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25.03.2020
Internationales Steuerrecht

BFH: Verständigungsverfahren nach dem EU-Schiedsübereinkommen ist bei Vorliegen aller Antragsvoraussetzungen zwingend einzuleiten

Die Einleitung eines Verständigungsverfahrensnach dem EU-Schiedsübereinkommen ist obligatorisch, wenn alle Antragsvoraussetzungen vorliegen. Wurde jedoch eine straf- oder bußgeldbewehrte Gesetzesverletzung einer für das Unternehmen verantwortlich handelnden Person gerichtlich festgestellt, besteht für die zuständige Behörde keine Verpflichtung ein Verständigungsverfahren nach dem EU-Schiedsübereinkommen durchzuführen. Dies gilt auch dann, wenn die steuerliche Gewinnberichtigung und der strafgerichtlich festgestellte Verstoß gegen die steuerlichen Vorschriften im Hinblick auf die Besteuerungszeiträume und die Steuerbeträge nicht vollständig übereinstimmen. 

Sachverhalt

Eine in Spanien ansässige Kapitalgesellschaft erbringt Handels- und Marketingdienstleistungen für ihre in Deutschland ansässige Schwestergesellschaft in der Rechtsform einer AG. Die Muttergesellschaft dieser Unternehmen wird von N beherrscht, der auch Geschäftsführer der spanischen Dienstleistungsgesellschaft war. N wurde wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung verurteilt. Der Steuerhinterziehungsvorwurf betraf Körperschaft- und Gewerbesteuererklärungen der AG und beruhte darauf, dass die von der AG an die spanische Schwestergesellschaft gezahlten Vergütungen für die erbrachten Leistungen unangemessen hoch waren. Das Steuerstrafverfahren gegen W, Vorstandsvorsitzende der AG und Ehefrau des N, wurde gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt.

Im Rahmen einer Betriebsprüfung wurden auf Ebene der AG die festgestellten, unangemessen hohen Betriebsausgaben infolge der überhöhten Zahlungen an die spanische Schwestergesellschaft gekürzt. Auf Ebene der spanischen Schwestergesellschaft wurden jedoch auch die aus den als überhöht qualifizierten Zahlungen resultierenden Einnahmen besteuert. Die spanische Kapitalgesellschaft stellte einen Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens nach dem EU-Schiedsübereinkommen (EU-SchÜ) mit dem Ziel die erfolgte Doppelbesteuerung zu beseitigen. Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) lehnte eine Aufnahme des Verfahrens vor dem Hintergrund des gegen N ergangenen Strafbefehls unter Verweis auf Art. 8 Abs. 1 EU-SchÜ ab. Das FG wies die dagegen erhobenen Klagen ab.

Entscheidung

Zunächst stellt der BFH grundsätzlich klar, dass die zuständige Behörde (BZSt) ein Verständigungsverfahren zwingend einzuleiten hat, wenn alle Antragsvoraussetzungen vorliegen. Im konkreten Urteilsfall kommt der BFH aber wie das FG zu dem Schluss, dass das BZSt sich zu Recht auf Art. 8 Abs. 1 EU-SchÜ berufen und die Durchführung eines Verständigungsverfahrens ermessensfehlerfrei abgelehnt hat.

Obligatorischer Charakter des Verständigungsverfahrens nach dem EU-Schiedsübereinkommen

Wie sich aus dem im Schiedsübereinkommen geregelten Ablauf des Verständigungs- und Schlichtungsverfahren (vgl. insbesondere Art. 12 Abs. 1 EU-SchÜ) und im Umkehrschluss aus Art. 8 Abs. 1 EU-SchÜ ergebe, führe dieses Verfahren im Ergebnis zwingend zur Beseitigung der Doppelbesteuerung. Diesem obligatorischen Charakter würde es nach Ansicht des BFH widersprechen, wenn die Durchführung des Verfahrens im Ermessen der zuständigen Behörden stehen würde.

Ausnahme: empfindlich zu bestrafender Verstoß gegen steuerliche Vorschriften

Nach Art. 8 Abs. 1 EU-SchÜ ist die zuständige Behörde eines Vertragsstaats zur Einleitung des Verständigungsverfahrens nicht verpflichtet, wenn durch ein Gerichts- oder Verwaltungsverfahren endgültig festgestellt ist, dass eines der beteiligten Unternehmen durch Handlungen, die eine Gewinnberichtung gemäß Art. 4 EU-SchÜ zur Folge haben, einen empfindlich zu bestrafenden Verstoß gegen steuerliche Vorschriften begangen hat. Die Bundesrepublik Deutschland hat erklärt, dass jeder Verstoß gegen die Steuergesetze, der mit Freiheitsstrafe, Geldstrafe oder Bußgeld geahndet wird, einen empfindlich zu bestrafenden Verstoß darstellt. Nach Auffassung des BFH genügt für die Anwendung des Art. 8 Abs. 1 EU-SchÜ die Verurteilung einer bei der Ausführung der Tat für das Unternehmen verantwortlich handelnden Person. Dass in einem solchen Fall keine Verpflichtung zur Verfahrensdurchführung besteht, bedeute indes nicht, dass die Entscheidung über die Verfahrensdurchführung im freien Belieben der zuständigen Behörde stehen würde; diese habe vielmehr nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermessensnorm seien im Streitfall durch die rechtskräftige Verurteilung des N wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung erfüllt.

