Der Begriff "Beteiligung" bei der Berechnung der Beteiligungsschwelle des § 8b Abs. 4 S. 1 KStG für sogenannte Streubesitzdividenden (10 %) nimmt auf die allgemeinen Grundsätze der steuerrechtlichen Zurechnung von Wirtschaftsgütern (§ 39 AO) Bezug. Entscheidend ist somit nicht das zivilrechtliche, sondern das wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen.
Eine GmbH (Klägerin) hielt im Jahr 2013 9,898 % an der Y-AG. Mit Kauf- und Übertragungsvertrag vom 16.12.2013 erwarb die GmbH weitere nicht verbriefte Stückaktien an der Y-AG (Anhebung der Beteiligungsquote auf 10,00425 %) unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Zahlung des Kaufpreises. Durch den Hinzuerwerb von Aktien an der Y-AG wurde die Streubesitzquote des § 8b Abs. 4 KStG dem Grunde nach überschritten. Die Überweisung des Kaufpreises am 16.12.2013 schlug fehl und es kam erst am 01.01.2014 tatsächlich zu einer Überweisung des Kaufpreises. Die Y-AG stimmte der Übertragung der Aktien am 19.12.2013 zu.
Die GmbH bezog im Streitjahr 2014 von der Y-AG Dividenden für die Jahre 2012 und 2013 und erklärte diese als steuerfreie Bezüge nach § 8b Abs. 1 KStG. Das Finanzamt setzte die Dividende jedoch in voller Höhe bei der Ermittlung des körperschaftsteuerpflichtigen Einkommens mit der Begründung an, dass die 10 %-Schwelle des § 8b Abs. 4 KStG zu Beginn des Jahres 2014 noch nicht vorgelegen habe. Das Finanzgericht gab der dagegen erhobenen Klage statt. Es sei nicht das zivilrechtliche Eigentum, sondern das wirtschaftliche Eigentum maßgeblich für den Zeitpunkt der Einhaltung der Beteiligungshöhe i. S. d. § 8b Abs. 4 KStG ist. [GD1]
Das sieht auch der BFH so. Das FG habe zu Recht entschieden, dass die von der GmbH erzielten Dividenden der Y-AG nach § 8b Abs. 1 S. 1 KStG bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz bleiben. Es liegen keine sogenannten Streubesitzdividenden nach § 8b Abs. 4 KStG vor, da die GmbH durch den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an den mit Vertrag vom 16.12.2013 erworbenen Aktien bereits am 01.01.2014 die Beteiligungsschwelle von 10 % erreicht habe.
Gesetzliche Grundlage
Nach § 8b Abs. 1 S. 1 KStG bleiben Bezüge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchst. a EStG bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz. In diesem Fall gelten 5 % dieser Bezüge als nicht abziehbare Betriebsausgaben (§ 8b Abs. 5 S. 1 KStG). Die Steuerfreistellung gilt nach § 8b Abs. 4 S. 1 KStG allerdings dann nicht, wenn die Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar weniger als 10 % des Grund- oder Stammkapitals betragen hat.
Maßgeblichkeit des wirtschaftlichen statt des zivilrechtlichen Eigentums
Hierbei ist nach Ansicht des BFH nicht allein auf das zivilrechtliche Eigentum, sondern auf die steuerrechtliche Zurechnung der Kapitalanteile nach § 39 AO abzustellen. Die Anwendung des steuerrechtlichen Konzepts des sogenannten wirtschaftlichen Eigentums nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO sei nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Tatbestand des § 8b Abs. 4 S. 1 KStG an zivilrechtliche Begriffe (Grund- oder Stammkapital) anknüpft.
Konzept des wirtschaftlichen Eigentums
Nach § 39 Abs. 1 AO kommt es für die steuerrechtliche Zurechnung von Wirtschaftsgütern zunächst auf das zivilrechtliche Eigentum an. Zum Stichtag 01.01.2014 war die GmbH aber noch nicht zivilrechtliche Eigentümerin der Aktien geworden, die sie mit Vertrag vom 16.12.2013 von X erworben hatte. Denn die Eigentumsübertragung stand unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung, die aufgrund einer zunächst fehlgeschlagenen Überweisung erst nach dem 01.01.2014 erfolgte.
