Deutschland setzt die EU-Richtlinie über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten des Rates vom 10.10.2017 (EU-Streitbeilegungsrichtlinie) in nationales Recht um. Das EU-Doppelbesteuerungsabkommen-Streitbeilegungsgesetz (EU-DBA-SBG-E) soll rückwirkend zum 01.07.2019 in Kraft treten. Mit dem Gesetz soll die verfahrensrechtliche Position der Steuerpflichtigen bei drohender oder bereits eingetretener Doppelbesteuerung gestärkt werden.
Erklärtes Ziel der EU ist es, die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten zur Vermeidung von Doppelbesteuerung zu verbessern, um den aus der Doppelbesteuerung resultierenden Einschränkungen des gemeinsamen Binnenmarkts entgegenzuwirken. Angesichts erheblicher Unzulänglichkeiten der bestehenden Verfahren zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung auf der Grundlage von Doppelbesteuerungsabkommen und EU-Schiedskonvention, insbesondere in Bezug auf den Zugang zu Verfahren sowie in Bezug auf deren Dauer und wirksamen Abschluss, soll mithilfe der Richtlinie über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union v. 10.10.2017 (EU-Streitbeilegungsrichtlinie) diesbezüglich Abhilfe geschaffen werden.
Die EU-Streitbeilegungsrichtlinie soll auf Basis des am 17.05.2019 von der Bundesregierung beschlossenen Entwurfs für ein EU-Doppelbesteuerungsabkommen-Streitbeilegungsgesetz (EU-DBA-SBG-E) in nationales Recht umgesetzt werden. Dieses neue Instrument ergänzt daher die bereits bestehenden Verfahren, also insbesondere Verständigungs- und Schiedsverfahren nach DBA und der EU-Schiedskonvention und geht über diese hinaus.
Der Gesetzentwurf v. 17.05.2019 weicht vom Aufbau der EU-Streitbeilegungsrichtlinie insoweit ab, als dieser dem chronologischen Ablauf des neuen Verfahrens folgt. Die EU-Streitbeilegungsrichtlinie folgte dieser Systematik lediglich in groben Zügen. Der Gesetzentwurf soll durch diese Gliederung für den Rechtsanwender die Verständlichkeit verbessern sowie der Systematik der deutschen Rechtstechnik folgen. Daneben verzahnt er die EU-rechtlichen Vorgaben mit bestehenden nationalen Regelungen.
Dem Steuerpflichtigen wird auf Antrag ein zusätzliches Verfahren zur Beseitigung von Streitigkeiten über Doppelbesteuerungen eröffnet, bei dem am Ende eine gemeinsame Entscheidung der zuständigen Behörden der beteiligten EU-Mitgliedstaaten über die Streitfrage steht. Mit dem Eingang der Beschwerde bei den zuständigen Behörden werden laufende Verständigungs- und Schiedsverfahren nach DBA und nach der EU-Schiedskonvention, die im Zusammenhang mit der Streitfrage stehen, von Amts wegen beendet (§ 4 Abs. 4 EU-DBA-SBG-E). Für natürliche Personen und kleinere Unternehmen (KMU im Sinne des EU-Rechts) sind darüber hinaus Verfahrensvereinfachungen vorgesehen (§ 28 Abs. 1 EU-DBA-SBG-E). Das zu implementierende Verfahren besteht aus drei Phasen: Streitbeilegungsbeschwerde, §§ 4–12 EU-DBA-SBG-E (Phase 1), Verständigungsverfahren, §§ 13–16 EU-DBA-SBG-E (Phase 2) sowie Schiedsverfahren, §§ 17–20 EU-DBA-SBG-E (Phase 3).
Die folgende Darstellung (Gesetzentwurf zum EU-DBA-SBG-E, BR-Drucks. 227/19 S. 25) gibt einen graphischen Überblick über das von der EU-Streitbeilegungsrichtlinie vorgegebene Streitbeilegungsverfahren:
Die am 03.11.2017 in Kraft getretene EU-Streitbeilegungsrichtlinie musste bis zum 30.6.2019 in nationales Recht umgesetzt werden. Anwendung findet sie auf Beschwerden, die ab dem 01.07.2019 zu Streitfragen im Zusammenhang mit Einkommen oder Vermögen eingereicht werden und betrifft Geschäftsjahre, die ab dem 01.01.2018 begonnen haben (Art. 23 RL (EU) 2017/1852). Entsprechend regelt § 33 Abs. 1 EU-DBA-SBG-E den zeitlichen Anwendungsbereich des Gesetzes. § 33 Abs. 2 EU-DBA-SBG-E sieht darüber hinaus vor, dass Deutschland mit anderen Mitgliedstaaten vereinbaren kann, dieses Verfahren auch auf Streitbeilegungsbeschwerden anzuwenden, die vor dem 01.07.2019 oder für Steuerjahre, die vor dem 01.01.2018 beginnen, eingereicht werden.
Da das Gesetzgebungsverfahren nicht rechtzeitig zum 30.06.2019 abgeschlossen wurde, ist laut BMF entsprechend des Wortlauts des § 33 Abs. 1 EU-DBA-SBG-E eine rückwirkende Gesetzesänderung geplant, welche jedoch als unproblematisch einzustufen ist, da sich dieses Gesetz zugunsten des Steuerpflichtigen auswirke. Das BMF hat mit Schreiben vom 25.06.2019 klargestellt, dass bis zum Inkrafttreten des Gesetzes auf (Streitbeilegungs-)Beschwerden, die unter Berufung auf die Streitbeilegungsrichtlinie eingereicht werden, der Regelungsgehalt der Streitbeilegungsrichtlinie Anwendung findet.
