Erneut ist in den vergangenen Wochen und Monaten die sogenannte aggressive Steuerplanung verstärkt in den politischen und auch öffentlichen Fokus gerückt. Berichte über Sondervereinbarungen für internationale Konzerne wie Apple, Fiat oder Starbucks sorgten für Empörung. In diesen drei Fällen hat die Europäische Kommission Irland, Luxemburg und die Niederlande um Auskunft bezüglich ihrer Unternehmensbesteuerung gebeten. Dies rührt daher, dass im europäischen Wettbewerbsrecht staatliche Hilfen an ausgewählte Unternehmen grundsätzlich verboten sind. Bei einem solchen Verdacht muss die Kommission nachweisen, dass bestimmte Unternehmen von den nationalen Behörden tatsächlich besser gestellt werden als andere. Nicht die Firmen, sondern die Regierungen stehen im Fokus der europäischen Wettbewerbsregeln, die im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) festgeschrieben sind.
Was ist eine Beihilfe?
Der Umgang mit Beihilfen ist in Art. 107 bis 109 AEUV verankert. Die Schutzvorschriften dieser Artikel haben den Wettbewerb innerhalb der EU zum Gegenstand und finden gegenüber Drittländern keine Anwendung. Gemäß Art. 107 AEUV liegt eine grundsätzlich verbotene Beihilfe vor, wenn vier Tatbestandsmerkmale kumulativ erfüllt sind. Eine Beihilfe muss (i) der öffentlichen Hand zurechenbar und aus staatlichen Mitteln finanziert sein. Des Weiteren muss dem Begünstigen ein (ii) Vorteil gewährt werden, wobei dieser Vorteil (iii) selektiv sein muss und hierdurch der (iv) Wettbewerb im Binnenmarkt verfälscht wird oder zu verfälscht werden droht.
Beihilfeverbot
Dieses Beihilfenverbot erfasst nicht nur direkte Zuwendungen, sondern auch das Überlassen von Immobilien und die Nutzung von Grundstücken, die Gewährung staatlicher Darlehen oder die Übernahme von Bürgschaften und Steuererleichterungen. Bereits 1998 hat die Kommission „Leitlinien“ zur Anwendung des Beihilfeverbots auf die Unternehmensbesteuerung veröffentlicht, in dessen Folge einige prominente Besteuerungsregime (statt vieler seien die Regelungen für die Belgischen Koordinierungszentren und die Luxemburger 1929-Holdinggesellschaften genannt) als mit dem Beihilfeverbot unvereinbar erkannt wurden.
Im Fokus des Beihilfenverbotes steht der unverfälschte Wettbewerb im Binnenmarkt. Dieses harmlos klingende Ziel macht das Beihilferecht für die betroffenen Unternehmen unangenehm: Verstößt ein Mitgliedstaat gegen das Durchführungsverbot (d.h. gewährt er eine Beihilfe, ohne diese vorher der Kommission zu notifizieren und von dieser genehmigen zu lassen), so ist der Mitgliedstaat zur Wiederherstellung der ursprünglichen Wettbewerbslage und damit zur Rückforderung der Beihilfe (zzgl. Zinsen) verpflichtet, ohne dass dieser Rückforderung ein steuerlicher Bestandsschutz entgegen gehalten werden kann. Mit anderen Worten, wenngleich die Regierungen und nicht die Unternehmen Adressaten der Kommissionsentscheidung sind, haben letztendlich die Steuerpflichtigen die Konsequenzen zu tragen: Sollte die Kommission zu dem Schluss kommen, dass den Unternehmen rechtswidrige Beihilfen gewährt wurden, müssen sie diese zurückerstatten. Hierbei können sich Unternehmen nicht auf einen Vertrauensschutz berufen, wenn sie auf die Rechtmäßigkeit des nationalen Rechts oder Verwaltungsakts vertraut haben; nur Handlungen der Unionsorgane können in Einzelfällen einen Vertrauensschutz bewirken.
