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25.11.2013
Unternehmensrecht

BAG: Dauerhafter Einsatz von Leiharbeitnehmern verstößt gegen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und kann vom Betriebsrat verhindert werden

Die Einstellung eines Leiharbeitnehmers bedarf der Zustimmung eines im Entleiherbetrieb bestehenden Betriebsrats. Dieser kann besagte Zustimmung verweigern, wenn die geplante Einstellung gegen ein Gesetz verstößt. Das Bundesarbeitsgericht hat nun die in Rechtsprechung und Literatur heftig umstrittene Frage geklärt, ob das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz den nicht nur vorübergehenden Einsatz von Leiharbeitnehmern verbietet.

Sachverhalt

In dem der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zugrundeliegenden Sachverhalt beabsichtigte ein Arbeitgeber eine Leiharbeitnehmerin ohne jegliche zeitliche Begrenzung anstelle einer Stammkraft ein-zusetzen. Dem lag die Planung des Arbeitgebers zugrunde, zukünftig sämtliche neu zu besetzenden Stellen dauerhaft nur noch mit Leiharbeitnehmern zu besetzen, um auf diese Weise eine Strukturveränderung der Personalkosten zu erreichen.
Der im Betrieb eingerichtete Betriebsrat verweigerte seine Zustimmung zu dieser Einstellung, da der dauerhafte Einsatz von Leiharbeitnehmern Absicht, Sinn und Zweck des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) widerspräche. Ziel des AÜG sei es, neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu erschließen und nicht, Stammarbeitsplätze in Leiharbeitsplätze umzuwandeln.
Das Arbeitsgericht hat dem daraufhin vom Arbeitgeber gestellten Antrag auf gerichtliche Ersetzung der Zustimmung entsprochen. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde des Betriebsrats wies das Landesarbeitsgericht zurück, woraufhin der Betriebsrat beim BAG Rechtsbeschwerde erhob.

Entscheidung

Im Gegensatz zu den Vorinstanzen entschied der 7. Senat des BAG, dass der Betriebsrat die Zustimmung berechtigterweise verweigert habe.

Ein bei einer Einstellung gemäß § 14 Abs. 3 AÜG in Verbindung mit § 99 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zu beteiligender Betriebsrat eines Entleiherbetriebs sei nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG u.a. dann zur Verweigerung seiner Zustimmung zu einer Einstellung berechtigt, wenn diese gegen ein Gesetz verstoße.
Nach Ansicht des BAG stellt § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG, wonach die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher vorübergehend erfolgt, ein solches Verbotsgesetz im Sinne des § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG dar. Die mit Wirkung zum 1. Dezember 2011 eingefügte Bestimmung enthalte nicht lediglich eine Beschreibung oder einen unverbindlichen Programmsatz, sondern untersage die nicht nur vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung. Dies ergebe nach einer Auslegung der Norm insbesondere der Charakter und der Sinn und Zweck der Vorschrift. Die Regelung verlöre ihren Sinn als gesetzliche Norm, wenn sie im Falle des Vorliegens einer nicht mehr vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung keine Bedeutung hätte. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG diene zum einen dem Schutz der Leiharbeitnehmer und solle zum anderen die dauerhafte Aufspaltung der Belegschaft des Entleiherbetriebs in eine Stammbelegschaft und eine entliehene Belegschaft verhindern.
Die nicht nur vorübergehende Beschäftigung eines Leiharbeitnehmers verstoße damit gegen ein Gesetz, weshalb der Betriebsrat berechtigt gewesen sei, die Zustimmung zu verweigern.

Einer genauen zeitlichen Eingrenzung des Begriffs „vorübergehend“ habe es im vorliegend entschiedenen Fall nicht bedurft, da die vom Arbeitgeber beabsichtigte Einstellung der Leiharbeitnehmerin ohne jegliche zeitliche Begrenzung jedenfalls nicht mehr „vorübergehend“ im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG sei.

Betroffene Normen

§§ 1 Abs. 1 Satz 2, 14 Abs. 3 AÜG; § 99 BetrVG, insbesondere 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG

Anmerkungen

Die Entscheidung des BAG steht an der Spitze einer Reihe höchst unterschiedlicher Entscheidungen verschiedener Arbeits- und Landesarbeitsgerichte.

