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23.06.2015
Unternehmensrecht

BGH: Zur sekundären Beweislast bei Verletzung eines Schutzgesetzes

Der BGH hat in seinem Urteil vom 10. Februar 2015 (Az.: VI ZR 343/13) entschieden, dass den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei, sowohl bei vertraglichen als auch bei deliktsrechtlichen Schadensersatzansprüchen, eine sekundäre Darlegungslast treffen kann.

Nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen muss in einem Zivilprozess jeweils derjenige die Tatsachen darlegen und im Bestreitensfalle beweisen, die für ihn günstig sind (sog. „Günstigkeitsprinzip“). In bestimmten Situationen verfügt der Beweisverpflichtete aber gar nicht über alle erforderlichen Informationen, um diesen Beweis führen zu können und ein „bloßes“ Bestreiten der Gegenseite führt dazu, dass der Beweis nicht als erbracht gilt. In solchen Fällen kann jedoch eine „sekundäre Darlegungspflicht“ bestehen, die von der Gegenseite eine substantielle (Gegen-)Darlegung erfordert. Im vorliegenden Fall hatte der BGH erneut zu entscheiden, ob die sekundäre Darlegungspflicht auch dann eingreifen kann, wenn sich die Gegenpartei damit unter Umständen strafrechtlich selbst belastet.

Sachverhalt

Die Beklagten, die beiden Geschäftsführer der N-GmbH, verwalteten von 1997 bis 2006 Grundstücke der Klägerin. Die N-GmbH überwies auf Veranlassung der beiden beklagten Geschäftsführer in den Jahren 2003 bis 2006 von den für die Klägerin geführten Konten insgesamt einen Betrag von rund EUR 300.000,-- an Dritte und unterließ es darüber hinaus, eingegangene Mieteinnahmen aus der Verwaltung der Grundstücke i.H.v. EUR 53.855,-- an die Klägerin abzuführen. In zwei vorangegangen Verfahren machte die N-GmbH gegenüber der Klägerin bereits erfolglos Ersatz der von ihr im Rahmen der Grundstücksverwaltung getätigten Aufwendungen geltend.

Im Rahmen des streitgegenständlichen Verfahrens machte die Klägerin nunmehr geltend, dass es sich bei den von der N-GmbH überwiesenen Geldern bzw. bei den von ihr einbehaltenen Geldbeträgen um rechtswidrige Entnahmen bzw. Verrechnungen handele. Aufgrund dessen begehrte die Klägerin Schadensersatz in Höhe dieser Beträge aus der Verletzung einer strafrechtlichen Norm gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 Abs. 1 StGB.

In den Vorinstanzen blieb die Klägerin mit ihrem Begehren erfolglos (KG Berlin, Urteil vom 19. Juni 2013 - 26 U 180/11), da insbesondere die Berufungsinstanz die Ansicht vertrat, dass die Beklagten bei deliktischen Schadensersatzansprüchen wegen Verletzung einer Strafnorm keine sekundäre Darlegungspflicht aus zivilprozessualen Gründen treffe.

Entscheidung

Mit dem vorliegenden Urteil hob der BGH das Berufungsurteil der Vorinstanz als rechtsfehlerhaft auf und wies es zur erneuten Entscheidung an das KG zurück. In der Urteilsbegründung führte der BGH aus, dass das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen habe, dass die Beklagten keine sekundäre Darlegungspflicht bezüglich der die Entnahmen bzw. Einbehalte vom Konto rechtfertigenden Umstände treffe, da es sich um eine strafrechtliche Norm handele. Im Kern, so der BGH, habe das Berufungsgericht somit rechtsfehlerhaft einen Anspruch der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 Abs. 1 StGB verneint.