Ablauf eines Beihilfeverfahrens
Bei der Prüfung hinsichtlich des Vorliegens einer staatlichen Beihilfe hat die Kommission grundsätzlich einen weiten Beurteilungsspielraum. Prüft sie mutmaßliche Beihilfen, führt sie zunächst ein vorläufiges Prüfverfahren durch, das bei Zweifeln an der Vereinbarkeit einer Maßnahme mit dem Beihilfeverbot in ein förmliches Prüfverfahren mündet. Dieses wird durch einen „Eröffnungsbeschluss“ eingeleitet, der im Amtsblatt veröffentlicht wird und somit interessierten Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme bietet, auch wenn diese Gelegenheit jedenfalls bisher im steuerlichen Bereich nur selten genutzt wurde. Für das förmliche Prüfverfahren hat die Kommission grundsätzlich 18 Monate Zeit, bei nicht angemeldeten Beihilfen gibt es keine Frist zu beachten. Kommt die Kommission nach Abschluss des förmlichen Prüfverfahrens zum Ergebnis, dass eine unvereinbare Beihilfe vorliegt, ergeht eine „Negativentscheidung“, im Falle nicht angemeldeter Beihilfen in der Regel eine „Negativentscheidung mit Rückforderung“. Gegen die Entscheidung kann der betroffene Mitgliedstaat und darüber hinaus das bzw. die „unmittelbar und individuell“ von der Entscheidung betroffene Unternehmen Nichtigkeitsklage bei Europäischen Gericht (EuG) einlegen, gegen dessen Entscheidung schließlich noch das Rechtsmittel zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegeben ist.
Die aktuellen Prüfverfahren der Kommission
In einer Konsultation vom 24.01.2014 hatte die Kommission bereits angedeutet, dass sie insbesondere die Tax-Ruling-Praxis einiger Mitgliedstaaten künftig einer genaueren Betrachtung unterziehen möchte. Hierbei geht es u.a. um sog. „Advance Pricing Agreements“ (APA), d. h. eine Vorabübereinkunft zwischen Steuerpflichtigem und Finanzbehörden. Die Kommission sieht in bestimmten APAs, die in Luxemburg, Irland und den Niederlanden geschlossen wurden, eine Beihilfe, da vom Fremdvergleichsgrundsatz abgewichen und hierdurch den betroffenen Unternehmen ein Vorteil gewährt worden sei. Die Kommission geht vom Vorliegen der Tatbestandsmerkmale der Staatlichkeit, Begünstigung und Wettbewerbsverzerrung aus. Sie argumentiert jeweils, dass die Steuerschuld eines bestimmten Unternehmens durch das APA gemindert werde (Apple (Rz. 50), Fiat (Rz. 56) und Starbucks (Rz. 71)), sodass wie bei jeder staatlichen Begünstigung der Vorteil aus staatlichen Mitteln gewährt wird. Da jedes der mutmaßlich begünstigten Unternehmen als global operierendes Unternehmen im Wettbewerb steht, wäre jede Begünstigung daher potenziell wettbewerbsgefährdend und wettbewerbsverzerrend. In ihren Eröffnungsbeschlüssen setzt die Kommission zudem die Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz mit der Selektivität der Maßnahme gleich.
Die Kommission hat im Juni 2014 das förmliche Prüfverfahren gegen drei EU-Staaten, nämlich Irland, Luxemburg und die Niederlande eingeleitet, um ihre Steuervereinbarungen mit den Unternehmen Apple, Fiat und Starbucks umfassend zu prüfen. Diese Fälle werden nachfolgend im Einzelnen erläutert. In einem vergleichbaren Verfahren gegen Luxemburg in Bezug auf ein APA mit Amazon sind die Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht worden, es ist aber zu vermuten, dass die Entscheidung ähnlich aufgebaut sein wird.
Verfahren
Mit ihrem Schreiben vom 11. Juni 2014 hat die Europäische Kommission Irland über die Eröffnung eines Verfahrens zur Durchführung der Wettbewerbspolitik hinsichtlich mutmaßlicher staatlicher Beihilfen für Apple informiert. Im Rahmen des Verfahrens beschäftigt sich die Europäische Kommission mit unilateralen APAs zwischen dem irischen Staat und Apple im Hinblick auf die Gestaltung von Verrechnungspreisen und die resultierenden zu versteuernden Gewinne der Zweigniederlassungen von Apple Operations Europe („AOE“) und Apple Sales International („ASI“) aus den Jahren 1991 und 2007.
