aus einem die sonstigen Verbindlichkeiten der Gesellschaft übersteigenden freien Vermögen zu bedienen sind. In 2008 verzichtete die Alleingesellschafterin erneut auf einen Teil der Forderungen. Das Finanzamt war der Auffassung, dass aufgrund der fehlenden operativen Geschäftstätigkeit sowie der Vermögenslosigkeit der GmbH nicht mit einer Rückzahlung der Verbindlichkeiten zu rechnen sei und löste die bestehenden Verbindlichkeiten (abzgl. des freien Vermögens) gewinnerhöhend auf. Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt. 

Entscheidung

Der BFH gelangt in Übereinstimmung mit der Ansicht des FG zu dem Schluss, dass eine erfolgswirksame Auflösung der bestehenden Verbindlichkeiten nicht in Betracht kommt.

Kein handelsbilanzielles Passivierungsverbot

Eine Schuld ist gem. § 247 Abs. 1 HGB in der Handelsbilanz zu passivieren, wenn der Unternehmer zu einer dem Inhalt und der Höhe nach bestimmten Leistung an einen Dritten verpflichtet ist, die vom Gläubiger erzwungen werden kann und eine wirtschaftliche Belastung darstellt (vgl. BFH-Urteile vom 30.11.2011, I R 100/10 und vom 15.04.2015, I R 44/14). Keine wirtschaftliche Belastung stellt dabei nach der Rechtsprechung des BFH eine Verbindlichkeit dar, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr erfüllt werden muss. Für diese Annahme genügt es indes nicht, dass der Schuldner überschuldet ist (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 28.09.2016, II R 64/14). Dies entspricht auch der Verwaltungsauffassung (vgl. BMF-Schreiben vom 08.09.2006; OFD Frankfurt a.M., Verfügungen vom 30.06.2017 und vom 03.08.2018). 

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze steht die Rangrücktrittsvereinbarung nach Auffassung des BFH aus handelsbilanzieller Sicht einer weiteren Passivierung der gegenüber der Alleingesellschafterin bestehenden Verbindlichkeiten nicht entgegen. 

Umfang des steuerbilanziellen Passivierungsverbots nach § 5 Abs. 2a EStG

Die Regelung des § 5 Abs. 2a EStG sieht vor, dass für Verpflichtungen, die nur zu erfüllen sind, soweit künftige Einnahmen oder Gewinne anfallen, Verbindlichkeiten oder Rückstellungen erst anzusetzen sind, wenn die Einnahmen oder Gewinne angefallen sind. Das Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG setzt nach ständiger BFH-Rechtsprechung voraus, dass sich der Anspruch des Gläubigers verabredungsgemäß nur auf künftiges Vermögen des Schuldners – damit nicht auf am Bilanzstichtag vorhandenes Vermögen – bezieht (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 10.07.2019, XI R 53/17). Die Regelung des § 5 Abs. 2a EStG ist dabei nicht anwendbar, wenn die Verbindlichkeit auch aus sonstigem Vermögen, dem sog. freien Vermögen, zu tilgen ist (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 28.09.2016, II R 64/14; so auch BMF-Schreiben vom 08.09.2006, Tz. 6 und OFD Frankfurt a.M., Verfügungen vom 30.06.2017 und vom 03.08.2018).

Kein steuerbilanzielles Passivierungsverbot

Nach diesen Grundsätzen löst die streitgegenständliche Rangrücktrittsvereinbarung aus Sicht des BFH auch kein steuerbilanzielles Passivierungsverbot aus. Etwas Anderes ergebe sich im Streitfall auch nicht daraus, dass freies Vermögen mit Ausnahme einer Forderung am maßgeblichen Bilanzstichtag weder vorhanden war noch die konkrete Möglichkeit bestand, freies Vermögen zu schaffen. Das wirtschaftliche Unvermögen des Schuldners ist also unerheblich; vielmehr kommt es allein auf den rechtlichen Gehalt der vereinbarten Durchsetzungssperre an (vgl. BFH-Urteil vom 10.08.2016, I R 25/15). 

Aus § 5 Abs. 2a EStG ergebe sich nicht, dass die Bezugnahme in einer Rangrücktrittsabrede auf das die sonstigen Verbindlichkeiten übersteigende Vermögen die Pflicht des Schuldners, Verbindlichkeiten zu passivieren, der Höhe nach auf den Umfang des im Zeitpunkt der Erklärungsabgabe tatsächlich vorhandenen freien Vermögens beschränken würde. Es reiche aus, dass auf das "freie" Vermögen Bezug genommen wird, unabhängig davon, ob und in welcher Höhe dieses am zu beurteilenden Bilanzstichtag tatsächlich vorhanden ist. Der dahingehende Zukunftsbezug, dass das in Bezug genommene Vermögen erst noch erwirtschaftet werden muss, wäre zwar faktisch, nicht jedoch rechtlich gegeben. Dieser faktische Zukunftsbezug ist nach Ansicht des BFH jedoch irrelevant, da die reale Erfüllungsfähigkeit für die Passivierung einer Verbindlichkeit irrelevant ist; nur die rechtliche Verknüpfung ist im Rahmen des § 5 Abs. 2a EStG maßgeblich. 

