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06.09.2016
Indirekte Steuern/Zoll

EuGH: Unter bestimmten Umständen keine Einfuhrumsatzsteuer trotz entstandener Zollschuld

Die Verletzung zollrechtlicher Pflichten bei Nicht-Unionswaren in besonderen Zollverfahren führt automatisch zur Entstehung von Zoll und grundsätzlich auch Einfuhrumsatzsteuer (EUSt). Der EuGH hat nun entschieden, dass keine EUSt entsteht, wenn feststeht, dass die Waren wegen Wiederausfuhr keinen Eingang in den Wirtschaftskreislauf der EU gefunden haben.

Sachverhalt

Bei den betroffenen Unternehmen der Ausgangsfälle befanden sich Nicht-Unionswaren im Zolllager- bzw. im externen Versandverfahren. In beiden Fällen wurden die Waren unstreitig aus der EU wiederausgeführt und die Zollverfahren beendet. Erst nach der Wiederausfuhr stellten die Zollbehörden fest, dass die Unternehmen im Rahmen der Abwicklung und Dokumentation jeweils bestimmte zollrechtliche Verpflichtungen nicht eingehalten hatten. Sie erließen daher Abgabenbescheide über die entstandenen Zoll- und Einfuhrumsatzsteuerschulden. Die Unternehmen akzeptierten zwar die Einfuhrzölle, wandten sich jedoch gegen die festgesetzte Einfuhrumsatzsteuer. Sie argumentierten, dass sich die Waren – trotz der Verstöße gegen die Verfahrensvorschriften – bis zu deren Wiederausfuhr durchgehend unter zollamtlicher Überwachung befunden hätten und somit ausgeschlossen werden könne, dass sie Eingang in den Wirtschaftskreislauf der EU gefunden hätten. Das zuständige FG Hamburg legte die Verfahren als eine miteinander verbundene Rechtssache dem EuGH vor mit der Frage, ob bei wiederausgeführten Nicht-Unionswaren zwangsläufig Einfuhrumsatzsteuer entsteht, wenn eine Zollschuld ausschließlich auf der Grundlage von Pflichtverstößen nach Art. 79 UZK (früher Art. 204 ZK) entstanden ist.

Entscheidung

Der EuGH wiederholte zunächst seine bisherige Rechtsprechung, wonach die Nichterfüllung zollrechtlicher Pflichten im Rahmen eines besonderen Zollverfahrens stets zur Entstehung (zumindest) der Zollschuld führt – selbst dann, wenn die Waren nachweislich wiederausgeführt wurden.

Dann prüfte er, ob in den vorliegenden Fällen die Voraussetzungen des umsatzsteuerrechtlichen Einfuhr-Begriffes erfüllt waren. Eine Einfuhr erfordert nach Art. 7 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG (heute Art. 61 Mehrwertsteuersystemrichtlinie) einerseits das tatsächliche körperliche Verbringen der Ware in das Zollgebiet der Union, und andererseits, dass die Ware, während sie sich in der Union befindet, keinen Regeln eines besonderen Zollverfahrens (mehr) unterliegt. Letzteres war hier unstreitig nicht der Fall. Die Waren befanden sich jeweils in einem zollrechtlichen (Nichterhebungs-)Verfahren während ihres Aufenthaltes in der EU und damit unter zollamtlicher Überwachung. Die Pflichtverletzungen wurden erst entdeckt, nachdem die Waren die EU schon wieder verlassen hatten. Es konnte im vorliegenden Fall ausgeschlossen werden, dass die Waren Eingang in den Wirtschaftskreislauf der EU finden konnten. Dementsprechend verneinte er das Vorliegen einer Einfuhr im umsatzsteuerrechtlichen Sinne und damit das Entstehen der Einfuhrumsatzsteuer.

Betroffene Normen

Artikel 79 Unionszollkodex
Artikel 204 Zollkodex

Anmerkungen

Die dem Urteil zugrundeliegende Fallkonstellation betrifft in der Praxis häufig Logistikunternehmen. Aus ihrer Sicht ist die jüngste Entscheidung zu begrüßen, weil sie das Risiko reduziert, bei zollrechtlichen Pflichtverletzungen neben den Einfuhrzöllen auch noch Einfuhrumsatzsteuer zu schulden. Jedoch betraf das Urteil des EuGH nur einen Ausnahmefall. Das entscheidende Kriterium ist, dass im konkreten Fall die zollamtliche Überwachung der Waren uneingeschränkt gesichert war und daher keine Gefahr bestand, dass die Waren in den Wirtschaftskreislauf der EU gelangen konnten. Dies ist nach Auffassung des EuGH zumindest dann möglich, wenn die Waren noch vor Entdeckung des Verstoßes wiederausgeführt wurden. Wenn die Voraussetzung der dauerhaften zollamtlichen Überwachung nicht unstreitig gegeben ist, muss auch in Zukunft von der „automatischen“ Entstehung auch der Einfuhrumsatzsteuer ausgegangen werden.

Obwohl das Urteil nicht ohne weiteres verallgemeinert werden kann, stellt sich dennoch die praktisch sehr relevante Frage, ob die Argumentation des EuGH auch in ähnlich gelagerten Konstellationen zur Vermeidung der Einfuhrumsatzsteuer angeführt werden kann. Denn der Gerichtshof begründet seine Entscheidung mit dem umsatzsteuerrechtlichen Einfuhr-Begriff. Konsequenterweise müsste dann aber die umsatzsteuerliche Einfuhr auch dann zu verneinen sein, wenn bei Entdeckung der Pflichtverletzung zwar keine Wiederausfuhr stattgefunden hat, sich die Waren aber nachweislich dauerhaft unter zollamtlicher Überwachung befanden. Somit wäre nämlich ebenfalls sichergestellt, dass die Waren nicht (zwischendurch) in den Wirtschaftskreislauf der EU gelangen konnten. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Rechtsprechung dieser Ansicht in einem vergleichbaren Fall anschließen wird.

Abschließend sei im Hinblick auf die neue Rechtslage nach dem UZK noch erwähnt, dass u.a. für solche Fälle eine „neue“ Heilungsmöglichkeit geschaffen wurde. Nach Art. 124 UZK erlischt nämlich eine Zollschuld, wenn der Verstoß im Sinne von Art. 79 UZK keine erheblichen Auswirkungen auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Zollverfahrens hatte. Entsprechendes wird wohl auch für die Einfuhrumsatzsteuer gelten. Denn gemäß § 21 Absatz 2 UStG sind die Vorschriften über Zölle auf die Umsatzsteuer entsprechend anwendbar.

Fundstelle

EuGH, Urt. v. 2. Juni 2016, C-226/14 und C-228/14

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