Sachverhalt
Hintergrund des Verfahrens ist die Frage, ob sich der irische Staat und Apple im Rahmen von Steuerentscheiden auf nicht fremdvergleichskonforme Verrechnungspreise verständigt haben und Apple somit in Irland zu wenig Steuern bezahlt habe. Es steht in Frage, ob die vereinbarten Verrechnungspreise wirtschaftlich untermauert sind oder arbeitspolitische Erwägungen das Ergebnis der Verhandlungen bestimmt haben. Die Zweigniederlassung AOE agiert im Wesentlichen als Hersteller von Computern. Die hierfür benötigten Materialien werden von verbundenen Unternehmen eingekauft. Die auf Basis spezifischer Anforderungen hergestellten Produkte werden anschließend an ein Verbundunternehmen verkauft.
Die ASI fungiert hauptsächlich als Einkaufsgesellschaft; d.h. sie kauft fertige Apple Endprodukte von unverbundenen Herstellern ein und verkauft diese anschließend an verbundene Konzerngesellschaften und fremde Dritte weiter. Des Weiteren erbringt die ASI die damit verbundenen Logistikaktivitäten.
Die Vereinbarung aus dem Jahr 1991 sah vor, dass sich der Nettogewinn der Zweigniederlassung der AOE unter Anwendung eines Kostenaufschlags in Höhe von 65% auf die operativen Kosten bestimmt. Weiter sah die Vereinbarung vor, dass sich dieser Kostenaufschlag ab einer Kostenbasis von 60-70 Millionen USD (die exakte Grenze wurde aus Datenschutzgründen nicht veröffentlicht) auf 20% reduziert. Aus den der Kommission vorliegenden Protokollen geht hervor, dass die Reduzierung des Kostenaufschlags durch die Absicht die Expansion auf dem irischen Markt nicht zu verhindern begründet war. In der im Jahr 2007 getroffenen Vereinbarung wurde die Vergütung der Zweigniederlassung der AOE neu geregelt; grundsätzlich wurde ein Kostenaufschlag in Höhe von 10%-20% auf die operativen Kosten sowie eine umsatzbasierte Rendite in Höhe von 1-9% für akkumulierte Fertigungstechnologie vereinbart.
Hinsichtlich des Nettogewinns, welcher der Zweigniederlassung der ASI zurechenbar ist, wurde im Jahr 1991 mit den irischen Steuerbehörden vereinbart, dass sich dieser unter Anwendung eines Kostenaufschlags in Höhe von 12.5% auf die operativen Kosten bestimmt. In der im Jahr 2007 getroffenen Vereinbarung wurde die Bestimmung des Nettogewinns auf Basis eines Kostenaufschlags in Höhe von 8-18% auf die operativen Kosten festgelegt.
In den konkret genannten Fällen hat die Kommission den Verdacht, dass die unilateralen APAs zu einem selektiven Steuervorteil für Apple führen, da die Vereinbarungen nicht im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz stünden. Insbesondere diskutiert die Kommission hierzu die folgenden Punkte in ihrem Schreiben.
Basierend auf den zuvor dargestellten Punkten kommt die Kommission daher zu der Schlussfolgerung, dass die Vereinbarung zwischen Irland und Apple nicht mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar ist und damit einen Vorteil für Apple generiert. Da vergleichbare Sachverhalte mit anderen Unternehmen von den irischen Steuerbehörden anders behandelt werden, ist der Vorteil zudem selektiv gewährt. Basierend auf obigen Ausführungen kommt die Kommission zur vorläufigen Sichtweise, dass die Vereinbarungen zwischen Irland und Apple als Beihilfen anzusehen sind. Aus diesem Grund wurde ein förmliches Prüfverfahren eröffnet, wobei Irland dazu aufgefordert wurde weitere Unterlagen zur Aufklärung des Sachverhalts nachzureichen.
