Für den Nachweis einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit i.S.d. § 8 Abs. 2 AStG ist die Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr eines anderen Mitgliedstaates, der tatsächlichen Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in diesem Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit sowie der Feststellung dieser Voraussetzungen anhand objektiver, nachprüfbarer Anhaltspunkte maßgeblich. Die Teilnahme am Absatzmarkt ist nicht erforderlich.
Die Klägerin, eine Kapitalgesellschaft, hielt 99,995% der Anteile der M N.V. (NV), einer Kapitalgesellschaft nach belgischem Recht mit Sitz in Belgien. NV agierte als Holding- und Managementgesellschaft und hielt ausländische und inländische Unternehmensbeteiligungen. Die Geschäftstätigkeit der NV umfasste die Vergabe von Darlehen an andere Konzerngesellschaften und an Dritte sowie den An- und Verkauf von Beteiligungen.
In den Streitjahren erzielte die NV Zinserträge aus Darlehenshingaben, Erträge aus der Erbringung von Beratungsleistungen und Erträge aus Finanzanlagen. Aufgrund von Besonderheiten des belgischen Steuerrechts wurde in den Streitjahren gegenüber der NV keine Ertragsteuer festgesetzt. Die NV mietete für die Ausübung ihrer Geschäftstätigkeiten in Belgien einen Raum mit einer Größe von ca. 15 20qm an und besaß eigene Telefon- und Faxanschlüsse sowie E-Mailadressen und Büroausstattung. Die Geschäfte der NV wurden durch vier Verwaltungsratsmitglieder geführt, einem belgischen und drei deutschen.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung war das Finanzamt der Auffassung, dass die von der NV erzielten Zinserträge Zwischeneinkünfte i.S.v. §§ 7 ff. AStG darstellen und auf Ebene der deutschen Muttergesellschaft der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen.
Entgegen der Auffassung des Finanzamts kommt das FG zur Entscheidung, dass die Voraussetzungen für eine Hinzurechnungsbesteuerung nicht vorliegen.
Gesetzliche Grundlagen: Hinzurechnungsbesteuerung
Sind unbeschränkt Steuerpflichtige an einer ausländischer Körperschaft zu mehr als der Hälfte beteiligt, sind gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 AStG die Einkünfte, für die diese Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, bei jedem von ihnen mit dem Teil steuerpflichtig, der auf die ihm zuzurechnende Beteiligung am Nennkapital der Gesellschaft entfällt.
Voraussetzungen einer Zwischengesellschaft i.S.d. § 8 Abs. 1 AStG sind erfüllt
Gemäß § 8 Abs. 1 AStG ist eine ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft für Einkünfte, die einer niedrigen Besteuerung unterliegen und nicht aus bestimmten, abschließend genannten Tätigkeiten stammen. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Die NV hat in den Streitjahren Einkünfte erzielt, die in Belgien einer niedrigen Besteuerung unterlegen haben. Die in § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 9 AStG abschließend aufgezählten (aktiven) Tätigkeiten sind bei einer funktionalen Betrachtung der Tätigkeit der NV nicht einschlägig. Selbst bei einer Segmentierung der Tätigkeiten der NV in eine Holding-, Kreditvergabe-, Beratungs- und Veräußerungstätigkeit ist kein Ausschlusstatbestand des § 8 Abs. 1 AStG hinsichtlich der Zinserträge erfüllt.
Nachweis der tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nach § 8 Abs. 2 AStG ist gelungen
Jedoch ist der Klägerin hinsichtlich der im Streitfall relevanten Einkünfte der NV der Nachweis nach § 8 Abs. 2 AStG gelungen. Gemäß § 8 Abs. 2 S. 1 AStG ist ungeachtet des § 8 Abs. 1 AStG eine Gesellschaft, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union hat, nicht Zwischengesellschaft für Einkünfte, für die unbeschränkt Steuerpflichtige, die i.S.d. § 7 Abs. 2 oder Abs. 6 AStG an der Gesellschaft beteiligt sind, nachweisen, dass die Gesellschaft insoweit einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Staat nachgeht.
