BFH: Indizwirkung des festgestellten Jahresabschlusses
Der Bestand einer (ausgefallenen) Gesellschafterforderung ergibt sich indiziell dem Grunde und der Höhe nach aus dem festgestellten Jahresabschluss. Mit der förmlichen Feststellung des Jahresabschlusses bestätigten die Gesellschafter zugleich die darin abgebildeten Rechtsverhältnisse untereinander und im Verhältnis zur Gesellschaft.
Der BFH bestätigt seine Rechtsprechung, nach der Vertrauensschutz in die bisherige Rechtsprechung zur Berücksichtigung von nachträglichen Anschaffungskosten für bis zum 27.09.2017 geleistete eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfen eines Gesellschafters gewährt wird.
Sachverhalt
Der Kläger war Alleingesellschafter und -geschäftsführer einer GmbH. In einem Darlehensrahmenvertrag war vereinbart, dass Auslagen und sonstige Einlagen des Klägers bei der GmbH auf einem Darlehenskonto gebucht werden sollten. Das Darlehen sollte in der Krise der Gesellschaft stehen bleiben. Seit 2009 liquidierte der Kläger die GmbH. Die letzte Bilanz wies nur noch das gezeichnete Kapital und die Verbindlichkeit gegenüber dem Kläger aus. Finanzamt und FG bestritten den Bestand der Forderung des Klägers gegenüber der GmbH und machten Mängel der Buchführung geltend. Der Kläger müsse den Endbestand des Darlehens über den gesamten Zeitraum seiner Entstehung lückenlos anhand jedes einzelnen Buchungsvorgangs erläutern und nachweisen.
Zudem war das FG der Rechtsprechung des BFH entgegengetreten, wonach Vertrauensschutz in die bisherige Rechtsprechung für bis zum 27.09.2017 geleistete eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfen eines Gesellschafters gewährt wird.
Entscheidung
Nach Ansicht des BFH hat das FG die Rechtswirkung des festgestellten Jahresabschlusses für das Bestehen einer Forderung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter verkannt.
Außerdem hält der BFH entgegen der Auffassung des FG daran fest, dass die Grundsätze zur Berücksichtigung von nachträglichen Anschaffungskosten aus eigenkapitalersetzenden Finanzierungshilfen übergangsweise weiter anzuwenden sind.
Vertrauensschutz bei nachträglichen Anschaffungskosten
Nach Ansicht des BFH hat der Gesetzgeber des MoMiG die steuerlichen Folgen der Aufhebung des Eigenkapitalersatzrechts weder bedacht noch geregelt. Vor diesem Hintergrund hat der BFH in seinem Urteil vom 11.07.2017 (IX R 36/15) bei unverändertem Wortlaut der anzuwendenden Norm seine langjährige Rechtsprechung zu nachträglichen Anschaffungskosten bei der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften geändert und verschärft. In einer solchen Situation könne die Rechtsprechung ausnahmsweise typisierenden Vertrauensschutz gewähren, ohne dass deshalb ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung anzunehmen ist (vgl. BFH-Beschluss vom 17.12.2007, GrS 2/04).
Indizwirkung des festgestellten Jahresabschlusses
Mit der Feststellung des Jahresabschlusses bestätigen die Gesellschafter nicht nur die Richtigkeit der Angaben zu den Vermögensverhältnissen der Gesellschaft, sondern sie bekräftigen zugleich rechtsverbindlich u.a. die im Jahresabschluss ausgewiesenen Rechtsverhältnisse im Verhältnis der Gesellschafter zur Gesellschaft. Der festgestellte Jahresabschluss kann insofern zivilrechtlich die Bedeutung eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses haben (vgl. zuletzt BGH-Urteil vom 18.07.2013, IX ZR 198/10). Festgestellt ist der Jahresabschluss, soweit keine besonderen gesetzlichen Regeln zu beachten sind (vgl. §§ 172, 173 AktG), wenn ihn die Gesellschafter durch Beschluss für verbindlich erklärt haben.
Ob eine Forderung besteht, ist auch im Steuerrecht zunächst eine zivilrechtliche Frage. Haben die Gesellschafter einer GmbH durch Feststellung des Jahresabschlusses untereinander und im Verhältnis zur Gesellschaft rechtsverbindlich bestätigt, dass eine im Jahresabschluss ausgewiesene Verbindlichkeit der Gesellschaft gegenüber einem Gesellschafter (in der ausgewiesenen Höhe) besteht, ist dies auch für die Besteuerung des Gesellschafters von Bedeutung (vgl. BFH-Urteil vom 10.05.2016, IX R 13/15). Nach Ansicht des BFH spricht die Feststellung des Jahresabschlusses dann zumindest indiziell für das Bestehen der Forderung des Gesellschafters dem Grunde und der Höhe nach.