In den anderen beiden Fällen Starbucks und Fiat, geht die Kommission wesentlich stärker auf konkrete Verrechnungspreissachverhalte ein, um die Unvereinbarkeit mit dem Fremdvergleichsgrundsatz und damit den Tatbestand der Beihilfe zu begründen. Im Fall von Apple ist der Hauptkritikpunkt der Kommission, dass die unilateralen APAs zwischen Irland und Apple eine Verhandlungslösung darstellen. Diese spiegelt einerseits die angestrebte Steuerbelastung von Apple in Irland und andererseits arbeitsmarktpolitische Überlegungen von Irland wider. Ob das Ergebnis der Verhandlungslösung mit dem Fremdvergleichsgrundsatz tatsächlich nicht vereinbar ist wird jedoch nicht abschließend diskutiert.
Verfahren
Im Juni 2014 leitete die Europäische Kommission ein förmliches Prüfverfahren in Beihilfesachen gegen das Land Luxemburg ein. Hierbei geht es um die Prüfung des Verdachts einer unzulässigen Beihilfe, da die Kommission vermutet, dass das Land Luxemburg einer nicht den Fremdvergleichsgrundsatz beachtenden Vorabverständigung zugestimmt hat.
Sachverhalt
Im vorliegenden Fall geht es um eine in Luxemburg ansässige zentrale Finanzierungs- und Treasury- Einheit der Fiat Unternehmensgruppe (nachfolgend „FFT“). Diese übt wesentliche konzerninterne Tätigkeiten im Bereich der Unternehmensfinanzierung, der Bankbeziehungen, des Wechselkurs- und des Zinsmanagements, des Cash Poolings, der Geldmarktgeschäfte, des Kassenbestandsmanagements und des Forderungsmanagements aus. Grundlage der Vorabverständigung in Luxemburg war ein Antrag des steuerlichen Beraters, eine Verrechnungspreisdokumentation des zugrundeliegenden Sachverhalts sowie ein Bestätigungsschreibens der Finanzverwaltung in Luxemburg.
Inhalt der Vorabverständigung war die Bestimmung einer angemessenen Vergütung des von der FFT eingesetzten Risikokapitals und der ausgeübten Funktionen in Höhe von EUR 2,542 Mio. € (+/- 10%). Die Vergütung wurde basierend auf der TNMM Methode ermittelt, die im vorliegenden Fall, mit Hilfe des Capital Asset Pricing Modells (nachfolgend „CAPM“) eine Eigenkapitalrendite ermittelte. Soweit eine marktübliche Gesamtvergütung der FFT ermittelt wurde, sei davon auszugehen, dass auch die konzerninternen Finanzierungstranskationen mit verbundenen Gesellschaften innerhalb der Fiat Unternehmensgruppe marktüblich seien.
Die Kommission bezweifelt die Fremdüblichkeit der für FFT ermittelten Gesamtvergütung und sieht in der Vorabzustimmung der Finanzverwaltung in Luxemburg die Gewährung eines selektiven Vorteils, der mit den Prinzipen des europäischen Binnenmarktes unvereinbar sei. Die Europäische Kommission begründet ihre Ansicht u.a. mit den folgenden Punkten:
Die Europäische Kommission kritisiert, dass unklar sei, ob das Land Luxemburg im Rahmen der Vorabzustimmung zu einer Verrechnungspreismethode zur Bestimmung Gesamtvergütung zugestimmt hat, oder sich mit FFT nur über die Höhe des Gewinns geeinigt habe. Die Kommission bemängelt vor allem, dass eine Festlegung einer nur marginal veränderbaren Steuerbemessungsgrundlage nur bei einem relativ stabilen Geschäftsmodell in Betracht käme. Ein solches sei durch entsprechende Garantien oder Vorhersagen darzulegen, was im vorliegenden Fall jedoch nicht geschehen sei. Zudem sei bei einer Anwendung der TNMM Methode als eine der beiden indirekten Verrechnungspreismethoden ausreichend zu begründen, warum diese trotz des in den OECD Richtlinien klar eingeräumten Vorrangs der direkten Verrechnungspreismethoden, gewählt worden sei. Es sei klar zu begründen, warum die Verwendung direkter Verrechnungspreismethoden, die zumindest nicht von vornherein ausgeschlossen werden können, ausscheide.
