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22.12.2022
Unternehmensteuer

BFH: Steuerliche Behandlung eines punktuell satzungsdurchbrechenden inkongruenten Vorabgewinnausschüttungsbeschlusses

Ein einstimmig gefasster, punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung ist als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss der Besteuerung zugrunde zu legen (entgegen BMF-Schreiben vom 17.12.2013). Ein Gesellschafter, an den nach einem solchen Beschluss kein Gewinn verteilt wird, erzielt weder Einkünfte aus offenen noch aus verdeckten Gewinnausschüttungen. Ein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO liegt ebenfalls nicht vor.

Sachverhalt

Der Kläger war in den Streitjahren Geschäftsführer und zu 50 % Gesellschafter der K-GmbH. Die anderen 50 % an der K-GmbH hielt die T-GmbH, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer ebenfalls der Kläger war.

Der Gesellschaftsvertrag der K-GmbH enthielt keine Regelung zur Gewinnverteilung. Er sah insbesondere weder vor, dass Entnahmen, Vorschüsse und der Jahresgewinn stets abweichend von den Beteiligungsverhältnissen zu verteilen waren, noch enthielt er eine Öffnungsklausel i.S.d. § 29 Abs. 3 S. 2 GmbHG, die eine von den Beteiligungsverhältnissen abweichende Verteilung durch gesonderte Beschlussfassung im Einzelfall zuließ. Die Gesellschafterversammlung der K-GmbH fasste in den Streitjahren jeweils einstimmig Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse, nach denen die Vorabausschüttungen nur an die T-GmbH verteilt und ausgezahlt wurden.
In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre gab der Kläger keine Einkünfte aus Ausschüttungen der K-GmbH an.

Im Rahmen einer Außenprüfung gelangte das Finanzamt zu der Auffassung, dass die Vorabausschüttungen der K-GmbH an die T-GmbH auf zivilrechtlich nichtigen Ausschüttungsbeschlüssen beruhten. Die ausgeschütteten Beträge seien dem Kläger entsprechend seiner Beteiligungsquote zur Hälfte zuzurechnen. Der Kläger habe Einkünfte aus verdeckten Gewinnausschüttungen (vGA) gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG erzielt. Hingegen war das FG der Ansicht, dass dem Kläger aus den Ausschüttungen keine Einkünfte zuzurechnen seien.

Entscheidung

Der BFH kommt übereinstimmend mit dem FG zu dem Ergebnis, dass der Kläger aufgrund der inkongruenten Vorabausschüttungen weder Einkünfte aus offenen Gewinnausschüttungen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG noch Einkünfte aus vGA gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG erzielt hat. Eine hälftige Zurechnung der Ausschüttungsbeträge an die T-GmbH als Einkünfte des Klägers gemäß § 42 AO kommt ebenfalls nicht in Betracht.

Keine Einkünfte aus offenen Gewinnausschüttungen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG

Die in den Streitjahren gefassten Beschlüsse über die inkongruenten Vorabgewinnausschüttungen widersprechen zwar der Satzung der K-GmbH, sind aber - entgegen der Auffassung des Finanzamts und des Bundesfinanzministeriums - nicht nichtig, sondern als punktuell satzungsdurchbrechende Ausschüttungsbeschlüsse mangels Anfechtbarkeit zivilrechtlich wirksam und bindend.

Satzungsdurchbrechende Gesellschafterbeschlüsse, die einen vom Regelungsinhalt der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand mit Dauerwirkung begründen, sind selbst im Fall eines einstimmig gefassten Beschlusses nichtig, wenn bei der Beschlussfassung nicht alle materiellen und formellen Bestimmungen einer Satzungsänderung eingehalten werden (vgl. u.a. BGH-Urteil vom 07.06.1993, II ZR 81/92). Davon sind punktuell satzungsdurchbrechende Beschlüsse zu unterscheiden, deren Wirkung sich in der betreffenden Maßnahme als Einzelakt erschöpft, sodass die Satzung durch den Beschluss zwar verletzt wird, aber nicht mit Wirkung für die Zukunft geändert werden soll. Sie sind nicht nichtig, aber entsprechend § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar.

Die von den Gesellschaftern der K-GmbH gefassten Beschlüsse über die inkongruenten Vorabgewinnausschüttungen sind nach dem BFH jeweils nur punktuell satzungsdurchbrechend, da jeder Beschlussfassung über eine Vorabausschüttung ein neuer Willensentschluss der Gesellschafter zugrunde lag; eine neue Satzungsregelung zu einer generell von den Beteiligungsverhältnissen abweichenden Gewinnverteilung sollte nicht getroffen werden. Die Wirkung des jeweiligen Beschlusses habe sich mit der Ausschüttung an die T-GmbH erschöpft.

Unabhängig davon, welche formellen Anforderungen an die Wirksamkeit eines solchen Beschlusses gestellt werden, ist ein punktuell satzungsdurchbrechender inkongruenter Ausschüttungsbeschluss stets nur analog § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar. Haben aber sämtliche Gesellschafter der inkongruenten Gewinnverteilung zugestimmt, könne der Beschluss von keinem der Gesellschafter angefochten werden, denn die Zustimmung aller Gesellschafter führe für jeden von ihnen zum Verlust der Anfechtungsberechtigung. Damit seien die Beschlüsse zivilrechtlich wirksam und bindend.

