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22.06.2017
Unternehmensteuer

BFH: Keine Erwerbergruppe mit gleichgerichteten Interessen bei bloßer Beherrschungsmöglichkeit

Eine Erwerbergruppe mit gleichgerichteten Interessen nach § 8c KStG setzt voraus, dass aufgrund (spätestens) im Erwerbszeitpunkt getroffener Abreden die Erwerber einen einheitlichen beherrschenden Einfluss in der Verlustgesellschaft ausüben können. Die bloße Möglichkeit des Beherrschens reicht nicht aus. Eine Klage ist sowohl gegen die Nullbescheide (Steuerfestsetzung von 0 Euro) als auch gegen die Verlustfeststellungsbescheide zulässig.

Sachverhalt

Bei der Klägerin, einer Verlust-GmbH, fand im Streitjahr 2010 ein mittelbarer Anteilseignerwechsel statt. 53% der Anteile an der Klägerin wurden an drei Erwerber (jeweils 17,7% der Anteile) veräußert.

Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass es sich bei den drei Erwerbern um eine Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen im Sinne des § 8c Abs. 1 S. 3 KStG handele und folglich die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht genutzten Verluste der Klägerin vollständig gemäß § 8c KStG untergehen. Die Klägerin hat gegen die auf jeweils 0 Euro lautenden Festsetzungen zur Körperschaftsteuer und zum Gewerbesteuermessbetrag (sog. „Nullbescheide“) und gegen die Feststellungen des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer bzw. des vortragsfähigen Gewerbeverlustes Klage erhoben. Das FG teilte die Auffassung des Finanzamts nicht.

Entscheidung

Schädlicher Beteiligungserwerb im Sinne des § 8c Abs. 1 S. 2 und 3 KStG:
Das FG habe zutreffend festgestellt, dass kein schädlicher Beteiligungserwerb im Sinne des § 8c Abs. 1 S. 2 und 3 KStG vorläge.

Gemäß § 8c Abs. 1 S. 2 KStG sind bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht genutzte Verluste vollständig nicht mehr abziehbar, wenn innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 50 Prozent des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Körperschaft an einen Erwerber oder diesem nahe stehende Personen übertragen werden oder ein vergleichbarer Sachverhalt vorliegt. Als ein Erwerber im Sinne der Sätze 1 und 2 gilt auch eine Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen (vgl. § 8c Abs. 1 S. 3 KStG).

Der mittelbare Erwerb von 53% der Anteile an der Klägerin durch drei Erwerber erfülle nicht die Voraussetzungen für einen schädlichen Beteiligungserwerb im Sinne des § 8c Abs. 1 S. 2 und 3 KStG, da mangels „gleichgerichteter Interessen“ der Erwerber keine Zusammenrechnung der Anteilserwerbe der drei Erwerber erfolge. Das Tatbestandsmerkmal „gleichgerichtete Interessen“ setze voraus, dass mehrere Erwerber bei und im Hinblick auf den Erwerb von Anteilen an der Verlustgesellschaft zusammenwirken und auch im Anschluss an den Erwerb einen beherrschenden einheitlichen Einfluss bei der Verlustgesellschaft ausüben. Spätestens zum Erwerbszeitpunkt müssten die Erwerber hierfür Abreden im Hinblick auf das spätere gemeinsame Beherrschen der Gesellschaft getroffen haben. Absprachen, die sich lediglich auf den Anteilserwerb „als solchen“ beziehen sowie die rechnerische Beherrschungsmöglichkeit durch verschiedene Erwerber allein könnten nicht hinreichend ein „gemeinsames neues wirtschaftliches Engagement“ der (Erwerber-)Gruppe belegen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Erwerbergruppe kraft gleichgerichteter Interessen läge grundsätzlich bei der Finanzverwaltung. Einen solchen Nachweis habe die Finanzverwaltung im Streitfall nicht erbracht.

Beschwer sog. „Nullbescheide“ und Verlustfeststellungsbescheide im Sinne des § 40 Abs. 2 FGO:
Das FG habe zutreffend die Klage sowohl im Hinblick auf die Körperschaftsteuer- bzw. Gewerbesteuermessbetragsfestsetzungen, die auf jeweils 0 Euro lauten (sog. „Nullbescheide“), als auch im Hinblick auf die gesonderten Feststellungen des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer bzw. des vortragsfähigen Gewerbeverlustes als zulässig erachtet, da jeweils eine Beschwer im Sinne des § 40 Abs. 2 FGO vorläge.