Wann eine ausländische Gesellschaft einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Staat nachgeht, ist im Gesetz nicht definiert. Ausweislich der Gesetzesbegründung zum Jahressteuergesetz 2008 (vgl. BT-Drs. 16/6290, S. 92) seien die folgende Kriterien relevant: eine stabile und kontinuierliche Teilnahme am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaates (Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr), eine tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in dem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit und Feststellung dieser Voraussetzungen anhand objektiver, von dritter Seite nachprüfbarer Anhaltspunkte; dabei kann die Teilnahme am Wirtschaftsleben auch gegenüber einem verbundenen Unternehmen erfolgen (vgl. BFH-Urteil vom 13.06.2018, I R 94/15 und EuGH-Urteil vom 12.09.2006, C-196/04 „Cadburry Schweppes“).
Nach dem FG hat die NV unter Berücksichtigung der Gesamtumstände in den Streitjahren aktiv, ständig und nachhaltig im Rahmen ihrer Eigenschaft als Holding- und Managementgesellschaft am Wirtschaftsleben in Belgien teilgenommen, über entsprechend qualifiziertes Personal und geeignete Geschäftsräume und damit über genügend wirtschaftliche „Substanz“ verfügt und ihre Einkünfte aus eigener (Holding-)Tätigkeit erzielt.
Keine Teilnahme am Absatzmarkt erforderlich
Das FG hebt hervor, dass es dabei nicht erforderlich ist, dass die NV (auch) an dem Absatzmarkt in Belgien teilnimmt. Der Leistungsaustausch zwischen der ausländischen Gesellschaft und dem Markt ihres Aufnahmemitgliedstaats ist nicht auf den dortigen Absatzmarkt beschränkt. Vielmehr genüge es, wenn sich die ausländische Gesellschaft lediglich an den Beschaffungsmarkt wendet, beispielsweise – wie hier - zur Anmietung der festen Geschäftseinrichtung. Dies folge bereits aus dem Sinn und Zweck der Niederlassungsfreiheit. Die Niederlassungsfreiheit werde sowohl demjenigen gewährt, der sich in einen anderen Mitgliedstaat begibt, um auf dem dortigen räumlichen Markt seine Produkte abzusetzen, als auch demjenigen, der aus den beschaffungsseitig zur Verfügung gestellten Ressourcen des betreffenden Mitgliedstaates einen Nutzen ziehen wolle (vgl. EuGH-Urteil vom 21.11.2002, C-436/00 „X und Y“).
Für das FG ist auch nicht ersichtlich, dass es sich bei der Tätigkeit der NV um eine rein künstliche Briefkasten- bzw. rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltung handelt. Zwar habe sich der Umfang der Tätigkeiten über die Jahre geändert, der Inhalt der Tätigkeit sei seit Gründung der NV jedoch vergleichbar geblieben.
§ 8 Abs. 1 AStG, § 8 Abs. 2 AStG
Streitjahre: 2011-2017
Finanzgericht Münster, Urteil vom 06.02.2024, 2 K 842/19 F, BFH-anhängig: IX B 35/24
Rechtsentwicklung des § 8 Abs. 2 AStG/ Einordnung des Urteils:
Mit dem Jahressteuergesetz 2008 vom 20.12.2007 (BGBl. I 2007, S. 3150) wurde die Vorschrift § 8 Abs. 2 AStG eingeführt. Mit dieser Vorschrift wurde die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-196/04 (Cadbury Schweppes) umgesetzt. Die Vorschrift schließt die Hinzurechnungsbesteuerung für inländisch beherrschte Gesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens aus, wenn die Gesellschaft eine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit ausübt und der Steuerpflichtige dies nachweist.
Durch das ATAD-Umsetzungsgesetz vom 25.06.2021 (BGBl. I 2021, S. 2035, siehe Deloitte Tax News) wurde das AStG zwar grundlegend neu gefasst. Der Gesetzgeber hat an der Grundkonzeption des Substanztests allerdings festgehalten und ihn lediglich konkretisiert. Das o.g. Urteil ist zwar noch zur alten Rechtslage (vor ATAD) ergangen, dürfte aber auch für die derzeitige Rechtslage Bedeutung haben.
EuGH, Urteil vom 12.09.2006, C-196/04 „Cadburry Schweppes“, BB 2006, S. 2118
BFH, Urteil vom 18.12.2019, I R 59/17, BStBl. II 2021, S. 270, siehe Deloitte Tax News
BFH, Urteil vom 13.06.2018, I R 94/15, siehe Deloitte Tax News
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Denise Käshammer
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