BFH: Bewertung von Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen
Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen sind abzuzinsen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG 1999). Die Verpflichtung zur Abzinsung gilt für Sachleistungsverpflichtungen ebenso wie für Geldleistungsverpflichtungen. Die Regelung ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Sachverhalt
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist als GbR Organträgerin einer GmbH, die eine Deponie bewirtschaftet. Bei der GmbH wurden in den Bilanzen Rückstellungen für die Deponie-Rekultivierung und für Rückbauverpflichtungen gebildet. Im Anschluss an eine Außenprüfung vertrat das Finanzamt die Auffassung, die Rückstellungen seien abzuzinsen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG 1999). In Höhe von 9/10 der vorgenommenen Abzinsung könne die Klägerin aber eine Gewinn mindernde Rücklage bilden (§ 52 Abs. 16 S. 10 und 7 EStG 1999). Der Einspruch der Klägerin, mit dem sie geltend machte, die Abzinsung sei verfassungswidrig, blieb erfolglos. Auch die Klage hatte keinen Erfolg.
Entscheidung
Das Finanzamt hat die Rückstellungen für die Deponie-Rekultivierung sowie für die Rückbauverpflichtungen zutreffend nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG 1999 abgezinst. Die Vorschrift ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen sind mit den Einzelkosten und den angemessenen Teilen der notwendigen Gemeinkosten zu bewerten (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG 1999). Maßgeblich sind die Wertverhältnisse am Bilanzstichtag. In Zukunft zu erwartende Preis- und Kostensteigerungen mindern die Leistungsfähigkeit am Bilanzstichtag (noch) nicht und können daher steuerlich nicht berücksichtigt werden. Die Einführung des Abzinsungsgebots hat daran nichts geändert. Zwar ist handelsrechtlich nach dem durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) neugefassten § 253 Abs. 1 S. 2 HGB der Erfüllungsbetrag anzusetzen, diese Gesetzesänderung gilt jedoch für die Steuerbilanz nicht. Denn insoweit schreibt die gleichzeitig eingeführte Regelung in § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. f EStG i.d.F. des BilMoG nunmehr ausdrücklich vor, dass die Wertverhältnisse am Bilanzstichtag ohne Berücksichtigung künftiger Preis- und Kostensteigerungen maßgebend bleiben.
Die Rückstellung für die Deponie-Rekultivierung ist nach der tatsächlichen Inanspruchnahme, die Rückstellungen für die Rückbauverpflichtungen sind zeitanteilig in gleichen Raten anzusammeln. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG 1999 sind Rückstellungen für Verpflichtungen mit einem Zinssatz von 5,5 % abzuzinsen. Die Abzinsung beruht auf der typisierenden Vorstellung, dass eine erst in Zukunft zu erfüllende Verpflichtung den Schuldner weniger belastet als eine sofortige Leistungspflicht (BFH-Urteil vom 06.10.2009). Die Verpflichtung zur Abzinsung gilt für Sachleistungsverpflichtungen ebenso wie für Geldleistungsverpflichtungen.
Das Abzinsungsgebot des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG 1999 ist mit dem Grundgesetz vereinbar (BFH-Urteil vom 27.01.2010). Eine steuerbilanzrechtliche Abweichung von dem handelsrechtlichen Vorsichtsprinzip für die Bildung von Rückstellungen gehört, wie das BVerfG entschieden hat, nicht zu den zentralen Fragen gerechter Belastungsverteilung und verletzt daher das Gebot folgerichtiger Ausgestaltung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen nur dann, wenn sich kein sachlicher Grund dafür finden lässt, sie also als willkürlich zu bewerten ist. In der Verhinderung der Bildung stiller Reserven liegt weder eine relevante Abweichung von einer verfassungsrechtlich gebotenen Besteuerung nach finanzieller Leistungsfähigkeit noch eine Durchbrechung des einfachgesetzlichen objektiven Nettoprinzips (vgl. BVerfG-Beschluss vom 12.05.2009, BFH-Urteil vom 25.02.2010). Die Verpflichtung zur Abzinsung von Rückstellungen ist nicht gleichheitswidrig, weil sie nicht willkürlich ist. Ziel der Gesetzesänderung war es, die Möglichkeit bilanzierender Unternehmer zur Bildung stiller Reserven im Interesse einer Angleichung an die Maßstäbe für diejenigen Steuerpflichtigen, die nach den Grundsätzen von Zufluss und Abfluss besteuert werden, einzuschränken Das Abzinsungsgebot hat daher einen sachlichen Grund.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus einem Vergleich der Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen mit Rückstellungen für Geldleistungsverpflichtungen. Durch die Kumulation von Ansammlung und Abzinsung werden Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen nicht willkürlich ungleich gegenüber Rückstellungen für Geldleistungsverpflichtungen behandelt. § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d EStG 1999 gilt in gleicher Weise für beide Arten von Rückstellungen, weil dort allgemein von Verpflichtungen die Rede ist. Demnach sind auch Geldleistungsverpflichtungen anzusammeln, wenn für ihr Entstehen im wirtschaftlichen Sinne der laufende Betrieb ursächlich ist. Dies wäre z.B. der Fall, wenn an Stelle der Rückbauverpflichtung eine Geldleistung in Höhe der Kosten des Rückbaus vereinbart wäre.
Betroffene Norm
§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002
Streitjahr 1999
Vorinstanz
Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 18.04.2007, 3 K 11463/05, EFG 2007, S. 1856
Fundstelle
BFH, Urteil vom 05.05.2011, IV R 32/07, BStBl II 2012, S. 98
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 06.10.2009,I R 4/08, BStBl II 2010, S. 177, siehe Zusammenfassung in den Deloitte Tax-News (11.01.2010)
BFH, Urteil vom 27.01.2010, I R 35/09, BStBl II 2010, S. 478
BVerfG, Beschluss vom 12.05.2009, 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, S. 111
BFH, Urteil vom 25.02.2010,IV R 37/07, BStBl II 2010, S. 784, siehe Zusammenfassung in den Deloitte Tax-News (02.06.2010)