Aufgrund der im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2010 geschaffenen Regeln (vgl. § 31 Abs. 1 S. 1 KStG i.V.m. § 10d Abs. 4 S. 4 EStG bzw. nach § 35b Abs. 2 S. 2 GewStG) würde eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheids an den Steuerfestsetzungsbescheid und folglich eine sachliche Beschwer bewirkt, die den Steuerpflichtigen auch bei Vorliegen eines Nullbescheids zur Anfechtung berechtige (siehe auch BFH-Urteile vom 07.12.2016 und vom 06.12.2016).

Darüber hinaus sei die Klägerin auch durch die Verlustfeststellungsbescheide beschwert, da durch die Anfechtung des Ertragsteuerbescheids der Rechtsschutz des Steuerpflichtigen nicht in jeder Hinsicht sichergestellt sei. Es sei bisher nicht abschließend geklärt, in welchem Verfahren (Steuerfestsetzungs- oder Verlustfeststellungsverfahren) die Entscheidung zur Anwendung des § 8c KStG im Jahr des schädlichen Beteiligungserwerb zu treffen sei. Wenn im Jahr des schädlichen Beteiligungserwerbs ein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte erzielt werde, werde im Rahmen der Steuerfestsetzung nicht verbindlich über die Kürzung des zum 31.12. des Vorjahres festgestellten verbleibenden Verlustvortrags entschieden.

Betroffene Normen

§ 8c Abs. 1 S. 3 KStG, § 10d Abs. 4 S. 4 u. 5 EStG, § 35b Abs. 2 S. 2 u. 3 GewStG, § 40 Abs. 2 FGO
Streitjahr 2010

Anmerkungen

Verfassungswidrigkeit des § 8c S. 1 KStG a.F. bzw. § 8c Abs. 1 S. 1 KStG:
Mit am 12.05.2017 veröffentlichten Beschluss vom 29.03.2017 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden, dass § 8c S. 1 KStG a.F. bzw. § 8c Abs. 1 S. 1 KStG – wonach nicht genutzte Verluste einer Kapitalgesellschaft anteilig wegfallen, wenn innerhalb von fünf Jahren mehr als 25 % und bis zu 50 % der Anteile an einen Erwerber übertragen werden (schädlicher Beteiligungserwerb) verfassungswidrig ist (siehe Deloitte Tax News).

Beschwer sog. Nullbescheide:
Die mit dem Jahressteuergesetz 2010 geschaffenen Regeln (vgl. § 10d Abs. 4 S. 4f. EStG bzw. § 35 Abs. 2 S. 2f. GewStG) sind gemäß § 52 Abs. 25 S. 5 EStG bzw. § 36 Abs. 10 S. 1 GewStG erstmals für Verluste, für die nach dem 13.12.2010 eine Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags abgegeben wird, anzuwenden.

Sofern die Erklärungen zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags bis zum 13.12.2010 abgegeben worden sind, ist ein Einspruch gegen den Nullbescheid mangels Beschwer unzulässig (vgl. BFH v. 09.12.1998, XI R 62/97; OFD Frankfurt a.M. v. 22.08.2016, Rn. 14). Anzufechten ist allein der jeweilige Verlustfeststellungsbescheid (vgl. OFD Frankfurt a.M. v. 22.08.2016, Rn. 13).

Der BFH hat mit seinen Urteilen vom 07.12.2016 und vom 06.12.2016 (siehe Deloitte Tax News) entschieden, dass – sofern die o.g. Neuregelungen des Jahressteuergesetzes 2010 zur Anwendung kommen – die Anfechtung des Nullbescheids zulässig sein kann. Im oben dargestellten Urteil bejaht der BFH zusätzlich die Zulässigkeit der Anfechtung der Verlustfeststellungsbescheide, wenn eine Entscheidung über die Anwendung des § 8c KStG zu treffen ist.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 22.11.2016, I R 30/15, BStBl II 2017 Seite 921

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 07.12.2016, I R 76/14, siehe Deloitte Tax News 
BFH, Urteil vom 06.12.2016, I R 79/15, siehe Deloitte Tax News 

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