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28.04.2015
Unternehmensrecht

Arbeitsgericht Berlin: Keine Anrechnung von Urlaubsgeld und jährlicher Sonderzahlung auf den gesetzlichen Mindestlohn

Die von einem Arbeitgeber mit dem Ziel ausgesprochene Änderungskündigung, die bisherige Grundvergütung pro Stunde auf den gesetzlichen Mindestlohn von EUR 8,50 anzuheben und das zusätzliche Urlaubsgeld und die Jahressonderzahlung auf den gesetzlichen Mindestlohn anzurechnen, ist unwirksam.

Sachverhalt

Die Arbeitnehmerin wurde von der Arbeitgeberin gegen eine Grundvergütung in Höhe von EUR 6,44 brutto je Stunde zuzüglich Leistungszulage und Schichtzuschläge beschäftigt. Sie erhielt ferner ein zusätzliches Urlaubsgeld sowie eine nach Dauer der Betriebszugehörigkeit gestaffelte Jahressonderzahlung.

Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis im Wege der Änderungskündigung, d.h. sie bot der Arbeitnehmerin mit Ausspruch der Kündigung an, das Arbeitsverhältnis mit einem Stundenlohn von EUR 8,50 brutto bei Wegfall der Leistungszulage, des zusätzlichen Urlaubsgeldes und der Jahressonderzahlung fortzusetzen.

Gegen die ausgesprochene Kündigung legte die Arbeitnehmerin Kündigungsschutzklage ein.

Entscheidung

Das Arbeitsgericht Berlin hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Es hat die von der Arbeitgeberin ausgesprochene Änderungskündigung für unwirksam gehalten. Der gesetzliche Mindestlohn solle unmittelbar die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers entgelten. Der Arbeitgeber dürfe daher Leistungen, die – wie das zusätzliche Urlaubsgeld und die Jahressonderzahlung – nicht diesem Zweck dienten, nicht auf den Mindestlohn anrechnen. Eine Änderungskündigung, mit der diese unzulässige Anrechnung erreicht werden solle, sei unzulässig.

Betroffene Normen

§§ 2, 1 KSchG, § 1 MiLoG

Anmerkungen

Am 1. Januar 2015 ist das viel diskutierte Mindestlohngesetz in Kraft getreten. Wie nach dem Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens nicht anders erwartet, lässt das Mindestlohngesetz jedoch Fragen offen und sorgt bisweilen sogar für große Unsicherheit im Rahmen der Anwendung der gesetzlichen Vorschriften. So überrascht es nicht, dass sich die Rechtsanwender erhoffen, dass insbesondere durch die Arbeitsgerichte im Rahmen klärender Rechtsprechung – zumindest teilweise – für Abhilfe gesorgt wird.

Dementsprechend groß ist die Aufmerksamkeit, die das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 4. März 2015 (Az.: 54 Ca 14420/14) erfährt, da es sich um die bislang erste und einzige veröffentlichte arbeitsgerichtliche Entscheidung handelt, die sich mit den Rechtsfolgen des Mindestlohngesetzes auseinandersetzt (allerdings sind bisher lediglich die Leitsätze veröffentlicht, die Urteilsgründe stehen noch aus).

Konkret geht es in dieser Entscheidung um die Frage, ob bestimmte vom Arbeitgeber zu erbringende Vergütungsleistungen auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden dürfen.

Schon bei der zugrundeliegenden Frage, ob der gesetzliche Mindestlohn auch durch die Erbringung anderer Entgeltbestandteile erfüllt werden kann (diese Entgeltbestandteile also auf den Mindestlohn angerechnet werden dürfen), gehen die Meinungen deutlich auseinander. So wird in der Literatur zum Teil vertreten, dass der Gesetzgeber mit dem Mindestlohngesetz lediglich den Zweck verfolgt habe, eine branchenübergreifende, allgemeine Lohnuntergrenze zur Absicherung einer Existenzgrundlage festzusetzen. Dies lege die Annahme nahe, dass alle Vergütungsbestandteile auf den Mindestlohn angerechnet werden, die dazu beitragen, überhaupt Einkommen zu erzielen.

Dieser Argumentation wird – insbesondere von der Bundesregierung – entgegengehalten, auf die Mindestvergütung in Höhe von EUR 8,50 brutto seien nur diejenigen Entgeltbestandteile anzurechnen, die nach ihrer Zwecksetzung diejenige Arbeitsleistung abgelten, die Gegenstand der Mindestlohnverpflichtung sei (die sogenannte „Normalleistung“). Dieser Argumentation liegt eine vom Europäischen Gerichtshof sowie dem Bundesarbeitsgericht zu den Maßstäben des Arbeitnehmerentsendegesetzes entwickelte Rechtsprechung zugrunde (auf Basis des Arbeitnehmerentsendegesetzes hat der Gesetzgeber bereits vor Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes Mindestarbeitsbedingungen für spezifische Wirtschaftsbranchen festgelegt).

Diesem Verständnis folgend kommt es für die Frage, ob vom Arbeitgeber gewährte Zusatzleistungen auf den Mindestlohn angerechnet werden können, darauf an, ob mit der Zahlung der jeweiligen Zusatzleistung die vertraglich geschuldete „Normalleistung“ des Arbeitgebers abgegolten wird.

In seiner Entscheidung vom 4. März 2015 bricht das Arbeitsgericht Berlin dieses Verständnis auf einen einfachen Nenner herunter, indem es in seinen Leitsätzen ausführt, der gesetzliche Mindestlohn solle unmittelbar die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers entgelten. Daher dürfe die Arbeitgeberin Leistungen, die – wie das zusätzliche Urlaubsgeld und die Jahressonderzahlung – nicht diesem Zweck dienen, nicht auf den Mindestlohn anrechnen.

Die Arbeitgeberin hatte der Arbeitnehmerin ursprünglich eine Grundvergütung in Höhe von EUR 6,44 brutto je Stunde zuzüglich Leistungszulage und Schichtzulagen gezahlt. Außerdem erhielt die Arbeitnehmerin ein zusätzliches Urlaubsgeld sowie eine nach Dauer der Betriebszugehörigkeit gestaffelte Jahressonderzahlung.

Mit der Änderungskündigung beabsichtigte die Arbeitgeberin, die ursprüngliche Grundvergütung auf das Niveau der vom Mindestlohngesetz vorgesehenen Mindestvergütung von EUR 8,50 brutto pro Stunden anzuheben. Gleichzeitig verfolgte sie jedoch das Ziel, künftig das Urlaubsgeld sowie die Jahressonderzahlung auf die (angehobene Grundvergütung) anrechnen zu können. Offenbar vertritt das Arbeitsgericht Berlin jedoch die Auffassung, dass mit dem zusätzlichen Urlaubsgeld und der Jahressonderzahlung nicht die „Normalleistung“ vergütet werden soll. Eine Änderungskündigung, mit der die Anrechnung erreicht werden solle, sei – so das Arbeitsgericht Berlin – unzulässig.

Bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung ist bei der Frage der Anrechenbarkeit der einzelnen Lohnbestandteile weiter Vorsicht geboten. Arbeitgeber, welche hinsichtlich dieser Frage kein Risiko eingehen möchten, sollten sich an der Rechtsprechung zu anrechenbaren Vergütungsbestandteilen bei Anwendung des Arbeitnehmerentsendegesetzes orientieren und – im Zweifel – alle Bestandteile der Vergütung, die nicht unmittelbar im Äquivalenzverhältnis zur konkret geleisteten Arbeit stehen, als nicht auf den Mindestlohn anrechenbar betrachten.

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