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10.02.2012
Private Einkommensteuer

FG Münster: Kosten für Erststudium sind Sonderausgaben

Mit Beschluss vom 17.07.2014 hat der BFH das Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes verfassungswidrig ist, wovon der BFH ausgeht.
BFH, Beschluss vom 17.07.2014, VI R 8/12,  siehe Deloitte Tax-News
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FG Münster:
Aufwendungen für ein Erststudium sind nicht als Werbungskosten, sondern als Sonderausgaben abzugsfähig, wenn das Studium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet. Sie sind nicht zwangsläufig beruflich veranlasst, weil ein unmittelbarer Anknüpfungspunkt des Studiums an eine spätere Berufstätigkeit fehlt. Die durch das BeitrRLUmsG eingeführten ab 01.01.2004 geltenden Neuregelungen sind verfassungsgemäß und enthalten keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung.

Sachverhalt

Der Kläger studierte nach seinem Abitur in den Jahren 2002 bis 2008 internationale Betriebswirtschaftslehre. Der Studiengang sah eine enge Verzahnung zwischen Theorie und Praxis vor und beinhaltete zwei Auslandssemester in Australien sowie drei Praktika. Im Anschluss an sein am 04.07.2008 erfolgreich abgeschlossenes Studium erhielt der Kläger zum 01.11.2008 eine Festanstellung. Im Rahmen seiner Einkommensteuer-Erklärung für das Jahr 2007 erklärte der Kläger bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 1.612 Euro und Werbungskosten (für Computer, Fachliteratur, Studiengebühren, Zimmermiete, Verpflegungsmehraufwand Auslandssemester und Flug Australien) in Höhe von 19.528,30 Euro. Das Finanzamt berücksichtigte bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit als Werbungskosten lediglich den Arbeitnehmer-Pauschbetrag i. H. v. 920 Euro, nicht aber die geltend gemachten Werbungskosten. Die durch den Studienaufenthalt in Australien entstandenen Aufwendungen berücksichtigte das Finanzamt nur i. H. v. 4.000 Euro als Sonderausgaben (Berufsausbildungskosten). Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben. Im Hinblick auf die neue BFH-Rechtsprechung seien Aufwendungen für ein Erststudium als vorab entstandene Werbungskosten anzuerkennen. Der erforderliche Veranlassungszusammenhang der Studienkosten mit künftigen Einnahmen sei gegeben.

Entscheidung

Das Finanzamt hat zu Recht die Aufwendungen des Klägers für das Auslandssemester in Australien im Rahmen des Studiums als Sonderausgaben und nicht als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit behandelt.

Bei den Aufwendungen des Klägers für sein Erststudium, das ihm zugleich eine Erstausbildung vermittelt und das nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattgefunden hat, handelt es sich um Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung, die bis zu 4.000 Euro im Kalenderjahr als Sonderausgaben abzugsfähig sind (§ 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der für 2007 geltenden Fassung). Zwar ist der Werbungskostenabzug gegenüber dem Abzug von Aufwendungen als Sonderausgaben vorrangig (Einleitungssatz zu § 10 Abs. 1 EStG, vgl. hierzu auch BFH-Urteile vom 28.07.2011). Dass die vom Kläger getätigten und hier streitigen Aufwendungen jedoch keine (vorweggenommenen) Werbungskosten sind, ist durch das BeitrRLUmsG vom 07.12.2011 ausdrücklich sowie klar und eindeutig angeordnet worden (§§ 12 Nr. 5 i. V. m. 9 Abs. 6 EStG idF des BeitrRLUmsG); diese Vorschriften sind bereits für Veranlagungszeiträume ab 2004 anzuwenden. Damit sind die für das Streitjahr 2007 geltend gemachten Aufwendungen des Klägers Sonderausgaben i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG.

