Das FG Köln hat sich in einem erst jetzt veröffentlichten Beschluss vom 17.01.2022 zum Begriff der „voraussichtlichen Erheblichkeit“ im Fall einer koordinierten grenzüberschreitenden steuerlichen Außenprüfung geäußert. Das FG stützt sich bei der Erläuterung des Begriffs auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 15.05.2017, C‑682/15), wonach entscheidend ist, ob „vernünftigerweise die Möglichkeit besteht“, dass sich der beabsichtigte Informationsaustausch als steuerlich erheblich erweist.
Strittig ist im Streitfall die Berechtigung einer deutschen Finanzbehörde, an einer koordinierten grenzüberschreitenden steuerlichen Außenprüfung mitzuwirken und hierbei mit anderen europäischen Steuerverwaltungen Informationen auszutauschen.
Antragstellerin im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes ist unter anderem eine in Deutschland ansässige Gesellschaft der Unternehmensgruppe Z, einem international operierenden Konzern. Bis 2016 bestanden Franchiseverträge zwischen der in Luxemburg ansässigen Konzernobergesellschaft und deutschen Tochtergesellschaften der Antragstellerin. Im Jahr 2016 erfolgte der Übergang der Franchise-Verträge auf die Antragstellerin als neue Franchisenehmerin gegenüber der luxemburgischen Konzernobergesellschaft bzw. als neue (Sub-)Franchisegeberin gegenüber den Tochtergesellschaften. Die Franchise-Verträge regeln die Nutzung von Rechten und Technologie, die im Eigentum der luxemburgischen Konzernobergesellschaft stehen, sowie die Erbringung bestimmter Dienstleistungen der luxemburgischen Gesellschaft.
Das Finanzamt für Großunternehmen hatte die Antragstellerin informiert, dass ein zwischenstaatlicher Informationsaustausch nach dem EU-Amtshilfegesetz vorgesehen ist und eine gleichzeitige Prüfung nach § 117 Abs. 2 AO i.V.m. § 12 AO EUAHiG angekündigt. An dem Informationsaustausch sollten weitere europäische Staaten beteiligt sein, darunter aber nicht Luxemburg, das eine Einladung zur gleichzeitigen Prüfung abgelehnt hatte.
Die Antragstellerin wandte sich gegen den Informationsaustausch. Vor dem Hintergrund, dass es bei dem Informationsaustausch um den Lizenzvertrag mit der luxemburgischen Konzernobergesellschaft gehe, könnten aus der gemeinsamen Prüfung nur dann erhebliche Informationen für die Besteuerung in Deutschland gewonnen werden, wenn die luxemburgische Konzernobergesellschaft an dem Informationsaustausch auch teilnehme.
Das FG Köln ist der Ansicht, dass der deutschen Finanzbehörde nicht untersagt werden könne, mit den Steuerverwaltungen der anderen hier betroffenen Staaten an einer gleichzeitigen oder gemeinsamen Außenprüfung mitzuwirken und in diesem Zusammenhang die für die Besteuerungsverfahren erforderlichen Informationen auszutauschen.
Voraussetzung für koordinierte grenzüberschreitende Prüfungen
Amtshilfeersuchen deutscher Finanzbehörden an ausländische Behörden stehen im Ermessen der deutschen Finanzverwaltung. Grundsätzlich muss die begehrte Auskunft für Zwecke der deutschen Besteuerung erforderlich sein. Erforderlichkeit verlangt nach der BFH-Rechtsprechung, dass ein Bezug zur Besteuerung im ersuchenden Staat besteht (vgl. BFH-Urteil vom 29.04.2008, I R 79/07, BFH/NV 2008, S. 1807). Dies wiederum erfordert nach Auffassung des EuGH, dass die Finanzbehörde darlegt, aus welchen Gründen ein beabsichtigtes Auskunftsersuchen für die Besteuerung im ersuchenden Staat „voraussichtlich erheblich ist“ (vgl. EuGH-Urteil vom 15.05.2017, C-682/15). Trotz der unterschiedlichen Terminologie seien die Tatbestandsmerkmale „Erforderlichkeit“ bzw. der „voraussichtlichen Erheblichkeit“ einheitlich zu verstehen (vgl. bereits FG Köln, Beschluss vom 20.10.2017, 2 V 1055/17).
