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22.09.2021
Unternehmensteuer

FG Hessen: Schachtelprivileg bei mehraktigen unterjährigen Erwerben

  • Aktuell: Auch nach dem BFH kommt im Streitfall die Steuerbefreiung auf die Dividenden zur Anwendung. Denn die Beteiligungsschwelle von 10% des Grund- oder Stammkapitals kann auch durch unterjährige Erwerbsvorgänge von jeweils unterhalb der Beteiligungsschwelle liegenden Anteilspaketen von mehreren Verkäufern erreicht werden. Entscheidend ist, dass ein aus Sicht des Erwerbers wirtschaftlich einheitlicher Erwerbsvorgang vorliegt (vgl. BFH-Urteil vom 06.09.2023, I R 16/21, siehe Deloitte Tax News).

FG Hessen:

Hinsichtlich der für die Steuerbefreiung von Dividenden geforderten Mindestbeteiligung von 10 % findet sich in § 8b Abs. 4 S. 6 KStG eine Rückbeziehungsfiktion, wonach der Erwerb einer Beteiligung von mindestens 10 % als zu Beginn des Kalenderjahres erfolgt gilt. In der FG-Rechtsprechung wird nun erstmalig entgegen der Finanzverwaltung die Auffassung vertreten, dass die 10 %-Grenze auch durch mehrere unterjährige Erwerbsvorgänge erreicht werden kann, die zusammen, nicht jedoch jeweils für sich die 10 %ige Beteiligungsschwelle erreichen. Die Steuererleichterung des § 8b Abs. 4 S. 6 KStG finde bereits dann Anwendung, wenn zu irgendeinem Zeitpunkt im Laufe des Kalenderjahrs eine Beteiligungshöhe von mindestens 10 % erreicht wird. 

Sachverhalt

Strittig war, ob ein mehraktiger unterjähriger Erwerb, der nur zusammen betrachtet dazu führt, dass die 10 %ige Beteiligungsschwelle erreicht wird, die Anwendung der Steuererleichterung des § 8b Abs. 4 S. 6 KStG begründen kann. 

Geschäftsgegenstand der Klägerin, einer GmbH & Co KG, war das Halten und die Verwaltung sämtlicher Anteile an der M-GmbH. Mit der M-GmbH schloss sie einen Ergebnisabführungsvertrag, kraft dem ihr das Einkommen der M-GmbH für Zwecke der Körperschaftsteuer anteilig zuzurechnen war. An der GmbH & Co. KG selbst waren einzelne Gesellschaften beteiligt. In 2014 veräußerten mehrere ihrer Gründungsgesellschaften durch Kapital- bzw. Einlagewerte definierte Teile ihrer Kommanditbeteiligungen an der GmbH & Co. KG an weitere Gesellschaften, was auf Ebene der GmbH & Co. KG zu entsprechenden (kapitalanteiligen) Gesellschafterwechseln führte. Dabei erwarb eine Gesellschaft, die C-GmbH, von insgesamt drei Veräußerern einen Beteiligungsanteil von mehr als 10 % in drei zeitgleichen Rechtsgeschäften. Die GmbH & Co. KG behandelte den auf die C-GmbH entfallenden Anteil an der in 2014 vereinnahmten Gewinnausschüttung der M-GmbH als steuerfreie Ausschüttung. Das Finanzamt qualifizierte die der C-GmbH zuzurechnende Gewinnausschüttung hingegen als voll körperschaftsteuerpflichtig. 

Entscheidung

Das FG kommt zu dem Ergebnis, dass die der C-GmbH zuzurechnende Ausschüttung der M-GmbH nach § 8b Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 KStG von der Körperschaftsteuer befreit ist.

Gesetzliche Grundlagen

Nach § 8b Abs. 4 S. 1 KStG sind Gewinnausschüttungen abweichend von der Steuerbefreiung des § 8b Abs. 1 KStG bei der Ermittlung des Einkommens voll zu berücksichtigen, wenn die ausschüttungsvermittelnde Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar weniger als 10% beträgt (sog. Streubesitzdividenden). Die Vorschrift des § 8b Abs. 4 S. 6 KStG normiert eine Durchbrechung dieses in § 8b Abs. 4 S. 1 KStG geregelten Stichtagsprinzips durch eine Rückbeziehungsfiktion, nach welcher für Zwecke des § 8b Abs. 4 KStG der „Erwerb einer Beteiligung von mindestens 10 %“ als zu Beginn des Kalenderjahres erfolgt“. Die Auslegung dieser Norm ist höchst umstritten.

Auffassung der Finanzverwaltung

Mit Verweis auf den Gesetzeswortlaut und das in § 8b Abs. 4 S. 1 KStG als Grundsatz geregelte Stichtagsprinzip vertreten die Finanzverwaltung (vgl. OFD Frankfurt a.M., bisher: Verfügung vom 02.12.2013, jetzt: Verfügung vom 16.08.2021) und ein Teil der Literatur (vgl. z.B. Gosch in Gosch, KStG, § 8b Rn. 289b und Pung in Dötsch, KStG, § 8b Rn. 288) die Auffassung, dass die einzelnen Erwerbs-Rechtsgeschäfte auf das engste durch einen als „Blockerwerb“ eines „Anteilspakets“ umschreibbaren Vorgang verbunden sein müssen.