Nach Ausführung noch weiterer Kritikpunkte, neben den oben genannten, kommt die Europäische Kommission zu dem Schluss, dass es sich um eine mit dem europäischen Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe im Sinne des Art. 107 (1) AEUV handelt. Die Vorabzustimmung der Finanzverwaltung in Luxemburg weise einen selektiven Charakter auf, denn es sei nicht davon auszugehen, dass Luxemburg mit einem vergleichbaren unabhängigen Marktteilnehmer unter normalen Marktkonditionen eine ähnliche Vereinbarung akzeptiert hätte, zumal bezweifelt wird, dass das zugrunde liegende Verrechnungspreismodell überhaupt marktüblich sei.
Verfahren
Im Juni 2014 eröffnete die Kommission ein förmliches Prüfverfahren gegen die Niederlande, in dem es um eines von zwei unilateralen APAs geht, das die niederländischen Finanzbehörden mit Gesellschaften der Starbucks Gruppe am 28.04.2008 geschlossen haben.
Sachverhalt
Hier konzentriert sich die Kommission auf die Starbucks Manufacturing BV (SMBV), die gemäß Darstellung in der von der Kommission zitierten Verrechnungspreisdokumentation als Lohnfertiger im Bereich Kaffeeröstung agiert und darüber hinaus für bestimmte Supply Chain-Funktionen sowie für den Vertrieb gewisser Nicht-Kaffeeprodukte zuständig ist (Rz. 34-39). Grundlage für das unilaterale APA ist eine Verrechnungspreisanalyse auf TNMM-Basis, in der anhand einer Datenbankstudie fremdübliche Nettokostenaufschläge vergleichbarer unabhängiger Produktionsgesellschaften ermittelt wurden.
Nach Ansicht der Kommission ist die Kernfrage, inwiefern bei Abschluss des unilateralen APA der Fremdvergleichsgrundsatz beachtet wurde. Hierbei führt die Kommission drei Kernkritikpunkte auf und fordert in diesem Zusammenhang weitere Informationen und eine Stellungnahme der Niederlande ein:
Die Kommission ist der Ansicht, dass im vorliegenden Fall die Bedingungen des Art. 107 (1) AEUV kumulativ erfüllt sind und es sich hier um eine mit dem europäischen Markt unvereinbare Beihilfe handelt. Insbesondere habe der im vorliegenden Fall übertragene Vorteil einen selektiven Charakter, da die Stellung von Starbucks gegenüber den anderen Wettbewerbern dadurch gestärkt werde, dass die im Rahmen des unilateralen APA fremdunüblich getroffenen Vereinbarungen in einer verminderten Steuerschuld von SMBV an die niederländischen Finanzbehörden resultieren (Rz. 124). Aus diesem Grund solle nun das in Art. 108 (2) AEUV festgelegte Verfahren eingeleitet werden. Die Niederlande haben nun die Möglichkeit, durch Übermittlung weiterer Unterlagen zur Klärung des Sachverhalts beizutragen.
Diesbezüglich müsste zunächst die tatsächliche Unternehmensklassifizierung der SMBV genauer analysiert werden. Der Leser erhält den Eindruck, dass im Rahmen des abgeschlossenen APA eine fiktive Klassifizierung der SMBV als Lohnfertiger erfolgt, obwohl die Gesellschaft in der Realität weiterführende Funktionen wie Lagerhaltung auszuführen scheint. Die Praxiserfahrung zeigt, dass auch in Betriebsprüfungen regelmäßig diskutiert wird, ob durch eine Produktionsgesellschaft bezogene Rohstoffe für Vergütungszwecke in die Kostenbasis aufgenommen werden sollte. Aus deutscher Sicht fokussieren sich derartige Diskussionen in der Regel auf Outbound-Fälle, in denen im Ausland Produktionstätigkeiten für einen in Deutschland ansässigen Prinzipal ausgeführt werden.
Bei den von der Kommission kritisierten Kapitalanpassungsrechnungen ist zu beachten, dass diese in der Praxis grundsätzlich ein häufig verwendetes Mittel sind, um etwa bei der Analyse von Lohnfertigern die Vergleichbarkeit von Vergleichsunternehmen zu erhöhen, da reine Lohnfertiger in den einschlägigen Unternehmensdatenbanken kaum zu finden sind. Um die Zuverlässigkeit der strittigen Anpassungen abschließend beurteilen zu können, wären jedoch weitere Informationen zur genauen Motivation der erfolgten zweistufigen Anpassungsrechnungen erforderlich.
