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18.06.2020
Rechnungslegung

BFH: Keine Rückstellung bei überlagerndem eigenbetrieblichen Interesse

Der BFH hat seine ständige Rechtsprechung zur Abgrenzung passivierungspflichtiger Verbindlichkeitsrückstellungen aufgrund einer Außenverpflichtung von nicht rückstellungsfähigen Innenverpflichtungen wegen eigenbetrieblicher Interessen bestätigt und fortgesetzt. Er hält an seiner – in der Literatur größtenteils abgelehnten – Überlagerungsthese fest, wonach ungeachtet einer bestehenden Außenverpflichtung eine Verbindlichkeitsrückstellung dann nicht anzuerkennen ist, wenn die Verpflichtung in ihrer wirtschaftlichen Belastungswirkung von einem eigenbetrieblichen Interesse vollständig überlagert wird.  

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine GmbH, deren Unternehmensgegenstand u.a. in der Ausführung von Gerüstbauten für Großindustrieanlagen besteht. Mit den Betreibern dieser Anlagen schloss sie jeweils Rahmenverträge (mit einer Laufzeit von regelmäßig drei Jahren), auf deren Grundlage Einzelverträge ("Abrufe") über konkret zu erbringende Gerüstbauarbeiten vereinbart wurden. In den Rahmenverträgen waren Entgelte für die Erstellung von Gerüsten vereinbart, mit denen auch der An- und Abtransport des Gerüstmaterials, dessen Vorhaltung, die Baustelleneinrichtung sowie die Montage und die Demontage der Gerüste abgegolten waren. Die Abrechnung der Arbeiten und die gewinnerhöhende Erfassung der Entgelte bei der GmbH erfolgte jeweils nach Abwicklung der Einzelaufträge. Um der Vorhalteverpflichtung nachzukommen und die geschuldeten Arbeiten zeitnah ausführen zu können, errichtete die GmbH in zahlreichen Fällen auf dem Gelände der Industrieanlagen Materiallager, in denen sich die für die Abwicklung der Aufträge benötigten Materialbestände befanden.

Ab dem Jahre 2004 erfasste die GmbH eine Rückstellung für den bei Auslaufen der Rahmenverträge vertraglich vereinbarten Abtransport des auf der jeweiligen Baustelle befindlichen Materials. Finanzamt und FG erkannten die Rückstellung steuerrechtlich mit der Begründung nicht an, dass die Leistungspflicht der GmbH gegenüber Dritten von eigenbetrieblichen Erfordernissen (möglichst schnelle Wiederverwendung der Gerüstbauteile für Folgeaufträge) überlagert würde. 

Entscheidung

Auch der BFH kommt zu dem Ergebnis, dass der Ansatz einer Rückstellung für Aufwendungen im Zusammenhang mit künftigen Baustellenauflösungen nicht zulässig ist.

Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten

Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten setzen entweder das Bestehen einer ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach voraus, deren Höhe zudem ungewiss sein kann.

Außenverpflichtung

Der Ansatz einer steuerlich anzuerkennenden Verbindlichkeitsrückstellung setzt eine Verpflichtung voraus, die gegenüber einer dritten Person besteht (sog. Außenverpflichtung) und als erzwingbarer Anspruch eine wirtschaftliche Belastung darstellt (z.B. BFH-Urteil vom 29.11.2007, IV R 62/05).

Überlagerung durch eigenbetriebliches Interesse

Auch wenn eine solche Außenverpflichtung besteht, kann diese jedoch nach der in ständiger Rechtsprechung des BFH vertretenen Auffassung im Einzelfall durch ein sog. eigenbetriebliches Interesse des Unternehmers als wirtschaftlich auslösendes Moment der Belastung überlagert werden (vgl. BFH-Urteile vom 17.10.2013, IV R 7/11 und vom 09.11.2016, I R 43/15). Diese „Überlagerungsthese“ wird in der Fachliteratur ganz überwiegend abgelehnt (z.B. Bongaerts/Zimmermann in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht, 3. Aufl., Rz 5550). Ohne sich mit den Argumenten der gegenteiligen Auffassung im Schrifttum auseinanderzusetzen, folgt nun auch der XI. Senat des BFH der bisherigen Rechtsprechung der anderen Ertragsteuer-Senate des BFH jedenfalls für den Fall, dass eine bestehende Außenverpflichtung durch ein eigenbetriebliches Interesse bei wirtschaftlicher Betrachtung vollständig überlagert wird. Denn dann liege der Sache nach eine nicht zulässige sog. Aufwandsrückstellung vor.

