BFH: Bilanzsteuerrechtliche Behandlung von Pfandgeldern bei einem Mineralbrunnenbetrieb
Nimmt ein Brunnenbetrieb mehr Leergut von den Kunden zurück als er mit dem Vollgut ausgegeben hat, sind deshalb weder Anschaffungskosten noch gegen die Kunden gerichtete Forderungen zu aktivieren. In Betracht kommt jedoch die Aktivierung eines Nutzungsrechts. Für die Verpflichtung, bei Rückgabe von Individualleergut und Brunneneinheitsflaschen die erhaltenen Pfandgelder an die Kunden zurückzuzahlen, ist eine Verbindlichkeit zu passivieren. Die Verbindlichkeit kann der Höhe nach zu mindern sein, wenn aufgrund der eigentumsunabhängigen Zirkulation des Leerguts erfahrungsgemäß davon auszugehen ist, dass ein bestimmter Teil an andere Poolmitglieder zurückgegeben wird.
Sachverhalt
Zwischen den Beteiligten ist die bilanzsteuerrechtliche Behandlung vereinnahmter und verausgabter Pfandgelder streitig. Streitjahre sind 1999 bis 2002.
Die Klägerin, eine GmbH, ist ein Brunnenbetrieb (Gewinnung natürlicher Mineralwässer und Herstellung von Erfrischungsgetränken – Abfüllbetrieb), der an einem branchenumfassenden Mehrwegsystem mit Brunneneinheitsflaschen und -kästen teilnimmt. Daneben vertreibt die Klägerin in geringem Umfang als Getränkegroßhändlerin zugekaufte sonstige Getränkesorten wie Saft und Brausegetränke. Die Klägerin schrieb zeitnah die Leergutzugänge und Leergutabgänge kundenbezogen in separat geführten Pfandkontokorrentkonten fort. Kundenbezogen entsteht ein negativer Pfandsaldo, wenn die verausgabten Pfandgelder die vereinnahmten Pfandgelder übersteigen (sog. Mehrrücknahmen); ein positiver Pfandsaldo entsteht, wenn das vereinnahmte das verausgabte Pfand übersteigt, d.h. noch nicht das gesamte Leergut an die Klägerin zurückgegeben worden ist (sog. Minderrücknahmen).
Für ihre Tätigkeit als Getränkegroßhändlerin erwarb die Klägerin Vollgut. Dieses bestand sowohl aus Einheitsleergut (Flaschen, die keine Individualisierungsmerkmale aufweisen und von einer unbestimmten Anzahl von Herstellern verwendet werden), als auch aus Individualleergut (Eigentum eines bestimmten Herstellers). Die hierfür gezahlten Pfandgelder verbuchte die Klägerin erfolgsneutral auf einem separat geführten Pfandkonto. Das Leergut bezog sie anschließend im Wesentlichen in den Leergutkreislauf der Eigenprodukte ein.
I. Streitkomplex: Bilanzielle Behandlung der Mehrrücknahmen
Entgegen der Klägerin vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass die Mehrrücknahmen als Forderungen zu aktivieren seien.
II. Streitkomplex: Bilanzielle Behandlung der Minderrücknahmen
Die Klägerin bildete in den Bilanzen der Streitjahre Rückstellungen, die sie pauschal nach einer bestimmten Umschlagshäufigkeit berechnete. Das Finanzamt ging hingegen von Verbindlichkeiten in Höhe der Summe aller positiven Pfandsalden aus.
Die gegen die ergangenen Steuerbescheide erhobene Klage blieb erfolglos.
Entscheidung
Das Urteil des FG ist aufzuheben.
I. Streitkomplex: Behandlung der Mehrrücknahmen
Entgegen der Auffassung des FG und des Finanzamtes ist in Höhe der Aufwendungen für die Mehrrücknahmen kein Aktivposten anzusetzen. In Betracht kommt nur die Aktivierung eines Nutzungsrechts gegenüber den anderen Poolmitgliedern:
Anschaffungskosten für den Erwerb des Eigentums an dem Leergut in Höhe der Aufwendungen für die Mehrrücknahmen durfte die Klägerin nicht aktivieren, weil sie nicht zum Zwecke des Eigentumserwerbs Aufwendungen getätigt hat. Die Klägerin hat weder das zivilrechtliche noch das wirtschaftliche Eigentum an den Mehrrücknahmen erworben.
In Höhe der Aufwendungen für die Mehrrücknahmen hat die Klägerin auch keine auf Rückzahlung des entrichteten Pfands gerichtete Forderung gegenüber den Getränkehändlern erworben. Solche Forderungen sind an den Bilanzstichtagen weder entstanden noch musste die Klägerin zu diesem Zeitpunkt mit der Entstehung von Forderungen rechnen. Eine Forderung entsteht erst, wenn die Klägerin von der ihr im Streitfall zustehenden Möglichkeit Gebrauch macht, die Mehrrücknahmen an die Kunden zurückzugeben. Die Klägerin war nicht verpflichtet, die Mehrrücknahmen zurückzugeben.
