BFH: Anteilige Auflösung einer Pensionsrückstellung bei dauerhafter Reduzierung der Aktivbezüge
Eine Pensionsrückstellung ist anteilig gewinnwirksam aufzulösen, wenn die zugesagten Versorgungsbezüge im Verhältnis zu den Aktivbezügen am Bilanzstichtag überhöht sind (sog. Überversorgung). Eine Überversorgung ist regelmäßig anzunehmen, wenn die Versorgungsanwartschaft zusammen mit der Rentenanwartschaft aus der gesetzlichen Rentenversicherung 75 % der am Bilanzstichtag bezogenen Aktivbezüge übersteigt (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung des BFH). Eine Überversorgung ist aus steuerrechtlicher Sicht regelmäßig auch dann gegeben, wenn die Versorgungsanwartschaft trotz dauerhaft abgesenkter Aktivbezüge unverändert beibehalten und nicht ihrerseits gekürzt wird.
Sachverhalt
Streitig ist, ob eine Pensionsrückstellung im Zuge einer Absenkung der Aktivbezüge der Zusagebegünstigten anteilig gewinnwirksam aufzulösen ist.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH. In 1994 gewährte die GmbH ihren acht Gesellschafter-Arbeitnehmern eine betriebliche Altersversorgung in Form einer Pensionszusage. Jene war mit einer monatlichen Versorgung ab Vollendung des 65. Lebensjahres so bemessen, dass die Pension in jedem Einzelfall weniger als 75 % der seinerzeit aktuellen Aktivbezüge der Zusagebegünstigten betrug. In 2000 wurden die laufenden Gehälter der acht Gesellschafter-Arbeitnehmer um jeweils 20 % (unter entsprechender Anpassung der Arbeitszeit) aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten der GmbH gesenkt. Die Pensionszusagen wurden nicht gekürzt. Im Verhältnis zu den abgesenkten Aktivbezügen lag die Pension seitdem in sechs Fällen bei mehr als 75 % der Aktivbezüge. Zu einer wirtschaftlichen Erholung der GmbH kam es - abgesehen von 2001 - bis zur späteren Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr.
Unter Hinweis auf eine sog. Überversorgung kürzte das Finanzamt den bislang angesetzten Wert der Pensionsrückstellung zum 31.12.2002, zum 31.12.2003 und zum 31.12.2004. Die hiergegen erhobene Klage war erfolgreich.
Entscheidung
Das FG hat rechtsfehlerhaft von einer einkommens- und gewerbeertragswirksamen Kürzung der Rückstellung für die Pensionsverpflichtungen der GmbH gegenüber den sechs Gesellschafter-Arbeitnehmern abgesehen.
Die GmbH hatte in den Gewinnermittlungen der Streitjahre für ihre Verpflichtungen aus den Versorgungsversprechen grundsätzlich eine Rückstellung zu bilden. Die Rückstellung ist höchstens mit dem Teilwert der Pensionsverpflichtung anzusetzen (§ 6a Abs. 3 S. 1 EStG 2002). Dabei sind Erhöhungen oder Verminderungen der Pensionsleistungen nach dem Schluss des Wirtschaftsjahrs, die hinsichtlich des Zeitpunkts ihres Wirksamwerdens oder ihres Umfanges ungewiss sind, bei der Berechnung des Barwerts der künftigen Pensionsleistungen und der Jahresbeträge erst zu berücksichtigen, wenn sie eingetreten sind (§ 6a Abs. 3 S. 2 Nr. 1 S. 4 EStG 2002).
