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04.02.2011
Verfahrensrecht

FG Rheinland-Pfalz: Kein grobes Verschulden bei Eingabefehlern im Elster-Verfahren

Mit Urteil vom 18.03.2014 hob der BFH das Urteil des FG Rheinland-Pfalz auf und wies die Klage ab. Das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden treffe, wenn er seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkomme, indem er unvollständige Steuererklärungen abgebe. Es liege zwar in der Regel dann kein grobes Verschulden vor, wenn die Unvollständigkeit auf einem Rechtsirrtum beruhe. Ein solcher scheide aber aus, wenn der Steuerpflichtige – wie vorliegend – eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte Frage nicht beantworte.
BFH, Urteil vom 18.03.2014, X R 8/11, nicht amtlich veröffentlicht, siehe Deloitte Tax-News
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FG Rheinland-Pfalz (Vorinstanz):
Bei der Abgabe der Einkommensteuererklärung im elektronischen Elster-Verfahren können Fehler bei der Eingabe nicht stets als grobes Verschulden des Steuerpflichtigen gewertet werden. Es entspreche allgemeiner Lebenserfahrung, dass insbesondere bei der Bearbeitung größerer Dokumente am PC - trotz großer Sorgfalt - immer wieder Übertragungsfehler vorkämen. Dies wird durch die technischen Gegebenheiten einer Vielzahl von Bildmasken und Fenstern begünstigt, die stets nur einen kleinen Ausschnitt des Gesamtdokuments zeigen.

Sachverhalt

Die Kläger (Diplom-Finanzwirt (FH) und früherer Assessor am FG Rheinland-Pfalz und seine Ehefrau) haben ihre Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2006 mit Hilfe des elektronischen Steuerprogramms ElsterFormular 2006/2007 an das Finanzamt übermittelt und eine sog. komprimierte (verkürzte) Steuererklärung in Papierform unterschrieben nachgereicht. In dem elektronischen Erklärungsformular hatten die Kläger in Zeile 62 des Mantelbogens, in der nach Beiträgen zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen bei Nichtarbeitnehmern gefragt ist, Zahlungen des Klägers an die berufsständische Versorgungskasse nicht eingetragen. Das Finanzamt (der Beklagte) setzte die Einkommensteuer 2006 (Bescheid vom 25.07.2008) entsprechend der Erklärung fest. Mit Schreiben vom 22.04.2009 beantragten die Kläger die Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides 2006 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Der Kläger habe vergessen, die Zahlungen an die berufsständische Versorgungskasse im Mantelbogen einzutragen. In den Vorjahren und im Jahr 2007 seien diese stets erfasst worden. Das Finanzamt lehnte den Antrag ab, da die Kläger ein grobes Verschulden daran treffe, dass die Geltendmachung der Zahlungen bei der ursprünglichen Einkommensteuerfestsetzung unterblieben sei. Streitig ist, ob der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid 2006 zugunsten der Kläger geändert werden kann.

Entscheidung

Die Kläger haben einen Anspruch auf Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides 2006 wegen neuer Tatsachen nach § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO. Steuerbescheide sind zu Gunsten des Steuerpflichtigen aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen, und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Tatsache ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines steuergesetzlichen Tatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 21.07.1989 m.w.N). Die Zahlungen an die berufsständische Versorgungskasse im Streitjahr 2006 sind eine derartige Tatsache. Die Tatsache ist dem Beklagten nachträglich bekannt geworden, nämlich mit Schreiben der Kläger vom 21.02.2009. Daran trifft die Kläger jedoch kein grobes Verschulden.

Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zuzumutende Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (vgl. BFH-Urteile vom 03.02.1983 und vom 26.08.1987 jeweils mit weiteren Nachweisen). Als grobes Verschulden ist es in der Rechtsprechung angesehen worden, wenn ein Steuerpflichtiger eine in einem Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene und für ihn verständliche Frage nicht beantwortet (BFH-Urteil vom 29.06.1984), oder wenn er seine Erklärungspflicht schlecht erfüllt, indem er unvollständige Erklärungen abgibt (BFH-Urteil vom 20.11.2008 m.w.N.). Fehler, die üblicherweise vorkommen und mit denen immer wieder gerechnet werden muss, dazu gehören Vergessen, Irrtümer oder bloße Nachlässigkeiten, begründen hingegen keine grobe Fahrlässigkeit (BFH-Urteil vom 04.02.1998).