Allerdings war die Klägerin am 01.01.2014 nach den Maßgaben des § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AO bereits wirtschaftliche Eigentümerin dieser Anteile, so der BFH. Nach dieser Vorschrift ist ein Wirtschaftsgut demjenigen zuzurechnen, der die tatsächliche Herrschaft über dieses Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den (zivilrechtlichen) Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kommt es beim Erwerb von Aktien darauf an, ob der Erwerber eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und ob die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen (Verwaltungs- und Vermögens-)Rechte (insbesondere Gewinnbezugs- und Stimmrecht) sowie die mit Wertpapieren gemeinhin verbundenen Kursrisiken und -chancen auf ihn übergegangen sind (BFH-Urteil vom 02.02.2022, I R 22/20). Maßgebend sind aber letztlich nicht einzelne Strukturelemente, sondern wem nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse die wirtschaftliche Dispositionsbefugnis zusteht. Dabei ist für den Fall des Erwerbs von Wertpapieren zu berücksichtigen, dass die "Rechtsmacht" des Erwerbers vom Inhaber des Wertpapiers (als Verkäufer) abgeleitet sein muss und somit der konkrete Ausschluss der (wirtschaftlichen) Inhaberschaft des Verkäufers erforderlich ist (BFH-Urteil vom 02.02.2022, I R 22/20).
Ergebnis im Streitfall
Im Streitfall haben diese Voraussetzungen noch vor dem 01.01.2014 zu einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an den mit Vertrag vom 16.12.2013 erworbenen Aktien geführt. Dem fehlenden Übergang der mit den Aktien verbundenen Verwaltungsrechte (insbesondere der Stimmrechte) ist nach Überzeugung des BFH keine entscheidende Bedeutung beizumessen. Denn es habe allein in der Hand der GmbH (Erwerberin) gelegen, die aufschiebende Bedingung durch Zahlung des bereits fälligen Kaufpreises eintreten zu lassen und dadurch die entsprechenden Verwaltungsrechte (einschließlich der Stimmrechte) vollständig an sich zu ziehen.
§ 8b Abs. 4 S. 1 KStG
Einordnung in die bisherige Rechtsprechung: Urteil des FG Köln vom 09.06.2016, 10 K 1128/15
Das FG Köln hat zwar in dieser Entscheidung auf die zivilrechtliche Rechtslage abgestellt. Allerdings ging es dort nicht um die Übertragung bereits bestehender Anteile, sondern um eine rückwirkende Zurechnung von Anteilen, die infolge einer Kapitalerhöhung zeitlich erst nach dem für § 8b Abs. 4 S. 1 KStG maßgeblichen Stichtag rechtlich entstanden waren. Der BFH folgt nun aber in seinem hier besprochenen Urteil ausdrücklich nicht der Einschätzung des FG, die Maßgeblichkeit der zivilrechtlichen Rechtslage sei zur Missbrauchsvermeidung erforderlich. Zumindest die streitgegenständliche Konstellation der Übertragung von Anteilen sei für missbräuchliche Gestaltungen anfälliger, wenn es allein auf die formal zivilrechtliche Übertragung und nicht auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise ankäme. Denn das zivilrechtliche Fehlgehen des Erwerbs Ende 2013 lag gerade nicht im (steuerrechtlich induzierten) Interesse der GmbH, da sie die Beteiligungsschwelle infolge eines (erfolgreichen) Erwerbs gerade überschreiten wollte, um dadurch die Steuerfreiheit der im Streitjahr anfallenden Dividenden sicherzustellen.
Praxishinweis
Der BFH beantwortet die für die Praxis wichtige Frage, wie das Tatbestandsmerkmal des § 8b Abs. 4 S. 1 KStG „zu Beginn des Kalenderjahres“ auszulegen ist. Für die steuerliche Beratungspraxis ist zu empfehlen, bei Anteilskauf- und Übertragungsverträgen darauf zu achten, dass zumindest das wirtschaftliche Eigentum i.S.d. § 39 AO auf den Erwerber übergegangen ist.
Finanzgericht München, Urteil vom 11.09.2019, 7 K 2605/17, EFG 2020, S. 476
BFH, Urteil vom 07.06.2023, I R 50/19
BFH-Urteil vom 02.02.2022, I R 22/20, BStBl. II 2022, S. 324, siehe Deloitte Tax-News
Finanzgericht Köln, Urteil vom 09.06.2016, 10 K 1128/15
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