Eine sog. Überversorgung, die zur Kürzung der Pensionsrückstellung führt, ist typisierend dann anzunehmen, wenn die Versorgungsanwartschaft zusammen mit der Rentenanwartschaft aus der gesetzlichen Rentenversicherung 75 % der am Bilanzstichtag bezogenen Aktivbezüge übersteigt. Im Hinblick auf die Schwierigkeit, die letzten Aktivbezüge und die zu erwartenden Sozialversicherungsrenten zu schätzen, hat der BFH zur Prüfung einer möglichen Überversorgung auf die vom Arbeitgeber während der aktiven Tätigkeit des Begünstigten im jeweiligen Wirtschaftsjahr tatsächlich erbrachten Arbeitsentgelte abgestellt (ständige Rechtsprechung seit BFH-Urteil vom 13.11.1975, zuletzt BFH-Urteil vom 28.04.2010, s. auch BMF-Schreiben vom 03.11.2004). Das Überschreiten dieser Grenze deutet regelmäßig auf einen Verstoß gegen § 6a Abs. 3 S. 2 Nr. 1 S. 4 EStG 2002 hin (s. auch BFH-Beschluss vom 13.06.2007, BMF-Schreiben vom 24.08.2005).
Um den Maßgrenzen der Überversorgung zu entsprechen, muss es im Zuge einer Verminderung des Gehalts in einer Unternehmenskrise - bei einer nur vorübergehenden betriebsbedingten Gehaltsherabsetzung - allerdings nicht zwingend sofort zu einer Absenkung der Versorgung kommen. Anders sind hingegen dauerhafte Gehaltskürzungen zu beurteilen. Für ein Abweichen von den beschriebenen Überversorgungsgrundsätzen besteht dann ebenso wenig Anlass wie bei einer Neuzusage (s. auch BMF-Schreiben vom 24.08.2005).
Im Streitfall lässt sich zwar den Sachumständen entnehmen, dass die (Arbeitszeit- und) Gehaltsherabsetzung zunächst (in 2000) nur als vorübergehende, angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage der GmbH erforderliche und damit betriebsbedingte Sanierungsmaßnahme anzusehen war. Das FG hat aber ausdrücklich festgestellt, dass "jedenfalls aus der Sicht zum Bilanzstichtag 31.12.2002 - mithin zweieinhalb Jahre nach der erfolgten Absenkung und in Kenntnis der daraufhin im Jahr 2001 eingetretenen Verbesserung des wirtschaftlichen Ergebnisses - ... von einer vorübergehenden Maßnahme insoweit nicht mehr ausgegangen werden (konnte)". Für die steuerrechtliche Beurteilung des durch die Pensionszusagen vermittelten Versorgungsniveaus seien daher jedenfalls ab diesem Zeitpunkt nicht mehr die ursprünglichen, sondern die abgesenkten Aktivbezüge einerseits und die zugesagten Versorgungsleistungen andererseits maßgeblich. Das FG hat damit festgestellt, dass das Gehalt der Gesellschafter-Arbeitnehmer ungeachtet der wirtschaftlichen Situation der GmbH (wirtschaftliche Erholung in 2001) dauerhaft abgesenkt werden sollte. Auf dieser Grundlage ist das Überschreiten der üblichen Maßgrenze der Versorgung - im Vergleich zur tatsächlich gezahlten Höhe des Gehalts - als Überversorgung zu werten und die Pensionsrückstellung zu kürzen.
Betroffene Norm
§ 6a Abs. 3 S. 2 Nr. 1 S. 4 EStG 2002
Streitjahre 2001 bis 2004
Vorinstanz
Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.06.2011, 12 K 12274/09, EFG 2011, S. 1992
Fundstelle
BFH, Urteil vom 27.03.2012, I R 56/11, BStBl II 2012, S. 665
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 13.11.1975, IV R 170/73, BStBl II 1976, S. 142
BFH, Urteil vom 28.04.2010, I R 78/08, DStRE 2010, S. 976, siehe Deloitte Tax-News
BMF, Schreiben vom 03.11.2004, BStBl I 2004, S. 1045
BFH, Beschluss vom 13.06.2007, X B 34/06, BFH/NV 2007, S. 1703
BMF, Schreiben vom 24.08.2005, GmbHR 2006, S. 560