Positiv ist hervorzuheben, dass mit Umsetzung der EU-Streitbeilegungsrichtlinie für Fälle der Doppelbesteuerung in der EU, in denen bisher kein effektiver Rechtsschutz bestand, aufgrund des weiten Anwendungsbereichs der Richtlinie dieser nunmehr geschaffen wird. Dies betrifft insbesondere Doppelbesteuerungsfälle, in denen die EU-Schiedskonvention nicht anwendbar ist oder in denen sie in der Praxis nicht angewendet wurde noch ein DBA mit Schiedsklausel eingreift. Bei den Verständigungs- und Schiedsverfahren gemäß DBA und EU-Schiedskonvention, bei denen Verfahrensfragen im Wesentlichen auf Verwaltungspraxis beruhen oder in Anlehnung an das jeweilige nationale Recht gelöst werden, führten fehlende Verfahrensregeln nicht selten zu Verfahrensverzögerungen, wenn nicht gar -hindernissen. Im Gegensatz dazu ist das neue Verfahren relativ detailliert geregelt, was auf effizientere Verfahren hoffen lässt. Die Möglichkeit eines Schiedsverfahrens (Phase 3) führt bereits bei Verfahren gemäß EU-Schiedskonvention bzw. DBA mit Schiedsklausel faktisch zur Erledigung fast aller Fälle auf Ebene des Verständigungsverfahrens (Phase 2). Dieser positive, verfahrensbeschleunigende Effekt ist daher auch für Fälle gemäß der Streitbeilegungsrichtlinie zu erwarten.
Negativ ist jedoch hervorzuheben, dass es sich bei dem neuen Verfahren um ein komplexes Verfahren handelt, das einen erheblichen administrativen Aufwand und entsprechend hohe Kosten mit sich bringt. Es ist zu erwarten, dass es in der Praxis für den Steuerpflichtigen erst ab einem gewissen Streitvolumen sinnvoll ist, ein solches Verfahren anzustrengen. Zu hoffen ist, dass die zuständigen Behörden ausreichend Kapazitäten für die zu erwartende Zunahme an Verfahren bereitstellen. Die Anhörungs- und Mitwirkungsrechte sind für den Steuerpflichtigen auch in dem neuen Verfahren eingeschränkt. So machen etwa die § 14 und § 23 Abs. 1 und 3 EU-DBA-SBG-E die Mitwirkung von der Initiative bzw. Zustimmung der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten oder des Beratenden Ausschusses abhängig. Gegenüber dem Referentenentwurf wird im Regierungsentwurf auf die Akzeptanz der englischen Sprache verzichtet und auf Deutsch als maßgebliche Amtssprache bestanden. Diese Änderung des Gesetzentwurfs stellt einen Rückschritt dar und entspricht nicht der deutschen Verwaltungspraxis. Damit scheint § 3 EU-DBA-SBG-E dabei im Widerspruch zu § 6 Abs. 2 Satz 2 EU-DBA-SBG-E zu stehen. Es ist zu hoffen, dass dieser Passus wieder geändert und Englisch als Verfahrenssprache anerkannt wird. Anderenfalls wäre es zumindest wünschenswert, dass in der Verwaltungspraxis englischsprachige Originaldokumente oder Kommunikation weiterhin pragmatisch anerkannt und verwendet werden.
Darüber hinaus ist das Verhältnis des neuen Verfahrens zu Verständigungs- und Schiedsverfahren nach DBA und EU-Schiedskonvention noch nicht hinreichend präzise abgegrenzt; denn die aktuellen Formulierungen implizieren eine zu weitgehende Beendigung anderer Verfahren bzw. deren Präklusion. Beispielsweise sollte § 4 Abs. 4 Satz 1 EU-DBA-SBG-E dahingehend präzisiert werden, dass eine Beendigung nur insoweit erfolgt, als die anderen Verfahren die Streitfrage in den gleichen Veranlagungszeiträumen betreffen. Ferner geht der für die Umsetzung der Einigung durch die zuständigen Behörden vorausgesetzte Rechtsbehelfsverzicht nach § 15 Abs. 1 Satz 2 EU-DBA-SBG-E u. E. über die Vorgaben der Streitbeilegungsrichtlinie hinaus und sollte auf die Streitfrage begrenzt werden.
Das neue Verfahren gemäß der EU-Streitbeilegungsrichtlinie weist einen weiter gefassten Anwendungsbereich als der von Verständigungs- und Schiedsverfahren nach DBA und der EU-Schiedskonvention auf und schafft so erweiterte Möglichkeiten für Steuerpflichtige, um Doppelbesteuerung zu vermeiden. Der Regierungsentwurf des EU-DBA-Streitbeilegungsgesetzes zur Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht hat die Verfahrensregelungen chronologisch aufgebaut, orientiert sich sonst aber eng an der Richtlinie. Die einheitlichen Verfahrensvorschriften dürften die praktische Abwicklung im Vergleich zu den bestehenden Verfahrensarten erleichtern und hoffentlich auch beschleunigen. Angesichts der Komplexität des Verfahrens dürften i. d. R. nur größere Streitfälle für eine Anwendung der Streitbeilegungsrichtlinie geeignet sein. Es ist zu hoffen, dass die beteiligten Staaten angesichts der zu erwartenden Zunahme von Verfahren ausreichend Ressourcen bereithalten, damit das neue Instrument in der Praxis die vorgesehene Wirkung entfalten kann. Insgesamt ist die Stärkung der Position der Steuerpflichtigen zu begrüßen.
Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2017/1852 des Rates vom 10. Oktober 2017 über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen
Union (EU-Doppelbesteuerungsabkommen-Streitbeilegungs-gesetz - EU-DBA-SBG) Bundesrat Drucksache 227/19 vom 17.05.2019
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