In der Urteilsbegründung führte der BGH aus, es sei grundsätzlich Aufgabe derjenigen Partei, die sich auf die deliktische Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes berufe, alle tatbestandsbegründenden Merkmale darzulegen und insbesondere auch zu beweisen (vgl. grundlegend BGH, NJW 1987, 2008 ff.). In bestimmten Ausnahmekonstellationen ergebe sich jedoch aus der zivilprozessualen Norm des § 138 Abs. 2 ZPO für die Gegenpartei die Pflicht, sich zu Behauptungen der beweisbelasteten Partei substantiiert einzulassen. Der BGH spricht insofern von sekundärer Darlegungslast, die wiederrum voraussetzt, dass die nähere Darlegung der beweisbelasteten Partei nicht möglich bzw. unzumutbar sei, während die Gegenseite alle wesentlichen Tatumstände kenne und es ihr insbesondere auch zumutbar sei, diesbezüglich nähere inhaltliche Angaben zu machen. In früheren Judikaten hatte der BGH bereits entschieden, dass die Grundsätze der sekundären Beweislast, insbesondere auch bei Schadensersatzansprüchen, greifen, die auf der Grundlage veruntreuter Gelder basieren. Der BGH bekräftigte, dass es in diesem Zusammenhang bedeutungslos sei, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Schutzgesetz um eine Strafnorm handele (vgl. dazu bereits BGH, NJW 1999, 714 f f.; BeckRS 1998, 30034945).

Um entscheiden zu können, ob die Beklagten die ausgeführten Überweisungen bzw. die Verrechnungen für die N-GmbH zu Lasten des Kontos der Klägerin rechtmäßig vornehmen konnte, seien, so der BGH weiter, Umstände zu berücksichtigen, die sich aus der Wahrnehmung der beklagten Partei ergeben hätten. Aus diesem Grunde sei es nicht per se auszuschließen, dass die Voraussetzungen der sekundären Darlegungslast vorlagen. Darüber hinaus sei vom Berufungsgericht zu prüfen, ob der primär darlegungsbelasteten Partei im Rahmen der ihr obliegenden Pflicht weitere Ausführungen tatsächlich unmöglich bzw. unzumutbar waren.

Praxishinweis

Der BGH bekräftigt mit dem vorliegenden Urteil seine Rechtsprechung zur sekundären Darlegungslast bei Verletzung von strafrechtlichen Schutzgesetzen. Demnach gibt es, freilich unter Berücksichtigung des rechtsstaatlichen Prinzips, dass niemand verpflichtet ist, sich strafrechtlich selbst zu belasten bzw. anzuklagen (nemo tenetur se ipsum accusare), einem grundrechtsgleichen Recht mit Verfassungsrang, im Zivilprozess grundsätzlich keine Unterscheidung zwischen vertraglichen und deliktischen Schadensersatzansprüchen. Es bleibt folglich bei dem Grundsatz, wonach es weiterhin der primär darlegungsbelasteten Partei obliegt, die für sie günstigen und demnach anspruchsbegründenden Merkmale im Prozess vorzutragen. Die Grundsätze der sog. sekundären Darlegungslast kommen erst dann zum Tragen, wenn es sich um Sachverhalte handelt, die nur dem Wahrnehmungsbereich der Gegenseite entspringen und somit außerhalb des darzulegenden Geschehensablaufs stehen. Die ergänzenden Aussagen der Gegenseite müssen dieser jedoch immer möglich und zumutbar sein. Die Aufgabe des Instituts der sekundären Darlegungslast liegt darin, das vom Beweislasttragenden Vorgebrachte durch Einzelheiten zu ergänzen. Dies führt jedoch weder zu einer Umkehr der Darlegungslast, noch zu einer Verpflichtung, die über die prozessuale Erklärungspflicht hinausgeht.

Vorinstanzen

KG, Urteil vom 19.06.2013 - Aktenzeichen 26 U 180/11
LG Berlin, Urteil vom 02.09.2011 – Aktenzeichen 31 O 22/11

Fundstelle

BGH, Urteil vom Urteil vom 10.02.2015 - Aktenzeichen VI ZR 343/13

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