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12.04.2016
Unternehmensrecht

BGH: Zum zulässigen Zeitpunkt der Absage einer Hauptversammlung durch den Vorstand

Das vom BGH gefällte Grundsatzurteil vom 30. Juni 2015 beleuchtet das Spannungsverhältnis zwischen dem Recht der Minderheit auf die Einberufung der Hauptversammlung und der Kompetenz des Vorstands, eine Hauptversammlung abzusagen. Der BGH hat in seinem Urteil entschieden, dass die Kompetenz des Vorstands zur Absage der Hauptversammlung dem Interesse der Minderheit auf die Einberufung vorgeht, eine Absage aber nur innerhalb bestimmter Grenzen zulässig ist.

I. Sachverhalt

Verschiedene Minderheitskommanditaktionäre einer KGaA hatten gemäß § 122 Abs. 1 AktG die Einberufung einer Hauptversammlung gegenüber dem Geschäftsführer der Komplementärin der Gesellschaft (nachfolgend der Einfachheit halber „Vorstand“ genannt) zu dem Zweck verlangt, in der Hauptversammlung eine Vielzahl von Rechten gegenüber dem Vorstand geltend zu machen. Geplant hatten die Minderheitskommanditaktionäre insbesondere, den Aufsichtsrat der Gesellschaft neu zu besetzen, dem Vorstand das Vertrauen zu entziehen, eine Sonderprüfung gegen ihn zu beantragen; dies verbunden mit einem Antrag auf Geltendmachung von Organhaftungsansprüchen. Der Vorstand folgte diesem Verlangen und rief die Hauptversammlung ein. Nachdem sich bereits zahlreiche Kommanditaktionäre im Versammlungsraum eingefunden hatten, sagte der Vorstand die Hauptversammlung ab und verließ diese − wie auch ein erheblicher Teil der stimmberechtigten Kommanditaktionäre. Die verbliebenen Kommanditaktionäre dagegen wählten einen neuen Versammlungsleiter, hielten die Hauptversammlung ab und fassten gemäß der Tagesordnung die Beschlüsse. Der Vorstand klagte daraufhin gegen die Wirksamkeit der Beschlüsse mit der Begründung, dass diese nach der Absage der Hauptversammlung nicht mehr wirksam gefasst werden konnten.

II. Entscheidung des BGH

Der BGH hat entschieden, dass die Kompetenz zur Absage der Hauptversammlung beim Vorstand liegt, und zwar auch dann, wenn die Einberufung auf das Verlangen der Minderheit zurückzuführen ist. Dies folge aus der Systematik des AktG, wonach dem Vorstand auch bei einem eigenen, pflichtwidrigen Verhalten grundsätzlich die Kompetenz zustehe, die Hauptversammlung abzusagen. Verhindere der Vorstand pflichtwidrig die von der Minderheit verlangte Einberufung der Hauptversammlung, könnte diese sich zur Einberufung gerichtlich nach § 122 Abs. 3 AktG ermächtigen lassen und die Gesellschaft gegen den Vorstand gegebenenfalls Schadensersatzansprüche geltend machen.

Zeitlich könne der Vorstand dieses Recht allerdings nicht unbegrenzt ausüben. Im vorliegenden Fall sei die Absage nicht mehr möglich gewesen, weil die Kommanditaktionäre sich zum Zeitpunkt des festgelegten Beginns der Hauptversammlung und nach Durchlaufen der Durchlasskontrollen am Versammlungsort bereits eingefunden hatten. Zwar liege es im Interesse der Gesellschaft und der Kommanditaktionäre, eine Hauptversammlung abzusagen, wenn die Gründe für die Absage nach der Einberufung entstanden sind, um eine unnötige (Kosten-)Belastung der Gesellschaft und der Kommanditaktionäre zu vermeiden. Dieser Gesichtspunkt gelte aber dann nicht, wenn der Vorstand – wie hier – den erschienenen Kommanditaktionären die Absage erst nach deren Erscheinen und Durchlaufen der Einlasskontrollen mitteile. Aus diesem Grund müsse auch nicht entschieden werden, ob – wie auch vom Schrifttum vertreten – die Kompetenz des Vorstands zur Absage der Hauptversammlung erst mit der förmlichen Eröffnung der Hauptversammlung ende.

Der BGH führte weiter aus, dass der Vorstand kurzfristigen Problemen mit den Mitteln der Vertagung, Verschiebung des Beginns, Unterbrechung, Verlegung des Hauptversammlungsorts etc. begegnen müsse, nicht jedoch mit der Absage. Denn nur so sei sichergestellt, dass Vorstände nicht missbräuchlich eine Hauptversammlung absagen können, weil sie etwa nach dem Eintreffen der Kommanditaktionäre erkannt haben, dass unliebsame Stimmrechtsmehrheiten bestehen.

Der BGH hatte schließlich zu entscheiden, ob die nach der Absageerklärung des Vorstands gefassten Beschlüsse der Hauptversammlung nichtig oder unwirksam waren. Einen Nichtigkeitsgrund sah der BGH nicht für gegeben, insbesondere erachtete er die fehlende förmliche Eröffnung der Hauptversammlung als keinen Nichtigkeitsgrund nach § 241 AktG. Die gefassten Beschlüsse erklärte er jedoch für anfechtbar, da diejenigen Kommanditaktionäre, die nach der erklärten Absage durch den Vorstand die Hauptversammlung verlassen hatten, in ihrem Teilnahmerecht nach § 118 Abs. 1 AktG verletzt seien. Für diese Kommanditaktionäre sei im vorliegenden Fall nicht ohne Weiteres erkennbar gewesen, ob die Absage unwirksam war. Dieser Verstoß sei zudem erheblich, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Hauptversammlung im Beisein dieser Kommanditaktionäre andere Beschlüsse gefasst hätte. Für unschädlich erachtete es der BGH, dass der Vorstand die Verletzung des Teilnahmerechts der Kommanditaktionäre gerichtlich geltend gemacht hatte. Einerseits sei er kraft Gesetzes dazu berufen, die Rechtmäßigkeit der Beschlüsse der Hauptversammlung einer gerichtlichen Kontrolle unterziehen zu lassen (§§ 245 Nr. 4, 278 Abs. 3, 283 Nr. 13 AktG), auch wenn er möglicherweise die Fehlerhaftigkeit der angegriffenen Beschlüsse verursacht habe. Andererseits sei den tatsächlichen Feststellungen der erst- und zweitinstanzlichen Entscheidungen nicht zu entnehmen gewesen, dass der Vorstand rechtsmissbräuchlich die Hauptversammlung abgesagt hatte, um missliebige Entscheidungen zu verhindern.

III. Fazit

Das Urteil des BGH ist von hoher Relevanz, da es einerseits klarstellt, dass die Rechte der Minderheit die Kompetenz des Vorstands zur wirksamen Absage der Hauptversammlung nicht beeinträchtigen. Andererseits definiert es, ab welchen Zeitpunkt die Absage der Hauptversammlung nicht mehr in die Zuständigkeit des Vorstands fällt. Als Leitlinie gilt hier, dass der Vorstand jedenfalls solange rechtmäßig die Hauptversammlung absagen kann, wie er dadurch der Gesellschaft und den Kommanditaktionären Kosten spart. Wichtig ist, dass die Überlegungen aus dem Urteil auf Aktiengesellschaften voll übertragbar sind, was dem Urteil des BGH eine größere Tragweite verleiht.

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