Da die Vorabgewinnausschüttungen auf zivilrechtlich wirksamen Gesellschafterbeschlüssen beruhen, handelt es sich jeweils um eine offene Ausschüttung von Gewinnanteilen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG. Der Kläger habe jedoch keinen Gewinnanteil zu versteuern, da er den Einkünfteerzielungstatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG jeweils nicht verwirklicht hat, da zivilrechtlich wirksam beschlossen wurde, an ihn keinen Gewinn auszuschütten (vgl. BFH-Urteil vom 28.09.2021, VIII R 25/19). Offen ausgeschüttete Gewinne seien stets nur bei demjenigen Anteilseigner der Besteuerung zu unterwerfen, dem sie in dieser Eigenschaft als Anteilseigner zufließen (vgl. BFH-Urteil vom 19.08.1999, I R 77/96).

Darüber hinaus sieht der BFH auch keine Veranlassung, dem Kläger auf der Grundlage der vom BMF geforderten Fremdüblichkeitsprüfung aus den inkongruenten Vorabausschüttungen an die T-GmbH Einkünfte gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG zuzurechnen. Nach dem Bundesfinanzministerium ist von einem Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO nicht auszugehen, wenn für die vom gesetzlichen Verteilungsschlüssel abweichende Gewinnverteilung beachtliche wirtschaftlich vernünftige außersteuerliche Gründe nachgewiesen werden (vgl. BMF-Schreiben vom 17.12.2013).

Keine Einkünfte aus vGA gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG

Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung handele es sich auch nicht um Einkünfte aus vGA gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG. Eine vGA läge vor, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung einen Vorteil zuwendet und diese Zuwendung ihren Anlass im Gesellschaftsverhältnis hat. Sie könne auch ohne tatsächlichen Zufluss beim Gesellschafter verwirklicht werden, wenn der Vorteil ihm durch das Gesellschaftsverhältnis mittelbar in der Weise zugewendet wird, dass eine ihm nahestehende Person aus der Vermögensverlagerung Nutzen zieht.

Nach dem BFH kann im Streitfall allerdings keine vGA vorliegen, da es sich um offene Ausschüttungen handelt, die zivilrechtlich wirksam beschlossen wurden und auf dem Gesellschaftsverhältnis der T-GmbH zur K-GmbH, nicht auf dem Gesellschaftsverhältnis des Klägers zur K-GmbH beruhen.

Kein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten

Weiter bestätigt der BFH, dass die Vorabausschüttungen nur an die T-GmbH auch keinen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO darstellen. Bei der Begründung beruft sich der BFH auf seine bisherige Rechtsprechung, nach der inkongruente Gewinnverteilungen steuerrechtlich grundsätzlich anzuerkennen sind, wenn sie auf einem zivilrechtlich wirksam zustande gekommenen Ausschüttungsbeschluss beruhen (vgl. u.a. BFH-Urteile vom 19.08.1999, I R 77/96 und vom 13.03.2018, IX R 35/16).

Betroffene Normen

§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, § 42 AO

Streitjahre 2012-2015

Anmerkungen

Auffassung der Finanzverwaltung

Nach dem BMF-Schreiben vom 17.12.2013 setzt die steuerliche Anerkennung einer inkongruenten Gewinnausschüttung voraus, dass im Falle einer GmbH ein „anderer Maßstab der Verteilung als das Verhältnis der Geschäftsanteile“ in der Satzung vorgesehen ist oder in der Satzung eine Öffnungsklausel besteht, nach der alljährlich mit Zustimmung der beeinträchtigten Gesellschafter oder einstimmig über eine von der satzungsmäßigen Regelung abweichende Gewinnverteilung beschlossen werden kann, und der Beschluss mit der in der Satzung bestimmten Mehrheit gefasst worden ist. Folglich sind nach Auffassung des BMF satzungsdurchbrechende inkongruente Gewinnverteilungsbeschlüsse zivilrechtlich nichtig mit der steuerlichen Folge, dass die Ausschüttung nicht als offene, sondern als verdeckte Gewinnausschüttung zu behandeln ist. Dieser Auffassung ist der BFH mit dem oben dargestellten Urteil nun entgegengetreten.

Einordnung der Entscheidung

Mit der vorliegenden Entscheidung schafft der BFH Rechtssicherheit im Hinblick auf satzungsdurchbrechende Ausschüttungsbeschlüsse und hat im Fall eines punktuell satzungsdurchbrechenden Beschlusses zugunsten des Steuerpflichtigen entschieden. Allerdings ist die Unterscheidung zwischen satzungsdurchbrechenden Beschlüssen mit Dauerwirkung und punktuell satzungsdurchbrechenden Beschlüssen zu beachten. Weiterhin gilt jedoch, dass satzungsdurchbrechende Gesellschafterbeschlüsse möglichst vermieden werden sollten.

Vorinstanz

FG Münster, Urteil vom 06.05.2020, 9 K 3359/18 E, AO 

Fundstelle

BFH, Urteil vom 28.09.2022, VIII R 20/20

Weitere Fundstellen

BGH, Urteil vom 07.06.1993, II ZR 81/92, BGHZ 123, 15-22

BFH, Urteil vom 28.09.2021, VIII R 25/19, siehe Deloitte Tax News

BFH, Urteil vom 19.08.1999, I R 77/96, BStBl. II 2001, S. 43

BFH, Urteil vom 13.03.2018, IX R 35/16, siehe Deloitte Tax News

BMF, Schreiben vom 17.12.2013, IV C 2 – S 2750-a/11/10001, BStBl. I 2014, S. 63

 

 

 

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