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12.02.2010
Rechnungslegung

BFH: Passivierung „angeschaffter“ Drohverlustrückstellungen

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine GmbH, die im Streitjahr 1998 ein Unternehmen zur Erbringung von interaktiven multimedialen Diensten betrieb. Sie hatte durch Kauf- und Übertragungsvertrag mit der konzernangehörigen M-GmbH sämtliche einem bestimmten Geschäftsbereich der M-GmbH zuzuordnenden aktiven und passiven Wirtschaftsgüter erworben. Im Rahmen dieses Erwerbes wurden auch die Verpflichtungen aus zwei Verträgen zur Anmietung eines Satelliten sowie einer Antennenanlage von der M-GmbH gegenüber den Vermietern übernommen. Da beide Mietverträge bereits für die M-GmbH keinen wirtschaftlichen Nutzen mehr versprachen, hatte diese handelsbilanziell eine entsprechende sog. Drohverlustrückstellung gebildet. Mit der Übernahme des vertraglich bestimmten Geschäftsbereichs durch die Klägerin hatte diese die Verlustrückstellungen im Erwerbszeitpunkt passiviert und zum Bilanzstichtag beibehalten. Nach Durchführung einer Außenprüfung war das Finanzamt der Auffassung, dass die Klägerin zwar verpflichtet gewesen sei, die Drohverlustrückstellung im Zeitpunkt des Erwerbes zu bilden, der Ansatz einer solchen Verlustrückstellung in der Schlussbilanz jedoch nach § 5 Abs. 4a EStG 1997 nicht mehr zulässig sei. Die Rückstellung sei daher aufzulösen.

Entscheidung

Gem. § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 5 Abs. 1 S. 1 EStG 1997 hat die Klägerin in ihren Bilanzen das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) auszuweisen ist. Zu den wesentlichen GoB zählt das Gebot, Gewinne nur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind. Daraus folgt, dass Anschaffungsvorgänge erfolgsneutral zu behandeln sind. Eine Gewinnrealisierung kann nur aufgrund nachfolgender betrieblicher Umsatzakte erfolgen. 

Der Grundsatz der erfolgsneutralen Behandlung von Anschaffungsvorgängen findet auch auf übernommene Passivpositionen Anwendung. Dies gilt nach Auffassung des BFH unabhängig davon, ob der Ausweis dieser Passivpositionen in der Steuerbilanz einem - von der Handelsbilanz abweichenden - Ausweisverbot ausgesetzt ist. Denn auch die Übernahme steuerrechtlich zu Recht nicht bilanzierter Verbindlichkeiten ist Teil des vom Erwerber zu entrichtenden Entgelts und erhöht mithin dessen Anschaffungskosten. Das gilt auch für das entsprechende Verbot, Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften zu passivieren (§ 5 Abs. 4a EStG 1997). Denn dieses Verbot will (lediglich) am Stichtag bereits vorhandene Verluste entgegen den Vorgaben des (handels-)bilanzrechtlichen Imparitätsprinzips auf künftige Veranlagungszeiträume verlagern: Steuerbilanziell wird der Verlust aus schwebenden Geschäften damit erst bei seiner Realisation erfolgswirksam, nicht bereits bei seiner Entstehung. Wird der verlustbedrohte Vertrag aber entgeltlich gegen Schuldübernahme erworben, dann ist der Erwerber im Verhältnis zum Veräußerer verpflichtet, ihn von der gegenüber dem Gläubiger der Schuld weiter bestehenden Zahlungspflicht - im Streitfall die Verpflichtung zur Mietzahlung - freizustellen. Bei dieser Freistellungsverpflichtung handelt es sich nicht um den Teil eines schwebenden Geschäfts. Denn das Geschäft wurde infolge des Erwerbsvorgangs bereits erfüllt. Die Freistellungsverpflichtung ist daher vom Erwerber sowohl in der Handels- als auch in der Steuerbilanz nach den für ungewisse Verbindlichkeiten geltenden Grundsätzen und nicht als Drohverlustrückstellung zu passivieren. 

Daher ist auch die Ansicht des Finanzamts im Streitfall abzulehnen, den eigentlichen Anschaffungsvorgang von der (nachfolgenden) Bilanzierung auf den Bilanzstichtag und damit den erfolgsneutralen Anschaffungsvorgang und den rückstellungsgesperrten Bilanzansatz voneinander zu trennen. Umfang und Höhe der Anschaffungskosten werden durch tatsächliche Gegebenheiten bestimmt. In diesem Umfang und in jener Höhe, in denen sie tatsächlich entstanden sind, gehen sie erfolgsneutral in die (nachfolgende) Bilanzierung ein. Dabei darf ihr Bewertungsansatz (nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997) weder über- noch unterschritten werden. Dies betrifft auch "miterworbene" Schulden in Gestalt – ursprünglich - drohender Verluste aus schwebenden Geschäften, die als solche einem steuerlichen Ausweisverbot unterworfen sind. Denn andernfalls würde genau jener "Erwerbsgewinn" ausgewiesen, der dem Anschaffungskostenbegriff fremd ist.

Anmerkung

Ebenso hat der BFH mit Urteil vom 14.12.2011 festgestellt, dass bei dem Erwerber des Betriebs, der Verbindlichkeiten für Jubiläumszuwendungen und für Beiträge an den Pensionssicherungsverein übernommen hat, diese Verbindlichkeiten keinem Passivierungsverbot zu unterwerfen, sondern als ungewisse Verbindlichkeiten auszuweisen und von ihm auch an den nachfolgenden Bilanzstichtagen mit ihren Anschaffungskosten oder ihrem höheren Teilwert zu bewerten sind.

In Fortführung seiner Urteile vom 16.12.2009 zu Drohverlustrückstellungen und vom 14.12.2011 zu Jubiläumszuwendungen (entgegen BMF-Schreiben vom 24.06.2011) hat der BFH seine diesbezügliche Rechtsprechung auch für den Erwerb von Pensionsverpflichtungen bestätigt. Pensionsverpflichtungen, welche beim Veräußerer steuerlichen Rückstellungsbeschränkungen (§ 6a EStG 1997) unterworfen sind, sind bei dem Erwerber des Betriebs, der die Verbindlichkeit übernommen hat, nicht mit dem besonderen Teilwert nach § 6a Abs. 3 EStG 1997, sondern als ungewisse Verbindlichkeit auszuweisen und mit ihren Anschaffungskosten oder ihrem höheren Teilwert zu bewerten (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997). Dies gilt auch für die nachfolgenden Bilanzstichtage.

BFH, Urteil vom 14.12.2011, I R 72/10, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 12.12.2012, I R 69/11, siehe Deloitte Tax-News 
BMF, Schreiben vom 24.06.2011, BStBl I 2011, S. 627

Vorinstanz

Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 09.09.2008, 6 K 1161/04 K, F, EFG 2009, S. 167

Fundstelle

BFH, Urteil vom 16.12.2009, I R 102/08, BStBl II 2011, S. 566 

Englische Zusammenfassung

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