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18.03.2011
Private Einkommensteuer

BFH: Aufgabe der Vervielfältigungstheorie für sonstige selbständige Arbeit

Sachverhalt

Zwei zu einer Gesellschaft (Klägerin) zusammengeschlossene Rechtsanwälte waren als Insolvenzverwalter tätig. Die Klägerin beschäftigte in den Jahren 1995 bis 2002 durchschnittlich zwischen 5 und 12 Vollzeit-Mitarbeiter, denen im Wesentlichen Zuarbeiten in Insolvenzverfahren, die Ausstellung von Insolvenz-Bescheinigungen, die Mietüberwachung in der Zwangsverwaltung, Buchhaltungsaufgaben, Lohnangelegenheiten, Büroarbeiten und Botendienste übertragen wurden. Die Kläger rechneten ihre Tätigkeit zur Berufstätigkeit eines Rechtsanwalts und damit zur freiberuflichen Tätigkeit i. S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Das Finanzamt ordnete die Einkünfte hingegen als Einkünfte aus Gewerbebetrieb ein und setzte Gewerbesteuermessbeträge fest.

Entscheidung

Die Einkünfte der Klägerin aus Insolvenzverwaltertätigkeit sind solche aus sonstiger selbständiger Arbeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG und nicht gewerbesteuerpflichtig.

Die Tätigkeit eines Insolvenz-, Zwangs- und Vergleichsverwalters ist nach der BFH-Rechtsprechung eine vermögensverwaltende i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG und keine freiberufliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG (BFH-Urteile vom 29.03.1961, 05.07.1973, 11.05.1989). Der für alle Berufe i.S. des § 18 EStG entwickelten Vervielfältigungstheorie des RFH liegt zugrunde, dass die selbständige Arbeit grundsätzlich persönlich, d.h. ohne die Mithilfe fachlich vorgebildeter Hilfskräfte, ausgeübt werden muss (BFH-Urteile vom 13.05.1966, 25.11.1970, 11.08.1994). Der Gesetzgeber hatte sich davon bereits 1960 gelöst und in § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG geregelt, dass eine freiberufliche Tätigkeit auch dann gegeben ist, wenn ein Freiberufler fachlich vorgebildete Arbeitskräfte einsetzt, sofern er aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig bleibt. Für Einkünfte aus sonstiger selbständiger Arbeit i. S. von § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG hatte die bisherige Rechtsprechung hingegen an der Vervielfältigungstheorie festgehalten, so dass derartige Tätigkeiten - wie die Insolvenzverwaltung - grundsätzlich ohne die Mithilfe fachlich vorgebildeter Hilfskräfte ausgeübt werden mussten, um die Gewerbesteuerpflicht zu vermeiden. An dieser Rechtsprechung hält der Senat nach erneuter Prüfung nicht mehr fest. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die Zulässigkeit des Einsatzes fachlich vorgebildeter Mitarbeiter für die verschiedenen Arten von selbständiger Arbeit habe unterschiedlich beurteilt sehen wollen.

Die für Insolvenzverwalter und Zwangsverwalter als Vermögensverwalter zulässige Mitarbeit fachlich Vorgebildeter setzt voraus, dass der Berufsträger weiterhin seinen Beruf leitend und eigenverantwortlich ausübt. Diesem Erfordernis entspricht eine Berufsausübung nur, wenn sie über die Festlegung der Grundzüge der Organisation und der dienstlichen Aufsicht hinaus durch Planung, Überwachung und Kompetenz zur Entscheidung in Zweifelsfällen gekennzeichnet ist und die Teilnahme des Berufsträgers an der praktischen Arbeit in ausreichendem Maße gewährleistet. Ob diese Voraussetzungen unter Berücksichtigung der jeweiligen Arbeitsorganisaton einer Insolvenzverwalter- oder Zwangsverwalterpraxis wie auch der Zahl der betreuten Verfahren und der Zahl qualifizierter Mitarbeiter vorliegen, ist eine Frage der Tatsachenfeststellung und -würdigung, die den Finanzgerichten als Tatsacheninstanz obliegt. Diese Würdigung ist jeweils nach den tatsächlichen Verhältnissen des Einzelfalls und den Besonderheiten des jeweiligen Berufs vorzunehmen.

Es kann nicht allein aus der Anzahl der für einen Insolvenzverwalter tätigen Hilfspersonen abgeleitet werden, inwieweit der Insolvenzverwalter seine Aufgaben selbständig und höchstpersönlich wahrnimmt. Dies gilt umso mehr, als die Insolvenzverwaltertätigkeit als kaufmännisch-praktische Aufgabe (BFH-Urteil vom 29.03.1961) weniger durch einen "persönlichen Dienst am Kunden" als vielmehr durch eine Vielzahl von Einzelgeschäften und einen dadurch bedingten hohen Mitarbeitereinsatz geprägt wird. Deshalb hat ein Insolvenzverwalter die erforderlichen höchstpersönlichen Organisations- und Entscheidungsleistungen im Regelfall selbst bei einer Mehrzahl beschäftigter qualifizierter Personen erbracht, wenn er über das "Ob" der einzelnen Abwicklungsmaßnahmen in jedem der von ihm betreuten Verfahren entschieden hat. Nach diesen Grundsätzen ist nach Maßgabe der tatsächlichen Feststellungen des FG die im Streitfall ausgeübte Insolvenzverwaltertätigkeit ebenso wie die Zwangsverwaltertätigkeit als (sonstige) selbständige Arbeit i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG zu beurteilen.

Betroffene Norm

§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG, § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG
Streitjahre 1998 bis 2002

Vorinstanz

Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 18.08.2009, 13 K 47/06

Fundstelle

BFH, Urteil vom 15.12.2010, VIII R 50/09, BStBl II 2011, S. 506

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 29.03.1961, IV 404/60 U, BStBl III 1961, S. 306
BFH, Urteil vom 05.07.1973, IV R 127/69, BStBl II 1973, S. 730
BFH, Urteil vom 11.05.1989, IV R 152/86, BStBl II 1989, S. 729
BFH, Urteil vom 13.05.1966, VI 63/64, BStBl III 1966, S. 489
BFH, Urteil vom 25.11.1970, I R 123/69, BStBl II 1971, S. 239
BFH, Urteil vom 11.08.1994, IV R 126/91, BStBl II 1994, S. 936 
BFH, Urteil vom 26.01.2011, VIII R 3/10 
BFH, Urteil vom 26.01.2011, VIII R 29/08, BFH/NV 
BFH, Urteil vom 15.12.2010, VIII R 37/09, BFH/NV 
BFH, Urteil vom 15.12.2010, VIII R 13/10, BFH/NV 
BFH, Urteil vom 15.12.2010, VIII R 12/10, BFH/NV

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