So versagten in jüngerer Vergangenheit das Arbeitsgericht Mönchengladbach und das Arbeitsgericht Leipzig § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG die Qualität eines Verbotsgesetzes. Diese Ansicht wurde von Teilen der Literatur mit dem Argument geteilt, die Regelung sei lediglich feststellend und enthalte keine Rechtsfolge. Zudem sei das Merkmal „vorübergehend“ so unbestimmt, dass nicht klar sei, welches Verhalten untersagt werden solle.

Andere Gerichte, wie zum Beispiel das LAG Niedersachsen oder das Arbeitsgericht Offenbach, sowie andere Stimmen in der Literatur bejahten hingegen die Verbotsgesetzqualität und verwiesen darauf, dass nur so dem Betriebsrat ein wirkungsvolles Instrument der Kontrolle des Einsatzes von Leiharbeitnehmern zur Verfügung stünde.

Die vorliegende Entscheidung des BAG schafft zumindest hinsichtlich der Streitfrage der Verbotsgesetzqualität nun Klarheit, was zu begrüßen ist.

Demgegenüber klärt die Entscheidung des BAG nicht die in der Rechtsprechung und Literatur rege diskutierte Frage, welche zeitliche Grenze hinsichtlich des Merkmals „vorübergehend“ anzusetzen ist.

Nach Einfügung des § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG mit Wirkung zum 1. Dezember 2011 bildeten sich in der Literatur binnen kurzer Zeit zahlreiche Auffassungen hinsichtlich der Definition des Begriffs „vorübergehend“.
Einige Autoren orientieren sich an den Wertungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG). So wird vertreten, dass eine Überlassung immer dann vorübergehend sein, wenn für sie einer der Befristungsgründe des § 14 TzBfG vorliege. Andere Autoren nehmen eine eher wertende Inhaltsbestimmung vor, wonach eine vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung dann vorliege, wenn sie voraussichtlich zeitweiligen Arbeitskräftebedarf decke. Zuletzt findet sich wiederum die Ansicht, das Merkmal „vorübergehend“ habe lediglich klarstellende Funktion und enthalte keine Rechtsfolge.

Der Rechtsprechung ist ebenfalls keine einheitliche Linie zu entnehmen.
Dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf zufolge ist der Begriff „vorübergehend“ im Sinne der europäischen Leiharbeitsrichtlinie als flexible Zeitkomponente zu verstehen. Eine genau bestimmte Höchstfrist solle durch ihn nicht festgelegt werden, so dass es nicht erforderlich sei, dass bereits bei Beginn der Überlassung feststehe, wann diese enden werde.
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen verneint demgegenüber eine derartige bloß klarstellende Funktion. „Vorübergehend“ sei als „nur eine gewisse Zeit dauernd“ zu interpretieren, eine zeitlich nicht begrenzte Leiharbeitstätigkeit sei daher unzulässig.

Die Entscheidung des BAG trägt hinsichtlich des Streites um das Merkmal „vorübergehend“ insofern zur Klärung bei, als sie die Ansichten in Rechtsprechung und Literatur bestätigt, die davon ausgehen, dass durch den Begriff „vorübergehend“ eine verbindliche Höchstfrist geregelt wird. Ein Einsatz ohne jegliche zeitliche Begrenzung ist nicht mehr vorübergehend und daher unzulässig.

Die für die Praxis ebenso relevante Frage, wann eine Überlassung zeitlich noch als „vorübergehend“ im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG zu qualifizieren ist, wird durch die Entscheidung hingegen nicht gelöst.
Der nicht nur auf kurze Vertretungstätigkeiten beschränkte Einsatz von Leiharbeitnehmern ist daher nach wie vor risikobehaftet – zumal die rechtlichen Folgen eines Verstoßes gegen § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG, insbesondere hinsichtlich möglicher Auswirkungen auf das Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, ebenfalls noch nicht geklärt sind.

Vorinstanzen

Arbeitsgericht Braunschweig, Beschluss vom 06.07.2011, 3 BV 8/11
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Beschluss vom 16.11.2011, 17 TaBV 99/11

Fundstelle

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 10.07.2013, 7 ABR 91/11

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