Bezüglich der Lizenzzahlungen an die Alki LP, die die Kommission dem Grunde nach in Frage stellt, ist anzumerken, dass die OECD-Verrechnungspreisrichtlinien (in Tz. 1.67) anerkennen, dass verbundene Unternehmen Transaktionen eingehen, die unverbundene Unternehmen möglicherweise nicht eingehen würden. Aus Verrechnungspreissicht ist deshalb maßgeblich, ob eine Transaktion zu einem fremdüblichen Ergebnis führt. Aus deutscher Sicht wird dies durch das BFH-Urteil vom 11. Oktober 2012 (Az. I R 75/11) bekräftigt, in dem die Sperrwirkung von Art. 9 Abs. 2 des OECD-Musterabkommen gegenüber nationalen Sonderbedingungen bei beherrschenden Gesellschaftern bestätigt wurde. Bei der Beurteilung einer strittigen Geschäftsbeziehung kommt es letztendlich darauf an, ob die Vergütung der Höhe nach fremdüblich ist. Dies gilt es von Seiten der niederländischen Finanzverwaltung zu belegen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Bedeutung des Fremdvergleichsgrundsatzes in Bezug auf APAs im Schreiben der Kommission eindeutig betont wird. Bestehen die Steuerbehörden bei der Annahme der von einem Unternehmen vorgeschlagenen Berechnung der Steuerbemessungsgrundlage darauf, dass eine Gesellschaft eine Vergütung zu Marktbedingungen erhält, stellt ein APA keine eine staatliche Beihilfe dar. Ist die Vergütung jedoch nicht fremdvergleichskonform, ist zu prüfen, ob der Beihilfentatbestand aus Art. 107 AEUV (insbesondere derjenige der Selektivität) erfüllt ist.
Wie eingangs dargestellt, ist durch die europäische Rechtsprechung geklärt, dass Abweichungen von anerkannten Gewinnermittlungsmethoden eine Beihilfe darstellen können, wenn der hierdurch entstehende Vorteil nur bestimmten Unternehmen gewährt wird. Dennoch weichen die nun veröffentlichten Eröffnungsbeschlüsse in den Verfahren gegen Irland, Luxemburg und die Niederlande von der bisher etablierten Entscheidungspraxis ab, sodass der Ausgang der Verfahren bei der Kommission als offen bezeichnet werden muss.
Die Besonderheit liegt darin, dass die Kommission im Ergebnis in jeder Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz eine „Begünstigung bestimmter Unternehmen“ (sog. Selektivität) erkennt. Hierzu nimmt sie in ihren Eröffnungsbeschlüssen detaillierte und nur für Verrechnungspreisexperten nachvollziehbare Analysen der individuellen Tax-Rulings vor. Wie aus der Darstellung der Fälle Apple, Fiat und Starbucks hervorgeht, begründet die Kommission substantiiert, in welchen Punkten sie eine Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz erkennt. Daher sind die zuvor beschriebenen Verfahren sowohl aus Verrechnungspreissicht als auch generell für die Fortentwicklung des Beihilfeverbots im Unternehmenssteuerbereich von großer Bedeutung.
Ausblick
In Zukunft muss der Steuerpflichtige im Hinterkopf behalten, dass ein APA, in dem vom Fremdvergleichsgrundsatz abgewichen wird, keine abschließende Zusage darstellt. In diesem Fall kann es passieren, dass eine dritte Partei, nämlich die Europäische Kommission einschreitet und das APA aufgrund eines Verstoßes gegen das Beihilfeverbot im Ergebnis für ungültig erklärt wird. Sollte eine rechtswidrige Beihilfe zurückgefordert werden, existiert keinerlei Schutzwirkung gegenüber der Finanzverwaltung. Die betroffenen Unternehmen können sich nicht auf die Bindungswirkung einer verbindlichen Zusage der Finanzverwaltung berufen und werden von der Rückforderung der Beihilfe getroffen.