Die Anfügung des § 9 Abs. 6 EStG und die Änderung des § 12 Nr. 5 EStG durch das BeitrRLUmsG gelten auch für die Veranlagungszeiträume 2004 bis 2010, die vor der Verkündung des BeitrRLUmsG liegen, so dass hier eine echte Rückwirkung vorliegt. Diese Rückwirkung ist aber ausnahmsweise verfassungsrechtlich zulässig. Der Gesetzgeber hat mit der Zuordnung der Aufwendungen zu den Sonderausgaben lediglich die Rechtslage rückwirkend festgeschrieben, die bis zur Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BFH-Urteile vom 28.07.2011) der einhelligen Rechtsanwendungspraxis (vgl. z.B. BFH, Urteile vom 17.04.1996 und 16.03.1967) entsprochen hat. Der Kläger hat auch kein schutzwürdiges Vertrauen in die Abzugsfähigkeit seiner Aufwendungen als (vorweggenommene) Werbungskosten bilden können, da schutzwürdiges Vertrauen in eine Rechtslage aufgrund einer höchstrichterlichen Rechtsprechung allenfalls dann entsteht, wenn es sich um eine gefestigte, langjährige Rechtsprechung handelt (BVerfG, Beschluss vom 21.07.2010, 1 BvL 11/06, 1 BvL 12/06, 1 BvL 13/06, 1 BvR 2530/05, BVerfGE 126, 369). Eine gefestigte, langjährige Rechtsprechung existierte hier nicht. Zudem hat der Gesetzgeber seinen Willen, dass Aufwendungen für ein Erststudium, das nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet, nur als Sonderausgaben i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu berücksichtigen sind, noch weit vor dem Streitjahr 2007 kundgetan, und zwar mit dem Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und weiterer Gesetze vom 21.07.2004 (BGBl I 2004, 1753).

Die gesetzlichen Neuregelungen verletzen auch nicht das objektive oder das subjektive Nettoprinzip. Aufwendungen für ein Erststudium, das eine Erstausbildung vermittelt und nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet, sind gemischt veranlasste Aufwendungen, so dass sie nicht zwangsläufig dem objektiven Nettoprinzip unterfallen und der Gesetzgeber sie nicht zum Betriebsausgaben-/Werbungskostenabzug zulassen muss. Sie sind nicht zwangsläufig beruflich veranlasst, weil ein unmittelbarer Anknüpfungspunkt des Studiums an eine spätere Berufstätigkeit fehlt. So können bei den getätigten Aufwendungen auch private Interessen im Vordergrund stehen oder der Steuerpflichtige übt den mit dem Studium angestrebten Beruf möglicherweise schließlich gar nicht aus bzw. für die spätere berufliche Tätigkeit wären die getätigten Aufwendungen in dem erfolgten Umfang nicht notwendig gewesen. Der Gesetzgeber hat mit der generalisierenden Zuweisung der Aufwendungen zum Bereich der Sonderausgaben eine Wertung vorgenommen, die im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums liegt. Sie führt zu mehr Steuergerechtigkeit, da die Abgrenzung zwischen Fällen mit einem zur späteren Berufstätigkeit vordergründig bestehendem Veranlassungszusammenhang und Fällen ohne eines solchen Veranlassungszusammenhangs schwierig ist. Die Revision wurde zuzulassen.

Betroffene Norm

§ 9 Abs. 6 EStG idF des BeitrRLUmsG, § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG
Streitjahr 2007

Fundstellen

BFH, Beschluss vom 17.07.2014, VI R 8/12, siehe Deloitte Tax-News
Pressemitteilung (BFH)
Finanzgericht Münster, Urteil vom 20.12.2011, 5 K 3975/09 F

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 28.07.2011, VI R 7/10, BFH/NV 2011, S. 1779
BFH, Urteil vom 28.07.2011, VI R 38/10, BFH/NV 2011, S. 1782, siehe Deloitte Tax-News 
BFH, Urteil vom 17.04.1996, VI R 94/94, BStBl II 1996, S. 450
BFH, Urteil vom 16.03.1967, IV R 266/66, BStBl III 1967, S. 723
BVerfG, Beschluss vom 21.07.2010, 1 BvL 11/06, 1 BvL 12/06, 1 BvL 13/06, 1 BvR 2530/05, BVerfGE 126, S. 369

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