Sieht die Satzung der Organgesellschaft für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung generell eine qualifizierte Mehrheit vor, muss der Organträger über eine entsprechend qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte verfügen, um die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung zu erfüllen. Die Rechtsprechung zur umsatzsteuerlichen Organschaft, wonach eine Organschaft unter Umständen auch schon bei 50 % der Stimmrechte gegeben sein kann, ist nicht auf die körperschaftsteuerliche Organschaft übertragbar.
Streitig ist, ob zwischen einer vermeintlichen Organträgerin (OT), einer GmbH, und einer vermeintlichen Organgesellschaft (OG), ebenfalls eine GmbH, eine körperschaftsteuerliche Organschaft bestand. Die OT war zu 79,8 % an der OG beteiligt. Die übrigen Anteile hielten C (zu 10,2 %) und D (zu 10 %). Der Gesellschaftsvertrag der OG enthielt u.a. ein qualifiziertes Stimmenmehrheitserfordernis, welches für Beschlüsse der Gesellschaft eine Mehrheit von 91 % aller in der Gesellschafterversammlung anwesenden Stimmen voraussetzt. 2013 schlossen OT und OG einen Gewinnabführungsvertrag (EAV), dem sämtliche Gesellschafter der OG mit notarieller Urkunde vom gleichen Tag zustimmten.
Finanzamt und FG waren der Auffassung, dass die Voraussetzungen einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft mangels finanzieller Eingliederung nicht erfüllt seien und die abgeführten Gewinne als verdeckte Gewinnausschüttungen zu behandeln seien.
Der BFH schließt sich der Entscheidung des FG an, dass eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft i.S.d. §§ 14, 17 KStG wegen fehlender finanzieller Eingliederung nicht bestand.
Gesetzliche Grundlagen: Körperschaftsteuerliche Organschaft i.S.d. § 14 KStG
Voraussetzung für die Anerkennung einer körperschaftsteuerlichen Organschaft ist u.a., dass der OT an der OG vom Beginn ihres Wirtschaftsjahres an ununterbrochen in einem solchen Maße beteiligt sein, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte an der OG zusteht (finanzielle Eingliederung i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1 KStG).
„Mehrheit der Stimmrechte“ als Voraussetzung der finanziellen Eingliederung
Für die finanzielle Eingliederung ist also auf die "Mehrheit der Stimmrechte" abzustellen. Grundsätzlich reicht hierfür die einfache Mehrheit der Stimmrechte aus. Sofern dies nicht mit einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums verbunden ist, wird die erforderliche Stimmenmehrheit grundsätzlich auch nicht durch schuldrechtliche Vereinbarungen über die Stimmrechte wie Stimmbindungsverträge und Stimmrechtsvollmachten beeinflusst (vgl. BFH, Urteil vom 10.05.2017, I R 51/15).
Sieht die Satzung der OG für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung eine (höhere) qualifizierte Mehrheit vor, muss der OT aber zumindest in denjenigen Fällen, in denen die qualifizierte Mehrheit generell erforderlich ist, nicht nur über eine einfache Mehrheit, sondern über eine entsprechend qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte verfügen, um die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung zu erfüllen. Zwar könnte der Wortlaut des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KStG ("Mehrheit der Stimmrechte") dafür sprechen, entsprechend der gesellschaftsrechtlichen Grundnormen (§ 133 Abs. 1 AktG, § 47 Abs. 1 GmbHG) in jedem Fall eine einfache Mehrheit der Stimmrechte ausreichen zu lassen. Der Gesetzgeber hat aber bewusst auf die Mehrheit der Stimmrechte und nicht auf die Mehrheit der Anteile abgestellt, da es bei dem Kriterium der finanziellen Eingliederung um eine kapitalmäßige Verflechtung zwischen OT und OG gehe, die den OT in die Lage versetze, tatsächlich das Geschehen in der OG zu bestimmen.
Verweis auf umsatzsteuerrechtliche Prinzipien zur finanziellen Eingliederung
Vor diesem Hintergrund verweist der BFH auf seine bisherige Rechtsprechung zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft. Dort setzt die finanzielle Eingliederung grundsätzlich voraus, dass der OT in der Weise an der OG beteiligt sein muss, dass er seinen Willen in der Gesellschafterversammlung durch Mehrheitsbeschluss durchsetzen kann (vgl. BFH, Urteile vom 22.11.2001, V R 50/00, vom 15.12.2016, V R 14/16 und vom 10.05.2017, I R 51/15). Demnach sind auch von den Mehrheitserfordernissen der § 133 Abs. 1 AktG und § 47 Abs. 1 GmbHG abweichende Satzungsbestimmungen zu berücksichtigen.
Die neuere Rechtsprechung des BFH, wonach eine Willensdurchsetzung auch bei nur 50 % der Stimmrechte möglich sei, beruhe dagegen auf einer Gesamtbetrachtung von finanzieller, organisatorischer und wirtschaftlicher Eingliederung, die nicht auf die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft übertragbar ist (vgl. BFH, Urteil vom 18.01.2023, XI R 29/22 (XI R 16/18)).
Anwendung auf den Streitfall
Danach fehlte der OT die für eine finanzielle Eingliederung erforderliche qualifizierte Stimmenmehrheit. Zwar hielt sie 79,8 % der Anteile an der OG, sodass ihr die einfache Mehrheit der Stimmrechte zustand. Dem Gesellschaftsvertrag zufolge war für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung aber generell eine Mehrheit von 91 % aller in der Gesellschafterversammlung anwesenden Stimmen erforderlich. Über diese qualifizierte Mehrheit verfügte die OT nicht.
§ 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KStG, § 17 KStG
Streitjahr 2014 bis 2016
Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 24.11.2020, 6 K 3291/19 F, EFG 2021, S. 228, siehe Deloitte Tax News
BFH, Urteil vom 09.08.2023, I R 50/20
BFH, Urteil vom 18.01.2023, XI R 29/22 (XI R 16/18), siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 10.05.2017, I R 51/15, BStBl. II 2018, S. 30, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 10.05.2017, I R 19/15, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 15.12.2016, V R 14/16, BStBl. II 2017, S. 600, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 22.11.2001, V R 50/00, BStBl. II 2002, S. 167
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