Gegen die Rückforderungsentscheidung kann nicht eingewendet werden, dass der Steuerpflichtige auf die Verbindlichkeit der Zusage vertraut und dementsprechend disponiert hat; er kann sich auch nicht auf Treu und Glauben berufen. Dies gilt selbst oder insbesondere dann, wenn dem Steuerpflichtigen individuell ein APA eingeräumt wurde. Auch insoweit besteht im Falle eines Verstoßes gegen das Durchführungsverbot im Beihilferecht keine Rechtsicherheit für den Steuerpflichtigen. Stellt das APA aufgrund der Gewährung eines selektiven Vorteils eine rechtswidrige Beihilfe dar, ist eine Rücknahme des APA letztlich unvermeidbar, wie man auch am Beispiel der Sanierungsklausel gesehen hat – auch hier stand eine verbindliche Auskunft der Änderung der Bescheide nicht entgegen (vgl. BMF v. 30.04.2010).
Sollte damit in Zukunft im Rahmen eines APAs bereits die Kommission in den Entscheidungsprozess eingebunden werden? Wie könnte eine solche Einbindung aussehen? Um die notwendige Rechts- und Planungssicherheit zu erlangen, könnte eine vorherige Abstimmung erforderlich werden, um so die Beihilfekonformität zu bestätigen. Die hierfür notwendige Notifizierung einer Maßnahme kann allerdings nur der jeweilige Mitgliedstaat vornehmen. Bestehen Zweifel daran, dass ein APA dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht, kann der Steuerpflichtige Rechtssicherheit nur dadurch erhalten, dass der Mitgliedstaat das unilaterale APA bei der Kommission rechtzeitig vor Inkrafttreten anmeldet um sicherzustellen, dass keine unzulässige Beihilfe vorliegt.
Es liegt im Interesse des Staates, Steuereinnahmen zu generieren. In diesem Rahmen erscheint es nachvollziehbar, dass der Staat im Steuerwettbewerb versucht, Unternehmen an sich zu binden und Standortvorteile im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten einräumt. Das Beihilfeverbot verbietet es allerdings, diese Standortvorteile selektiv zu vergeben. Im steuerlichen Bereich beschränkte sich die Entscheidungspraxis bislang auf Beihilferegelungen, also Maßnahmen, mit denen Mitgliedstaaten Steuervorteile auf eine bestimmte Gruppe von Unternehmen eingeschränkt haben, wie beispielsweise die Regelung zu belgischen Koordinierungszentren. Mit den nun veröffentlichten Beschlüssen greift die Kommission erstmals mutmaßliche Einzelbeihilfen auf: die entscheidende Frage ist, ob durch die von der Kommission behauptete Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz in den APA von Apple, Fiat und Starbucks ein selektiver Vorteil gewährt wurde.
Der Fortgang der Verfahren, insbesondere möglicher Rechtsbehelfsverfahren beim EuG und EuGH sollte genau beobachtet werden, auch wenn bis zur abschließenden Entscheidung in diesen Fällen möglicherweise noch einige Zeit vergehen kann.
Einleitung - Dr. Katharina Crößmann und Dr. Alexander Linn
Der Fall Apple - Sandra Braun, Henrik Handte
Der Fall Fiat - Betina Bley, Maximilian Tenberge
Der Fall Starbucks - Dr. Katharina Crößmann, Matthias Müller
Schlussbemerkungen - Dr. Katharina Crößmann, Betina Bley, Maximilian Tenberge, Dr. Alexander Linn
Europäische Kommission: State aid SA.38373 (2014/C) (ex 2014/NN) (ex 2014/CP) – Ireland; Alleged aid to Apple; C(2014) 3606 final, Brüssel, 11.06.2014.
Europäische Kommission: State aid SA. 38375 (2014/NN) (ex 2014/CP) – Luxembourg; Alleged aid to FFT, C(2014) 3627 final, Brüssel, 11.06.2014.
Europäische Kommission: State aid SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) (ex 2014/CP) – Netherlands; Alleged aid to Starbucks, C(2014) 3626 final, Brüssel, 11.06.2014.
EU-Kommission: Beihilfe-Verfahren gegen Irland, die Niederlande und Luxemburg eingeleitet
EU Kommission: Erneutes Beihilfe-Verfahren gegen Luxemburg eingeleitet
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