Durch die Entgegennahmen der Mehrrücknahmen gegen Entrichtung des Pfands hat die Klägerin jedoch möglicherweise Nutzungsrechte an dem Leergut gegenüber den anderen Poolmitgliedern erworben. Für die Entstehung von Nutzungsrechten dem Grunde nach sprechen insbesondere die Verwendungsbestimmungen des Pools, dessen Sinn es gerade ist, die Poolmitglieder permanent mit einer ständig ausreichenden Menge geeigneten Leerguts zu versorgen, das ungeachtet der Eigentumsverhältnisse zwischen den Poolmitgliedern zirkulieren soll. Um dies sicherzustellen, müssen es die Poolmitglieder, auch soweit ihre jeweilige Miteigentumsquote überschritten wird, verwenden dürfen. Ein Nutzungsrecht kann nur in dem Maße vorliegen, in dem die Menge des an die Kunden ausgegebenen Brunneneinheitsleerguts zuzüglich des noch auf dem Lager befindlichen (befüllten und unbefüllten) Leerguts die Miteigentumsquote der Klägerin an den Brunneneinheitsflaschen und -kästen des Pools überschreitet.
II. Streitkomplex: Behandlung der Minderrücknahmen
Dem FG ist auch insoweit nicht zuzustimmen, dass für die Verpflichtung, bei Rückgabe des Leerguts die erhaltenen Pfandgelder an die Kunden zurückzuzahlen, Verbindlichkeiten in Höhe der Gesamtsumme der positiven Pfandsalden zu passivieren sind. Aus den Feststellungen des FG folgt, dass in den positiven Pfandsalden auch das für das hinzuerworbene Einheits- und Individualleergut erhaltene Pfand enthalten sein muss, weil dieses in den eigenen Pfandkreislauf der Klägerin integriert wurde. Die bilanzielle Behandlung unterscheidet sich aber voneinander:
Hinsichtlich der Verpflichtung zur Pfandrückzahlung für das Einheitsleergut liegt ein schwebendes Geschäft vor, weil die Klägerin insoweit das an die Getränkehändler abgegebene Leergut zurückkaufen musste. Der Eigentumsübergang erstreckt sich bei Einheitsleergut nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Flaschen und die Kästen selbst. Durch die Vermengung von Flaschen verschiedener Hersteller kommt es zwangsläufig zu einem Eigentumsverlust des einzelnen Herstellers. Eine Verbindlichkeit darf in diesem Fall nicht passiviert werden.
Soweit hingegen an den Bilanzstichtagen Verpflichtungen der Klägerin zur Rückzahlung des für Individualleergut und Brunneneinheitsleergut entrichteten Pfands bestanden, sind Verbindlichkeiten auszuweisen. Anders als bei dem Einheitsleergut steht das Verbot der Bilanzierung schwebender Geschäfte einer Passivierung der Verbindlichkeiten bei diesem Leergut nicht entgegen. Denn hier soll eine leiheähnliche Gebrauchsüberlassung rückabgewickelt werden, bei der das Pfand eine Sicherheitsleistung (Kaution) darstellt, die die Rückgabe des Leerguts sicherstellen soll und gerade nicht Gegenleistung für die Rückgabe des Leerguts ist (BFH-Urteil in vom 06.10.2009). Anders als bei dem Einheitsleergut ist die Klägerin nicht wegen eines gesetzlichen Eigentumsübergangs gezwungen, das Leergut gegen Erstattung des Pfands zurückzukaufen. Denn das Individual- und Brunneneinheitsleergut sind durch ihre Kennzeichnung klar und eindeutig von dem Leergut anderer Hersteller bzw. außerhalb des Pools stehender Abfüllbetriebe unterscheidbar.
Hinsichtlich der zu passivierenden Verbindlichkeiten wird das FG zu ermitteln haben, ob die Pfandverbindlichkeiten aufgrund Bruch oder Schwund zu mindern sind. Darüber hinaus wird es auch ermitteln müssen, ob und in welchem Maße eine weiter gehende Minderung der Verbindlichkeit notwendig ist, weil die Klägerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an den Bilanzstichtagen davon ausgehen musste, dass Brunneneinheitsleergut nicht mehr an sie zurückgegeben würde, weil die Kunden aufgrund des Mehrwegpools das Leergut auch an andere Poolmitglieder zurückgeben konnten.
Anmerkung
Das den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 09.01.2013 zum Teil entgegenstehende BMF-Schreiben vom 13.06.2005 (BStBl I S. 715) wurde mit BMF-Schreiben vom 19.02.2019 aufgehoben. Mit Schreiben vom 08.12.2020 hat das BMF Vereinfachungs-und Anwendungsregelungen zur vom BFH vorgenommenen bilanzsteuerrechtlichen Beurteilung von Individual-, Pooleinheits- und Einheitsleergut bekannt gegeben.
Vorinstanz
Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 23.03.2011, 4 K 1065/07, EFG 2011, S. 1510
Fundstellen
BMF, Schreiben vom 08.12.2020
BMF, Schreiben vom 19.02.2019
BFH, Urteil vom 09.01.2013, I R 33/11, lt. BMF-Schreiben vom 10.04.2019 zur Veröffentlichung im BStBl. II vorgesehen
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil in vom 06.10.2009, I R 36/07, BStBl II 2010, S. 232