Auch für koordinierte, grenzüberschreitende Prüfungen gebe es keine andere Schwelle als für den herkömmlichen Auskunftsverkehr. Des Weiteren könne eine Auskunft gemäß § 4 Abs. 6 S. 1 EUAHiG nicht mit der Begründung verweigert werden, dass die Information nicht für die Durchführung eines inländischen Besteuerungsverfahrens benötigt werde.
Tatbestandsmerkmal der „voraussichtlichen Erheblichkeit“
Mit dem Tatbestandsmerkmal der „voraussichtlichen Erheblichkeit“ (vgl. § 4 Abs. 1 S. 1 EUAHiG) wurde der OECD-Standard (vgl. Art. 26 OECD-Musterabkommen) in das EUAHiG übernommen.
Ergebnis im Streitfall
Nach dieser Maßgabe liegen nach Ansicht des FG Köln im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine gleichzeitige Prüfung nach § 12 EUAHiG vor. Die Einschätzung der Steuerverwaltungen der an der Prüfung beteiligten Staaten sowie des für die inländische Betriebsprüfung zuständigen Finanzamts für Großunternehmen in Y, dass eine gleichzeitige Prüfung sowohl der Antragstellerin als auch anderer ausländischer Schwestergesellschaften im Hinblick auf Zahlungen an die Muttergesellschaft in Luxemburg erforderlich sei, und die damit zusammenhängende Erwartung, dass die für die jeweiligen Besteuerungsverfahren relevanten tatsächlichen Umstände weiter aufgeklärt bzw. überprüft werden können, würden auf keine rechtlichen Bedenken stoßen.
Parallele Sachverhalte sind ausreichend
Auch wenn keine unmittelbaren Geschäftsbeziehungen vorlägen, könne der Vergleich von parallelen Geschäftsbeziehungen zwischen den ausländischen Tochtergesellschaften und der Konzernobergesellschaft in Luxembourg für die Besteuerung in Deutschland voraussichtlich erhebliche Informationen nach § 6a EUAHiG liefern. Es könne sein, dass allein eine isolierte Betrachtung der Vereinbarung zwischen einer deutschen Konzerngesellschaft mit der luxemburgischen Muttergesellschaft einerseits und einer ausländischen Konzerngesellschaft mit der Muttergesellschaft andererseits einen Fremdvergleich nicht ermögliche. Allerdings könne eine Zusammenschau der konzerninternen Vereinbarungen zwischen verschiedenen Tochtergesellschaften und der Muttergesellschaft sehr wohl eine Prüfung der Fremdüblichkeit konzerninterner Preise ermöglichen. Der Streitfall unterscheide sich insoweit nicht von der BFH-Entscheidung vom 23.02.2018 (2 V 814/17), denn auch dort zielte die Außenprüfung auf die tatsächlichen Umstände der Abrechnung einer Franchisegebühr ab, die von Konzerntochtergesellschaften aus verschiedenen, die Prüfung koordinierenden Staaten, an eine Konzernmuttergesellschaft gezahlt wird.