Im Übrigen zeigt der Streitfall, dass allein die Einstellung der operativen Tätigkeit nicht die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit für den Wegfall der wirtschaftlichen Belastung bietet, da die GmbH ihre operative Tätigkeit nach mehr als zehn Jahren wieder aufgenommen hat, so der BFH.

Betroffene Normen

​§ 5 Abs. 2a EStG

​Streitjahr ​2008

Anmerkungen

Einordnung in die bisherige Rechtsprechung des BFH

Im Urteil vom 10.08.2016 (I R 25/16) hatte der BFH bereits festgestellt, dass eine Rangrücktrittsvereinbarung, die vorsieht, dass die Verbindlichkeit (auch) aus sog. freiem Vermögen zu tilgen ist, nicht zur Folge hat, dass die Verpflichtung bei Vermögenslosigkeit des Schuldners im handels- oder steuerrechtlichen Abschluss auszubuchen ist. Noch deutlicher formulierte der BFH in dem kurze Zeit später ergangenen Urteil vom 28.09.2016 (II R 64/14), dass § 5 Abs. 2a EStG auf Rangrücktrittsvereinbarungen nicht anwendbar ist, wenn die Verbindlichkeit auch aus sonstigem Vermögen, dem sog. freien Vermögen, zu tilgen ist. Eine Vereinbarung, nach der der Gläubiger mit seiner Forderung hinter die Forderungen aller anderen Gläubiger in der Weise zurücktritt, dass sie nur aus künftigen Gewinnen oder aus dem die sonstigen Verbindlichkeiten des Schuldners übersteigenden Vermögen bedient zu werden braucht, schließe die Bilanzierung der Verbindlichkeit gegenüber dem Gläubiger nicht aus. Dies entsprach schon bisher der Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. BMF-Schreiben vom 08.09.2006).

Klärungsbedürftig war aber noch, wie sich die Einbindung des sonstigen freien Vermögens in die Rangrücktrittserklärung in der hier vorliegend gegebenen Konstellation auswirkt, in der der Schuldner aufgrund einer fehlenden operativen Geschäftstätigkeit aus der Sicht des Bilanzstichtages nicht in der Lage sein wird, freies Vermögen zu schaffen und dass eine tatsächliche Belastung des Schuldnervermögens nicht eintritt. Diese Frage hat der BFH nun im hier besprochenen Urteil vom 19.08.2020 (XI R 32/18) dahingehend beantwortet, dass eine Rangrücktrittserklärung, die die Erfüllung der Verpflichtung nicht nur aus zukünftigen Gewinnen und Einnahmen, sondern auch aus sonstigem freien Vermögen vorsieht, selbst dann weder handels- noch steuerbilanziell ein Passivierungsverbot auslöst, wenn der Schuldner aufgrund einer fehlenden operativen Geschäftstätigkeit aus der Sicht des Bilanzstichtages nicht in der Lage ist, freies Vermögen zu schaffen, und eine tatsächliche Belastung des Schuldnervermögens voraussichtlich nicht eintreten wird. 

Schaffung von Rechtssicherheit für die Praxis

Die vorliegende Entscheidung des BFH ist auch deshalb für die Praxis erfreulich, da sie der Rechtssicherheit dient. Wäre der BFH in dem dargestellten Urteil zur gegenteiligen Auffassung gelangt, wäre in vielen Fällen, in denen wegen einer finanziellen Schieflage eine Rangrücktrittsvereinbarung getroffen wurde, zu jedem Bilanzstichtag eine Schattenliquidationsrechnung zur Beantwortung der Frage, ob und inwieweit zum jeweiligen Bilanzstichtag „sonstiges Vermögen“ tatsächlich vorhanden ist, vorzunehmen.

Vorinstanz

Finanzgericht Münster, Urteil vom 13.09.2018, 10 K 504/15 K,G,F, siehe Deloitte Tax-News 

Fundstelle

BFH, Urteil vom 19.08.2020, XI R 32/18, BStBl. II 2021, S.279

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 10.07.2019, XI R 53/17, BStBl II 2019, S. 803, siehe Deloitte Tax-News

BFH, Urteil vom 28.09.2016, II R 64/14, BStBl II 2017, S. 104

BFH, Urteil vom 10.08.2016, I R 25/15, BStBl II 2017, S. 670, siehe Deloitte Tax-News 

BFH, Urteil vom 15.04.2015, I R 44/14, BStBl II 2015, S. 769, siehe Deloitte Tax-News

BFH, Urteil vom 30.11.2011, I R 100/10, BStBl II 2012, S. 332, siehe Deloitte Tax-News 

OFD Frankfurt a.M., Verfügung vom 03.08.2018, DStR 2019, S. 560

OFD Frankfurt a.M., Verfügung vom 30.06.2017, GmbHR 2017, S. 1176

BMF, Schreiben vom 08.09.2006, BStBl I 2006, S. 497​​

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