Als Täter der Steuerhinterziehung komme nach den Feststellungen des FG nur W als Organ (Vorstandsvorsitzende) der AG in Betracht. Auch wenn wegen der geringen Schuld der W von einer weiteren Strafverfolgung abgesehen wurde, läge dennoch eine strafgerichtliche Feststellung vor, dass die für die AG handelnde Person einen strafbewehrten Verstoß gegen die Steuergesetze begangen habe, zu dem N Beihilfe geleistet habe. Auf die konkrete Sanktionierung der Straftat komme es indessen nicht an.

Kein Übereinstimmungserfordernis zwischen Gewinnberichtigung und strafgerichtlichem Verstoß im Hinblick auf Zeiträume und Steuerbeträge

Nach Ansicht des BFH ist es für die Anwendbarkeit des Art. 8 Abs. 1 EU-SchÜ unerheblich, ob die steuerliche Gewinnberichtigung und der strafgerichtlich festgestellte Verstoß gegen die steuerlichen Vorschriften im Hinblick auf die Zeiträume und die Steuerbeträge vollständig übereinstimmen. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 EU-SchÜ. Die Regelung setze lediglich voraus, dass mit einer Handlung, die die Gewinnberichtigung zur Folge hat, auch ein zu bestrafender Verstoß gegen steuerliche Vorschriften begangen wurde. Dies sei im Streitfall gegeben. 

Betroffene Norm

Art. 8 Abs. 1 EU-SchÜ

Streitjahr 2010

Praxishinweise

Das Urteil ist von hoher praktischer Relevanz, da der BFH darin eindeutig feststellt, dass das BZSt grundsätzlich dazu verpflichtet (!) ist, ein Verständigungsverfahren nach der EU-Schiedskonvention durchzuführen, wenn alle Antragsvoraussetzungen vorliegen. Damit ist dem Steuerpflichtigen die Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der EU garantiert, sofern er die inhaltlichen (insbesondere: Verstoß gegen den Fremdvergleichsgrundsatz) sowie formalen Antragsvoraussetzungen (z.B. Antragsfrist) erfüllt. Diese klare Feststellung des BFH ist in der heutigen Zeit, in der Verrechnungspreise das Hauptstreitthema in Betriebsprüfungen darstellt und es immer häufiger zu Doppelbesteuerung kommt, eine nicht zu unterschätzende und bedeutende Versicherung, dass es innerhalb der EU am Ende zu keiner dauerhaften Doppelbesteuerung kommt.

Der Klägerin half im zu entscheidenden Sachverhalt diese grundsätzliche Feststellung jedoch nicht. Keine Verpflichtung zur Einleitung eines Verständigungsverfahrens besteht gemäß Art. 8 der EU-Schiedskonvention nämlich für den Fall, dass die entstandene Doppelbesteuerung mit der Begehung einer Steuerstraftat im Zusammenhang steht, für die eines der beteiligten Unternehmen verurteilt worden ist (Art 8 Abs. 1 EU-SchÜ). Der BFH stellt hierzu fest, dass die Auslegung eines solchen Einleitungshindernisses sich aus den jeweiligen einseitigen Erklärungen der Vertragsstaaten ergibt und dass jeder der beiden betroffenen Vertragsstaaten für sich entscheiden kann, ob ein solcher empfindlich zu bestrafender Verstoß gegen die Steuergesetze begangen worden ist.

Der BFH folgt des Weiteren auch der in der Literatur vertretenen weiten Auslegung des Ausschlusskriteriums dahingehend, dass nicht das beteiligte Unternehmen selbst steuerstrafrechtlich verurteilt sein muss, sondern es für die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 EU-SchÜ ausreicht, dass eine Person verurteilt wurde, die bei Tatausübung für das Unternehmen gehandelt hat.

Die Entscheidung über die Nichteinleitung eines Verständigungsverfahrens wegen eines solchen "empfindlich zu bestrafenden Verstoßes gegen steuerliche Gesetze" steht im pflichtgemäßen Ermessen (§ 5 AO) der Finanzbehörde.

Vorinstanz

Finanzgericht Köln, Urteil vom 18.01.2017, 2 K 930/13, EFG 2017, S. 715

Fundstelle

BFH, Urteil vom 25.09.2019, I R 82/17

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