§ 111 Abs. 1 AO, § 117 Abs. 2 AO, §§ 4, 12 EUAHiG
Streitjahr 2014 bis 2017
Der vorliegende Beschluss befasst sich erneut mit den Voraussetzungen für den grenzüberschreitenden Informationsaustausch zwischen Finanzverwaltungen einzelner Mitgliedsstaaten der EU (vgl. auch FG Köln, Beschlüsse vom 20.10.2017, 2 V 1055/17, vom 23.05.2017, 2 V 2498/16, vom 30.06.2017, 2 V 687/17, vom 13.04.2018, 2 V 174/18 und Urteil vom 14.03.2017, 2 K 2733/13). Parallelen ergeben sich insbesondere auch zum Beschluss des FG Köln vom 23.03.2018 (2 V 814/17), in dessen zugrundeliegendem Sachverhalt es auch um eine grenzüberschreitende Außenprüfung zur Prüfung der Fremdüblichkeit einer Lizenzvereinbarung ging.
Wie bereits in vorherigen Beschlüssen beruft sich das FG Köln im Hinblick auf die Voraussetzungen für den grenzüberschreitenden Informationsaustausch auf die „voraussichtliche Erheblichkeit“ für die Steuerfestsetzung. Auch im vorliegenden Fall liegt aus Sicht des Gerichts eine „voraussichtliche Erheblichkeit“ vor. Es zeigt sich somit einmal mehr, dass der Finanzverwaltung im Hinblick auf die Teilnahme am grenzüberschreitenden Informationsaustausch innerhalb der EU ein weiter Ermessensspielraum zugestanden wird.
Ein besonders bemerkenswerter Punkt in dem hier besprochenen Beschluss des FG Köln ist, dass das FG eine koordinierte grenzüberschreitende Außenprüfung in einem Fall zugelassen hat, bei dem es nicht um Transaktionen zwischen den Steuerpflichtigen einer Unternehmensgruppe in den beteiligten Staaten geht, sondern nur um (möglicherweise) vergleichbare Transaktionen zwischen diesen Steuerpflichtigen und dem „Strategieträger“ in einem nicht teilnehmenden Land. Die erforderliche Erheblichkeit wird damit erneut sehr weit ausgelegt.
Vor dem Hintergrund dieses Urteils ist davon auszugehen, dass die deutsche Finanzverwaltung in der Regel an einem von ausländischen Finanzverwaltungen angeregten grenzüberschreitenden Informationsaustausch bei Prinzipalstrukturen, Central Entrepreneur-Modellen u.ä. auch dann teilnehmen wird, wenn der Sitzstaat des Prinzipals eine Teilnahme ablehnt. Ebenso ermutigt das Urteil die deutsche Finanzverwaltung eine grenzüberschreitende Außenprüfung anzuregen, wenn man die (voraussichtlich) bei einer rein nationalen Prüfung ermittelbaren Informationen als nicht ausreichend einschätzt. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass noch für 2023 die Anpassung der deutschen Rechtsgrundlagen für koordinierte grenzüberschreitende Außenprüfungen angekündigt wurde, um die diesbezüglichen Regelungen der DAC7-Richtlinie ins nationale Recht umzusetzen.
Finanzgericht Köln, Beschluss vom 17.01.2022, 2 V 827/21
EuGH, Urteil vom 16.05.2017, C-682/15, NWB 2017, S. 1718
Finanzgericht Köln, Beschluss vom 23.02.2018, 2 V 814/17, EFG 2018, S. 852, siehe Deloitte Tax-News
Finanzgericht Köln, Beschluss vom 13.04.2018, 2 V 174/18, EFG 2018, S. 1164
Finanzgericht Köln, Beschluss vom 20.10.2017, 2 V 1055/17, EFG 2018, S. 351, siehe Deloitte Tax-News
Finanzgericht Köln, Beschluss vom 30.06.2017, 2 V 687/17, EFG 2017 S. 1568
Finanzgericht Köln, Beschluss vom 23.05.2017, 2 V 2498/16, EFG 2017, S. 1322, siehe Deloitte Tax-News
Finanzgericht Köln, Urteil vom 14.03.2017, 2 K 2733/13, EFG 2017, S. 1489
BFH, Urteil vom 29.04.2008, I R 79/07, BFH/NV 2008, S. 1807
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