Anwendung der Grundsätze auf den Streitfall

Für den Streitfall übernimmt der BFH die (ihn bindende einzelfallbezogene) Würdigung des FG und gelangt zu dem Ergebnis, dass das eigenbetriebliche Interesse der GmbH an der Auflösung des (jeweiligen) Materiallagers an den Baustellen und der Rückführung des (für die weitere Betriebsfortführung der Klägerin notwendigen) Materials in das Zentrallager der GmbH eine wirtschaftliche Bedeutung einnimmt, die den Umstand der zivilrechtlichen Verpflichtung zur Räumung des jeweiligen Grundstücks vollen Umfangs überlagert. Zu berücksichtigen sei auch, dass gerade mit Blick auf den Leistungsgegenstand der Einzelverträge ("Abrufe"), der insbesondere An- und Abtransport und Montage und Demontage am Bauobjekt beinhaltete, das Einrichten des Materiallagers auf dem Grundstück für künftige Verwendungen im Interesse der GmbH lag und die Grundstücksräumung einen untrennbaren Zusammenhang mit dem (Rück-)Transport der eigenen Materialien in das Zentrallager der Klägerin aufweist (vollständige Überlagerung der Räumungsverpflichtung durch das Interesse am Rücktransport des eigenen betriebsnotwendigen Materials).

Keine Partialrückstellung

Abschließend verwirft der BFH – ohne Argumente hierfür zu nennen – ebenfalls abweichend zu Stimmen in der Literatur den Kompromissvorschlag, der auf eine Kostenaufteilung abzielt und eine „Partialrückstellung“ (Bildung einer Rückstellung in Höhe der auch aufgrund einer Außenverpflichtung gegenüber dem Auftraggeber entstehenden künftigen Aufwendungen) für möglich hält (so z.B. Prinz in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht, 3. Aufl. 2018, Rz. 5665 „Umweltschutz“, Online-Aktualisierung 5/2020). Damit konnte der BFH offenlassen, ob im Streitfall die Voraussetzungen für einen sog. Erfüllungsrückstand überhaupt dem Grunde nach erfüllt waren.

Betroffene Normen

§ 5 Abs. 1 S. 1 EStG, § 249 Abs. 2 S. 1 HGB

Streitjahre 2007, 2009, 2010 und 2012

Anmerkung

Zivilrechtliche Verpflichtung vs. wirtschaftliche Bedeutung eines eigenbetrieblichen Interesses

Das hier besprochene Urteil vom 22.01.2020, XI R 2/19, ist eine Fortsetzung und Bestätigung der ständigen Rechtsprechung zur Abgrenzung passivierungspflichtiger Verbindlichkeitsrückstellungen aufgrund einer Außenverpflichtung von nicht rückstellungsfähigen Innenverpflichtungen wegen eigenbetrieblicher Interessen. Der BFH betont erneut, dass ein eigenbetriebliches Interesse in seiner wirtschaftlichen Bedeutung eine zivilrechtliche Verpflichtung derart überlagern kann, dass der Ansatz einer Verbindlichkeitsrückstellung ausgeschlossen ist.

Auch im Urteil vom 13.02.2019, XI R 42/17, siehe Deloitte Tax-News, hatte der BFH sich mit der Bedeutung einer zivilrechtlichen Verpflichtung im Zusammenhang mit der Zulässigkeit einer Rückstellungsbildung auseinandergesetzt. Hier kam er hinsichtlich der Kosten einer 10-jährigen Aufbewahrung von Mandantendaten im DATEV-Rechenzentrum zu dem Schluss, dass eine zivilrechtliche Verpflichtung für die Dauer der Mandatsbindung nicht ausreiche, um eine Rückstellungsbildung zu bejahen. 

Vorinstanz

Finanzgericht Münster, 05.12.2018, 13 K 2688/15 K, EFG 2019, S. 551 

Fundstelle

BFH, Urteil vom 22.01.2020, XI R 2/19, lt. BMF zur Veröffentlichung im BStBl. II vorgesehen.

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 29.11.2007, IV R 62/05, BStBl II 2008, S. 557

BFH, Urteil vom 09.11.2016, I R 43/15, BFHE 256, BStBl II 2017, S. 379, siehe Deloitte Tax-News 

BFH, Urteil vom 13.02.2019, XI R 42/17, BFHE 266, S. 283, siehe Deloitte Tax-News 

BFH, Urteil vom 17.10.2013, IV R 7/11, BStBl II 2014, S. 302, siehe Deloitte Tax-News

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