Der Senat geht davon aus, dass der Kläger vergessen hat, die Beiträge, die er im Jahr 2006 an die berufsständische Versorgungskasse geleistet hat, aus den handschriftlichen Notizen in die elektronische Bildmaske des Ausfüllprogramms ElsterFormular 2006/2007 zu übertragen. Die Umstände, dass der übrige Teil der Steuererklärung für das Jahr 2006 vollständig ausgefüllt war, die Zahlungen in den Jahren vor 2006 und im Jahr 2007 stets geltend gemacht worden sind, darüber hinaus der Posten betragsmäßig in den handschriftlichen Notizen der Kläger für das Jahr 2006 überschrieben mit "Vorsorgeaufwendungen" aufgeführt ist, der Kläger die Höhe der Zahlungen für das Streitjahr also ermittelt hatte und sie geltend machen wollte, schließen - nach Überzeugung des Senats - andere Ursachen als einen Übertragungs- bzw. Eingabefehler für das Fehlen der entsprechenden Angabe in Zeile 62 des Mantelbogens aus. Dieser Fehler ist eine schuldhafte Nachlässigkeit des Klägers, die - nach Überzeugung des Senats - nicht als grob zu qualifizieren ist. Es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, dass solche Fehler - trotz großer Sorgfalt - allgemein bei der Übertragung von Daten, insbesondere aber bei der Bearbeitung größerer Dokumente am PC immer wieder vorkommen, begünstigt durch die technischen Gegebenheiten einer Vielzahl von Bildmasken und Fenstern, die stets nur einen kleinen Ausschnitt des Gesamtdokumentes zeigen. In diesem Zusammenhang fällt eine Besonderheit in der Programmführung von ElsterFormular beim Fragenkomplex Sonderausgaben (Zeilen 61 ff des Mantelbogens) auf, die ein kontinuierliches Arbeiten an genau der streitigen Stelle erschwert. Denn für die Eingabe in Zeile 61, die der Kläger im Hinblick auf die Klägerin ausfüllen musste, zwingt das Programm den Anwender, in die Maske der Lohnsteuerbescheinigung zu wechseln, wechselt anschließend aber nicht zurück, sondern bietet die Anlage N zur weiteren Bearbeitung an. Den Kläger trifft auch kein grobes Verschulden daran, dass er das Fehlen des Betrages nicht vor dem Absenden der Daten an den Beklagten bzw. bei Abgabe der sog. komprimierten Steuererklärung in Papierform bemerkt hat; denn in der "Druckvorschau“ sowie im anschließenden Ausdruck werden nur die eingegebenen Erklärungstexte gezeigt, Leerzeilen erscheinen nicht mehr. Infolgedessen konnte dem Kläger das Fehlen dieser Vorsorgeaufwendungen nicht auffallen.

Die Steuerprogramme ElsterFormular bzw. ElsterOnline nehmen den Finanzämtern die mechanische Erfassungsarbeit von Steuererklärungsdaten ab und verlagern sie auf die Steuerpflichtigen. Vor diesem Hintergrund muss der Sorgfaltsverstoß eines Eingabefehlers nach den gleichen Maßstäben beurteilt werden, wie wenn dem Bearbeiter des Finanzamts ein Übertragungs- oder Eingabefehler unterläuft. So nimmt die ständige Rechtsprechung des BFH im Falle eines Übertragungs- bzw. Eingabefehlers bei Erlass eines Verwaltungsaktes regelmäßig ein mechanisches Versehen an, das der Behörde die Berichtigung nach § 129 AO erlaubt (Beschluss des BFH vom 05.01.2005). Auch wenn die Vorschrift nach dem Wortlaut grundsätzlich nur für Unrichtigkeiten aus der Sphäre der Behörde gilt, ist es sachgerecht, den gleichen Fehler auf Seiten des Steuerpflichtigen dieser Annahme entsprechend zu qualifizieren, sodass er im Grundsatz einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht entgegensteht.

Die Revision wird zugelassen. Nach Überzeugung des Senats bedarf es schon aus Gründen der Gleichbehandlung von Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung höchstrichterlicher Klärung, ob die fehlerhafte Eingabe des Steuerpflichtigen in von der Finanzverwaltung bereit gestellte elektronische Steuerprogramme (ElsterFormular 2006/2007) kein grobes Verschulden im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO darstellt.

Betroffene Norm

§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO
Streitjahr 2006

Fundstelle

BFH-Urteil vom 18.03.2014, X R 8/11, nicht amtlich veröffentlicht 
Finanzgericht Rheinland-Pfalz
, Urteil vom 13.12.2010, 5 K 2099/09

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 21.07.1989, III R 303/84, BFHE 157, S. 488
BFH, Urteil vom 03.02.1983, IV R 153/80, BStBl II 1983, S. 324
BFH, Urteil vom 26.08.1987, I R 144/86, BStBl II 1988, S. 109
BFH, Urteil vom 29.06.1984, VI R 181/80, BStBl II 1984, S. 693
BFH, Urteil vom 20.11.2008, III R 107/06, BFH/NV 2009, S. 545
BFH, Urteil vom 04.02.1998, XI R 47/97, BFH/NV 1998, S. 682
BFH, Beschluss vom 05.01.2005, III B 79/04, BFH/NV 2005, S. 1013

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