BFH: Auflösung einer § 6b EStG-Rücklage bei Verschmelzung
Eine § 6b-Rücklage ist im Falle einer Verschmelzung zwingend in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Gesellschaft aufzulösen, wenn der Ablauf des vierten regulären Wirtschaftsjahrs nach Bildung der Rücklage und der Stichtag der Schlussbilanz der übertragenden Gesellschaft zusammenfallen. Ein Ansatz der § 6b-Rücklage in der Handelsbilanz hat (jedenfalls für nach dem 31.12.2009 beginnende Wirtschaftsjahre) keine bindende Wirkung.
Sachverhalt
Die B-GmbH hatte in ihrem Jahresabschluss zum 30.06.2007 (abweichendes Wirtschaftsjahr) den Gewinn aus einem Immobilienverkauf gewinnmindernd in eine Rücklage nach § 6b EStG eingestellt. Zum 01.07.2011 wurde die B-GmbH unter Buchwertfortführung auf die Klägerin (GmbH) verschmolzen. Der Verschmelzung war der Jahresabschluss der B-GmbH zum 30.06.2011 als Schlussbilanz des übertragenden Rechtsträgers zugrunde gelegt. Die B-GmbH löste die § 6b-Rücklage in ihrer Handelsbilanz zum 30.06.2011 in voller Höhe auf. In ihrer Steuerbilanz zum 30.06.2011 nahm die B-GmbH keine gewinnerhöhende Auflösung der Rücklage vor, weil sie davon ausging, dass diese aufgrund der Verschmelzung auf die Klägerin übergegangen war und von dieser auf die Anschaffungskosten eines Ersatz-Wirtschaftsguts übertragen werden konnte. Das Finanzamt war demgegenüber der Auffassung, dass die Rücklage in der Steuerbilanz der B-GmbH zum 30.06.2011 gemäß § 6b Abs. 3 S. 5 EStG gewinnerhöhend aufzulösen sei. Dem trat das FG entgegen und sah keine Verpflichtung der B-GmbH zur gewinnerhöhenden Auflösung der § 6b-Rücklage.
Entscheidung
Der BFH widerspricht der Ansicht des FG und gelangt zu dem Ergebnis, dass die bei der B-GmbH gebildete Rücklage nicht auf die Klägerin übergehen konnte, da zu diesem Zeitpunkt die gesetzlichen Voraussetzungen für eine (zwingende) Auflösung der Rücklage erfüllt waren.
Gesetzliche Grundlage
§ 6b EStG räumt dem Steuerpflichtigen das Wahlrecht ein, eine nach § 6b EStG zwecks Übertragung stiller Reserven gebildete Rücklage während des Laufs der Reinvestitionsfrist (vier Jahre nach Bildung der Rücklage) ganz oder teilweise gewinnerhöhend aufzulösen oder auf ein anderes Reinvestitionsgut ganz oder teilweise zu übertragen (z.B. BFH-Urteil vom 19.12.2012, IV R 41/09, BStBl. II 2013, S. 313).
Keine Bindungswirkung des handelsrechtlichen Ansatzes
Der BFH weist zunächst darauf hin, dass die in der Steuerbilanz der B-GmbH zum 30.06.2011 ausgewiesene Rücklage nicht schon deshalb aufzulösen ist, weil die Rücklage in der Handelsbilanz der B-GmbH zum 30.06.2011 vollständig aufgelöst wurde. Denn der Ansatz einer entsprechenden Rücklage in der Handelsbilanz habe (jedenfalls für nach dem 31.12.2009 beginnende Wirtschaftsjahre) keine bindende Wirkung (§ 5 Abs. 1 S. 1 HS 2 EStG; BMF-Schreiben vom 12.03.2010, Rz 14).
Steuerlicher Übertragungsstichtag
Ausgangspunkt für die Ermittlung des steuerlichen Übertragungsstichtags ist der handelsrechtliche Umwandlungsstichtag, hier der 01.07.2011. Die B-GmbH hat daher auf den Schluss des Tages, der dem Umwandlungsstichtag vorangeht (hier: 30.06.2011), eine handelsrechtliche Schlussbilanz aufzustellen (§ 17 Abs. 2 UmwG, BMF-Schreiben vom 11.11.2011, Rz 02.02), wobei dieser Tag im Streitfall mit dem Zeitpunkt übereinstimmt, zu dem auch das vierte reguläre Wirtschaftsjahr der B-GmbH nach Bildung der § 6b-Rücklage endete. Der Ablauf dieses Tages (30.06.2011) ist der steuerliche Übertragungsstichtag (§ 2 Abs. 1 UmwStG 2006). Aus ertragsteuerrechtlicher Sicht wird das Einkommen der B-GmbH und der Klägerin so ermittelt, als ob der Vermögensübergang mit Ablauf des steuerlichen Übertragungsstichtags erfolgt wäre.