Gegenauffassung in der Literatur

Die Gegenansicht in der Literatur vertritt die Ansicht, dass der insoweit teleologisch zu reduzierende Gesetzeswortlaut des § 8b Abs. 4 S. 6 KStG – unter Berücksichtigung des Charakters des § 8b Abs. 4 KStG als systemwidrige Ausnahmevorschrift – es zuließ, die 10 %ige Beteiligungsschwelle auch durch mehrere unterjährige Erwerbsvorgänge zu erreichen. Nach dieser Auffassung tritt die Rechtsfolge des § 8b Abs. 4 S. 6 KStG bereits dann ein, wenn zu irgendeinem Zeitpunkt im Laufe des Kalenderjahres eine Beteiligungshöhe von mindestens 10 % erreicht wurde (vgl. z. B. Rengers in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 8b KStG Rn. 118a; Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG, § 8b Rn. 477).

Auffassung des FG

Dieser letztgenannten Literaturauffassung schließt sich das FG in seinem aktuellen Urteil an. Der vom Gesetzgeber in § 8b Abs. 4 S. 6 KStG verwendete Begriff der „Beteiligung“ diene nach seinem im Geschäftsverkehr verstandenen Inhalt im Wesentlichen der Bestimmung der ideellen Summe der gesellschaftsrechtlichen Berechtigungen des Anteilseigners am Kapital und Gewinn der Kapitalgesellschaft und erschöpfe sich in der Umschreibung dieser Größe durch Angabe eines entsprechenden Prozentsatzes. Deshalb fallen nach Ansicht des FG unter den „Erwerb“ dieser (einen) Beteiligung mit dem Ergebnis einer bestimmten prozentualen Beteiligungshöhe alle zivilrechtlichen Vorgänge, die im Laufe des Kalenderjahres zur Entstehung der Beteiligungshöhe beigetragen haben. Im Rahmen der Auslegung des Wortlauts könne der Sachverhalt des unterjährigen Hinzuerwerbs zu einer am Jahresanfang bestehenden Beteiligung nicht anders behandelt werden als die Herstellung der notwendigen Beteiligungshöhe durch mehrere erstmalige Erwerbe im Kalenderjahr.

Ergebnis im Streitfall

Unter Beachtung dieser Grundsätze vertritt das FG für den zugrundeliegenden Streitfall die Auffassung, dass der Erwerb der insgesamt mehr als 10 %-igen Beteiligung der C-GmbH an der M-GmbH von drei Veräußerern nach § 8b Abs. 4 S. 6 KStG Rückwirkung auf den 01.01.2014 entfaltet, weshalb die Beteiligung an der Steuerbefreiung des § 8b Abs. 1 S. 1 und Abs. 4 S. 1 KStG teilnimmt. Ein identisches Ergebnis ergebe sich dessen ungeachtet auch aus der engeren Literaturauffassung zur Berücksichtigung zumindest von „Blockerwerben“. Die C-GmbH erwarb ihre mittelbare Beteiligung auf Grund eines einheitlichen Entschlusses und in Umsetzung eines diesbezüglichen Gesamtplans durch ein einheitliches schuldrechtliches Rechtsgeschäft. Dass die notwendige Beteiligungsschwelle durch die einzelnen Teilkommanditanteile zuvor nicht erreicht worden war, sei dabei unerheblich, da § 8b Abs. 4 S. 6 KStG nicht auf die Beteiligung des Veräußerers, sondern ausdrücklich auf die Beteiligung des Erwerbers abstelle. 

Betroffene Normen

§ 8b Abs. 4 S. 6 KStG

Streitjahr 2014

Anmerkungen

Praxishinweis

Mit dem aktuellen Urteil des FG Hessen widerspricht nun – soweit ersichtlich – erstmals ein FG der Auffassung der Finanzverwaltung. Gegen die Entscheidung des FG hat die Finanzverwaltung Revision eingelegt, die beim BFH unter dem Az. I R 16/21 anhängig ist. Es bleibt abzuwarten, ob die vom FG vertretene Rechtsauffassung vor dem BFH Bestand haben wird. Bescheide sollten in strittigen Fällen ggf. offen gehalten und entsprechende Rechtsmittel geprüft werden.

OFD Frankfurt a.M., Verfügung vom 16.08.2021

Mit einer Verfügung vom 16.08.2021 hat die OFD Frankfurt a.M. ihre bisherige Verfügung vom 02.12.2013 aktualisiert. Die OFD bleibt dabei bei ihrem restriktiven Normverständnis des § 8b Abs. 4 S. 6 KStG. Sie weist in einem neuen Absatz lediglich auf das aktuelle Urteil des FG Hessen vom 15.03.2021 hin und ordnet an, dass Rechtsbehelfsverfahren, in denen sich Steuerpflichtige auf dieses Urteil beziehen, nach § 363 Abs. 2 S. 2 AO ruhen. 

Fundstellen

BFH, Urteil vom 06.09.2023, I R 16/21, siehe Deloitte Tax News

Finanzgericht Hessen, Urteil vom 15.03.2021, 6 K 1163/17

Weitere Fundstellen

​OFD Frankfurt a.M., Verfügung vom 16.08.2021, S 2750a A-027-St 52​

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