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26.01.2016
Unternehmensrecht

Streit um Preisänderungsklauseln in Energielieferverträgen geht in nächste Runde: Folgen und Ausblick der Verfassungsbeschwerde

Der BGH hatte unter anderem mit Urteil vom 28.10.2015 Erdgaslieferanten ein Preisänderungsrecht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zugestanden, obwohl die zugrundeliegende vertragliche Bestimmung gegen EU-Recht verstieß. Hiergegen wurde am 26.11.2015 Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingereicht. Betroffene Energieversorger müssen nun prüfen, ob sie für etwaige Nachforderungen von Erdgaskunden gebildete Rückstellungen bereits auflösen können.

Hintergrund: Verfassungsbeschwerde gegen Urteil des BGH zu Preisänderungsklauseln eingelegt

Der BGH hatte unter anderem mit Urteil vom 28.10.2015 (VIII ZR 13/12) Erdgaslieferanten ein Preisänderungsrecht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zugestanden, obwohl die zugrundeliegende vertragliche Bestimmung gegen EU-Recht verstieß (dies hatte der EuGH in einem Vorabentscheidungsersuchen festgestellt, EuGH, Urteil vom 23.10.2014, verb. Rs. C-359/11 und C-400/11). Hiergegen wurde am 26.11.2015 Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingereicht.

Preisänderungsklauseln nach AVBGasV/GasGVV europarechtswidrig – BGH bejaht trotzdem Preisänderungsrecht wegen ergänzender Vertragsauslegung

Hintergrund dieses nicht enden wollenden Rechtsstreits ist die Frage, ob Erdgaslieferverträge mit Tarifkunden, die als Preisänderungsklausel § 4 Abs. 1 S. 2 AVBGasV oder § 5 Abs. 2 GasGVV a.F. (sowie entsprechend die Regelungen für Strom in der AVBEltV und StromGVV a.F.) enthielten, den Lieferanten ein wirksames Preisänderungsrecht einräumen. Der BGH legte in dem vorliegenden Fall dem EuGH die Frage vor, ob und inwieweit diese Klauseln gegen Europarecht verstoßen. Der EuGH entschied, dass diese Klauseln dem Europarecht zuwiderlaufen. Diese Klauseln verstießen insoweit gegen die europäischen Binnenmarkt-Richtlinien 2003/54/EG (Strom) und 2003/55/EG (Gas) (Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Anhang A sowie Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Anhang A). Anders als in dem Fall „RWE Vertrieb AG“ (EuGH, Urteil vom 21.03.2013, Rs. C-92/11), verstießen die vorliegenden Klauseln nicht auch gegen die sog. Klausel-Richtlinie (Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 05.04.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen). Dementsprechend konnten die Versorger Preisänderungen auf diese Klausel, soweit sie in Verträgen vereinbart worden war, nicht stützen. Dies gilt insoweit für alle vertraglichen Vereinbarungen, die auf § 4 AVBGasV wörtlich rekurrieren, als auch für Klauseln, die auf § 5 Abs. 2 GasGVV in seiner Fassung bis zum 22.10.2014 wörtlich Bezug nehmen.

Wäre man nun davon ausgegangen, dass die Gaslieferanten keine Preiserhöhungen hätten vornehmen können, so wären alle Preiserhöhungen auf dieser Grundlage unwirksam gewesen und die Kunden hätten die entsprechenden Preiserhöhungen sämtlich zurückverlangen können. Der BGH hat daher insoweit das Interesse der Erdgaslieferanten anerkannt, Kostensteigerungen im Gas- (bzw. Strom-)Bezug weitergeben zu können. In seinem Urteil kommt der BGH im Ergebnis dazu, dass diese Unternehmen Kostensteigerungen im Bezug weitergeben konnten. Dies begründet er damit, dass die EU-Rechtswidrigkeit der Preisanpassungsklausel dazu führt, dass eine Lücke im Vertrag besteht, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (nach §§ 157, 133 BGB) gefüllt werden müsse. Auf Grundlage der Maßstäbe von Treu und Glauben, des hypothetischen Parteiwillens und dem anerkannten Interesse der Erdgaslieferanten, (Bezugs-)Kostensteigerungen weiterzugeben, hat er sodann diese Lücke dahingehend gefüllt, dass sämtliche Preiserhöhungen, die in einem Zeitraum von drei Jahren vorgenommen worden sind und denen nicht widersprochen wurde, zulässig gewesen seien. Hiermit folgt er seiner eigenen ständigen Rechtsprechung zur Rückforderung von Preiserhöhungen, die auf Basis von unwirksamen Preisanpassungsklauseln vorgenommen worden sind.

Verfassungsbeschwerde wirft BGH Umgehung des EU-Rechts vor

Die Verfassungsbeschwerde rügt nunmehr, dass der BGH durch seine Entscheidung die Rechtsansicht des EuGH konterkariere. Es wird vorgebracht, dass der BGH die Frage, ob eine ergänzende Vertragsauslegung in einem solchen Fall überhaupt zulässig sei, wenn eine EU-rechtswidrige Preisanpassungsklausel zu einer Vertragslücke führt, nicht dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt habe. Die Entscheidung des BGH sei daher wegen eines Verstoßes gegen Art 101 Abs. 1, S. 2 Grundgesetz (Gebot des gesetzlichen Richters) aufzuheben.

Praktische Bedeutung der Verfassungsbeschwerde

Diese Einwendungen, die die Verfassungsbeschwerde geltend macht, sind durchaus ernst zu nehmen, jedoch bleiben die Erfolgsaussichten insoweit schwer einzuschätzen. Sollte aber das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung annehmen und entscheiden, dass der BGH diese Frage im Wege der Vorabentscheidung dem EuGH hätte vorlegen müssen, droht der Branche ein erneuter langjähriger Streit um die Wirksamkeit von Preisanpassungen und weitere Rückforderungsansprüche der Kunden. Der BGH müsste erneut den EuGH um Entscheidung ersuchen. Insofern könnte dieser Rechtsstreit noch weitere Jahre dauern, bis es zu einem endgültigen rechtskräftigen Urteil des BGH kommt.

Betroffene Erdgaslieferanten müssen vor diesem Hintergrund prüfen, inwieweit sie die vorgenommenen Rückstellungen für etwaige Rückforderungsansprüche der Kunden bereits auflösen können.

Die Frage zulässiger Preisänderungsklauseln und flankierender Klauseln in Energielieferverträgen ist auch Gegenstand weiterer Entscheidungen Ende letzten Jahres gewesen. Lesen Sie hierzu unsere weiteren Meldungen.

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