Gewinnermittlungsbilanz/ Schluss- bzw. Übertragungsbilanz
Die übertragende Gesellschaft hat zum Übertragungsstichtag eine Gewinnermittlungsbilanz aufzustellen, die der Übertragungsbilanz gedanklich vorgeschaltet ist und das Ergebnis der laufenden Geschäftstätigkeit der übertragenden Gesellschaft bis zum steuerlichen Übertragungsstichtag ausweist. Aufgrund der Buchwertfortführung entsprach die Gewinnermittlungsbilanz der B-GmbH zum 30.06.2011 ihrer steuerlichen Schluss- bzw. Übertragungsbilanz (vgl. allgemein BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 1314 Rz 03.01).
Zugleich waren die Wirtschaftsgüter der B-GmbH auch in der Bilanz der Klägerin auf den 30.06.2011 auszuweisen. Wenn (wie im Streitfall) der steuerliche Übertragungsstichtag mit dem regulären Bilanzstichtag der Übernehmerin zusammenfällt, sind die Wirtschaftsgüter und sonstigen Bilanzpositionen des übertragenden Rechtsträgers somit doppelt, nämlich sowohl in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Gesellschaft als auch in der steuerlichen Jahresbilanz der Übernehmerin aufzuführen.
Übernehmender Rechtsträger tritt in die steuerliche Rechtsstellung der Überträgerin
Da der übernehmende Rechtsträger mit Wirkung ab dem steuerlichen Übertragungsstichtag (hier: 01.07.2011) in die steuerliche Rechtsstellung der Überträgerin eintritt (§ 12 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 S. 1 UmwStG; s.a. BFH-Urteil vom 22.11.2018, VI R 50/16), bedeute dies hinsichtlich der hier relevanten § 6b-Rücklage, dass diese von der Klägerin in der Weise fortzuführen sei, wie sie von der übertragenden Körperschaft hätte fortgeführt werden können bzw. müssen, so der BFH. Wenn aber die B-GmbH (die Verschmelzung hinweggedacht) die Rücklage am 01.07.2011 nicht mehr hätte "nutzen" können, weil die Reinvestitionsfrist am 30.06.2011 abgelaufen war und die Rücklage zwingend schon bei der Erstellung der Schlussbilanz der B-GmbH hätte gewinnerhöhend aufgelöst werden müssen, könne sie auch von der Klägerin nicht mehr "genutzt" werden.
Keine chronologische Reihenfolge von Gewinnermittlungsbilanz und Umwandlungsbilanz
Der in der Literatur vertretenen Auffassung, dass die Gewinnermittlungsbilanz der Umwandlungsbilanz "gedanklich" vorgeschaltet sei, also eine chronologische Reihenfolge anzunehmen sei, erteilt der BFH eine Absage.
Keine Anwendung des sog. Verklammerungsgedankens auf Umwandlungen
In der Literatur wird teilweise auch gefordert, dass in entsprechender Anwendung der zu § 6 Abs. 3 EStG ergangenen Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 23.04.2009, IV R 9/06) eine "Verklammerung" des auf die Rechtsvorgängerin entfallenden Reinvestitionszeitraums (48 Monate abzüglich einer logischen Sekunde) und des auf die Rechtsnachfolgerin entfallenden Reinvestitionszeitraums (eine logische Sekunde) zu einem Gesamtzeitraum von 48 Monaten stattfinde und die Beteiligten so zu stellen wären, als ob die Reinvestitionsfrist erst mit Ablauf der letzten Sekunde des 30.06.2011 geendet hätte. Auch diese Ansicht teilt der BFH nicht. Denn der Grundsatz des sog. Doppelausweises des Betriebsvermögens sei dahin zu verstehen, dass er nur solche Wirtschaftsgüter betreffen könne, die auch beim Übernehmer nach den steuerrechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen angesetzt werden können. Die § 6b-Rücklage müsse mit dem Schluss des vierten Wirtschaftsjahres aufgelöst sein und könne daher nicht mehr passiviert werden und nicht übergehen. Es komme auch nicht zu einer Verkürzung des von § 6b EStG eingeräumten Reinvestitionszeitraums um eine logische Sekunde; denn die Übertragungsbilanz der B-GmbH war auf die letzte Sekunde des 30.06.2011 aufzustellen, nicht auf einen davor liegenden (fiktiven) Zeitpunkt.
Betroffene Norm
§ 6b EStG
Streitjahr 2011
Vorinstanz
Finanzgericht Münster, Urteil vom 17.09.2018, 13 K 2082/15 K,G, siehe Deloitte Tax-News
Fundstelle
BFH, Urteil vom 29.04.2020, XI R 39/18, BStBl. II 2021, S.517
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 19.12.2012, IV R 41/09, BStBl. II 2013, S. 313, siehe Deloitte Tax-News
BFH-Urteil vom 22.11.2018, VI R 50/16, BStBl. II 2019, S. 313, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 23.04.2009, IV R 9/06, BStBl. II 2010, S. 664
BMF, Schreiben vom 12.03.2010, BStBl. I 2010, S. 239
BMF, Schreiben vom 11.11.2011 (Umwandlungssteuererlass), BStBl. I 2011, S. 1314