Ergebnis
Aufgrund der Indizwirkung des zuletzt festgestellten Jahresabschlusses der GmbH ist nach Ansicht des BFH davon auszugehen, dass der Kläger am Bilanzstichtag eine offene Forderung gegen seine GmbH hatte, mit deren Rückzahlung er bei der Schlussverteilung im Liquidationsverfahren vollständig ausgefallen ist. In dem vom Kläger als Alleingesellschafter festgestellten und damit für verbindlich erklärten Jahresabschluss der GmbH sei die Verbindlichkeit der GmbH gegenüber dem Kläger ausgewiesen. Gesellschaft und Gesellschafter haben dieser Feststellung ausdrücklich zugestimmt und damit rechtsverbindlich zum Ausdruck gebracht, dass die Forderung in dieser Höhe besteht, so der BFH.
Offene Fragestellung
Die Frage, welche Anforderungen an die Darlegung und den Nachweis einer Gesellschafterforderung zu stellen sind, wenn der Jahresabschluss der GmbH nicht förmlich festgestellt ist (z.B. weil sich die Gesellschafter nicht einigen können), konnte der BFH offen lassen.
Betroffene Norm
§ 17 EStG
Streitjahr 2012
Anmerkungen
Einordnung in die bisherige Rechtsprechung
Mit Urteil vom 11.07.2017 (IX R 36/15, siehe Deloitte Tax-News) hat der BFH seine langjährige Rechtsprechung zu nachträglichen Anschaffungskosten bei der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften geändert. Wird ein Gesellschafter als Bürge für Verbindlichkeiten der GmbH in Anspruch genommen, führt dies der Entscheidung zufolge nach Inkrafttreten des MoMiG nicht mehr zu nachträglichen Anschaffungskosten auf seine Beteiligung im Sinne von § 17 EStG. Dabei hat der BFH in seinem Urteil Vertrauensschutz in die bisherige Rechtsprechung für bis zum 27.09.2017 geleistete eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfen eines Gesellschafters gewährt. Dies hat der BFH in seiner hier dargestellten Entscheidung vom 02.07.2019 (IX R 13/17) bekräftigt.
JStG 2019
In dem Gesetzesbeschluss des Bundestags zum Jahressteuergesetz 2019 vom 07.11.2019 (siehe Deloitte Tax-News) werden durch einen neuen § 17 Abs. 2a EStG in Anlehnung an § 255 HGB die Anschaffungskosten von Anteilen an Kapitalgesellschaften definiert. So sollen künftig u.a. auch Ausfälle von Bürgschaftsregressforderungen und vergleichbaren Forderungen, soweit die Hingabe oder das Stehenlassen der betreffenden Sicherheit gesellschaftsrechtlich veranlasst war, zu nachträglichen Anschaffungskosten führen . Damit soll auf die BFH-Urteile vom 11.07.2017 (IX R 36/15, siehe Deloitte Tax-News) und vom 20.07.2018 (IX R 5/15, siehe Deloitte Tax-News) reagiert werden . Die Neuregelung soll erstmals für Veräußerungen im Sinne von § 17 Abs. 1, 4 oder 5 EStG nach dem 31.07.2019 (Datum des Kabinettbeschlusses) angewendet werden. Auf Antrag des Steuerpflichtigen kann eine Anwendung auch für frühere Veräußerungen erfolgen.
Vorinstanz
Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.04.2018, 3 K 3138/15, EFG 2018, S. 1366
Fundstelle
BFH, Urteil vom 02.07.2019, IX R 13/18, lt. BMF Schreiben vom 24.01.2020 zur Veröffentlichung im BStBl. II vorgesehen
Pressemitteilung Nr. 75 vom 14.11.2019
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 11.07.2017, IX R 36/15, BStBl II 2019, S. 208, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 20.07.2018, IX R 5/15, BStBl II 2019, S. 194, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 10.05.2016, IX R 13/15, BFH/NV 2016, S. 1556
BFH, Beschluss vom 17.12.2007, GrS 2/04, BStBl II 2008, S. 608
BGH, Urteil vom 18.07.2013, IX ZR 198/10, NJW 2014, S. 305