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24.06.2010
Verfahrensrecht

BFH: Rechtserheblichkeit neuer Tatsachen
i.S.d. § 173 AO

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute und wurden in den Streitjahren (2001 bis 2003) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erwarb im Rahmen seiner Tätigkeit auch Ansprüche auf eine betriebliche Altersvorsorge. Bedingt durch die Auflösung der ursprünglichen Zusatzversorgungskasse wechselte der Arbeitgeber zur Durchführung seiner betrieblichen Altersvorsorge zu einer anderen Zusatzversorgungskasse. Zum Ausgleich hierfür hat er an die übernehmende Versorgungskasse einen jährlichen Nachteilsausgleich geleistet, diese Zahlungen - anteilig - als Arbeitslohn des Klägers behandelt und dem Lohnsteuerabzug unterworfen. Dementsprechend sind auch die auf den Kläger entfallenden Nachteilsausgleichszahlungen in den auf den Lohnsteuerbescheinigungen ausgewiesenen Bruttoarbeitslöhnen enthalten und in die Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjahre eingegangen. Von diesem Umstand erfuhr der Kläger erstmals im März 2006. Zugleich wurde ihm mitgeteilt, dass die Versteuerung fehlerhaft gewesen sei, wie sich aus dem zwischenzeitlich ergangenen Urteil des BFH vom 14.09.2005 VI R 148/98 (BStBl II 2006, S. 532) ergebe. Daraufhin beantragten die Kläger beim Finanzamt erfolglos, die bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen der Streitjahre nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO dahingehend zu ändern, dass die zu Unrecht erfolgte Besteuerung des Nachteilsausgleichs als Arbeitslohn rückgängig gemacht werde. Auch die hiergegen eingelegten Einsprüche blieben ohne Erfolg. Der fristgerecht erhobenen Klage gab das Finanzgericht statt.

Entscheidung

Das Finanzgericht hat zu Unrecht entschieden, dass die Einkommensteuerfestsetzungen der Streitjahre nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern sind.

Nicht entscheidungsrelevant ist, ob es sich bei dem Umstand, dass der auf der Lohnsteuerkarte des Klägers ausgewiesene Bruttolohn in den Streitjahren auch auf diesen entfallende Nachteilsausgleichszahlungen enthält, um eine dem Finanzamt nachträglich bekanntgewordene Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 AO handelt. Denn auch bei rechtzeitiger Kenntnis um diese Sonderzahlungen an die aufnehmende Versorgungskasse und deren - anteilige - Erfassung in den Lohnsteuerbescheinigungen des Klägers wäre das Finanzamt bei der ursprünglichen Veranlagung zu keiner niedrigeren Steuer gelangt.

Die Unrichtigkeit der Steuerfestsetzung ist kein rechtfertigender Grund für die Durchbrechung der Bestandskraft nach § 173 AO, wohingegen der Umstand, dass das Finanzamt bei seiner Entscheidung von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, zu einer Bescheidänderung führen kann. Die nachträgliche Berücksichtigung neuer Tatsachen und Beweismittel ist strikt von der Korrektur von Rechtsfehlern abzugrenzen. Das Kriterium der Rechtserheblichkeit (Kausalität) der neuen Tatsache bei der ursprünglichen Veranlagung schließt demnach aus, dass die Beteiligten des Steuerschuldverhältnisses mit Hilfe eines Änderungsbescheids eine neue Tatsache zum bloßen Anlass oder Vorwand nehmen, ihre geläuterte Rechtsansicht nachträglich durchzusetzen. Der Gesetzgeber hat vielmehr dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit in solchen Fällen Vorrang vor der materiellen Richtigkeit der ergangenen Verwaltungsentscheidung eingeräumt (BFH-Beschluss in BFHE 151, S. 495, BStBl II 1988, S. 180).

Maßgebend für die Frage nach der Rechtserheblichkeit einer neuen Tatsache ist grundsätzlich der Zeitpunkt, in dem die Willensbildung des Finanzamt über die Steuerfestsetzung abgeschlossen wird. Wie das Finanzamt bei Kenntnis bestimmter Tatsachen und Beweismittel einen Sachverhalt in seinem ursprünglichen Bescheid gewürdigt hätte, ist im Einzelfall aufgrund des Gesetzes, wie es nach der damaligen Rechtsprechung des BFH ausgelegt wurde, und den die Finanzämter bindenden Verwaltungsanweisungen zu beurteilen. Liegen unmittelbar zu der umstrittenen Rechtslage weder Rechtsprechung des BFH noch bindende Verwaltungsanweisungen vor, so ist aufgrund anderer objektiver Umstände abzuschätzen, wie das Finanzamt in Kenntnis des vollständigen Sachverhalts entschieden hätte. Dabei sind das mutmaßliche Verhalten des einzelnen Sachbearbeiters und seine individuellen Rechtskenntnisse ohne Bedeutung.

Vorinstanz

FG Düsseldorf, Urteil v. 22.08.2008, 11 K 580/07, EFG 2008, S. 1926.

Fundstelle

BFH, Urteil v. 22.04.2010, Az. VI R 40/08.

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