Innenleistungen sind nichtsteuerbar. Der EuGH bestätigt das tradierte Rechtsverständnis und führt aus, dass ein Gruppenmitglied kein von der MwSt-Gruppe getrennter Steuerpflichtiger ist. Zu beachten ist, dass das Recht auf Vorsteuerabzug der Gruppe selbst und nicht deren Mitgliedern zusteht.
Das EuGH-Urteil in der Sache Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie (EuGH, Urt. v. 01.12.2022, C‑141/20, Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie, vgl. Deloitte Tax-News) veranlasste den V. BFH-Senat dazu, an der Unionsrechtsmäßigkeit der Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen innerhalb des umsatzsteuerlichen Organkreises zu zweifeln. Nachdem der EuGH bestätigte, dass der Organträger einziger Steuerpflichtiger einer Mehrwertsteuergruppe sein kann, sofern der Organträger seinen Willen bei den anderen Gruppenmitgliedern durchzusetzen kann und keine Gefahr von Steuerverlusten droht (EuGH, Urt. v. 01.12.2022, C-296/20, Finanzamt T; EuGH, Urt. v. 01.12.2022, C-141/20, Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie, vgl. Deloitte Tax-News), stellte der BFH die Unionrechtskonformität der nach innerstaatlichem Rechtsverständnis anerkannten Nicht-Steuerbarkeit der Innenleistungen innerhalb des Organkreises in Frage. Die Ausführungen des EuGH könnten nach dem V. BFH-Senat dahingehend verstanden werden, dass die Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze entgegen der tradierten Rechtsauffassung nicht aufrechterhalten werden kann (BFH, EuGH-Vorlage vom 26.01.2023, V R 20/22 (V R 40/19)). Der BFH wandte sich daher erneut an den EuGH.
Die Klägerin ist eine Stiftung des öffentlichen Rechts und Trägerin einer Universität. Der Gebäudekomplex der Klägerin umfasst einen ihrem wirtschaftlichen Bereich zugeordneten Krankenhausbereich sowie einen hoheitlich genutzten Universitätsbereich mit Hörsälen und Laboren. Zwischen der Klägerin als Organträgerin und der U-GmbH als Organgesellschaft besteht eine umsatzsteuerliche Organschaft. Im Streitjahr 2005 erbrachte die Organgesellschaft Reinigungsleistungen an die Klägerin im gesamten Gebäudekomplex. Während die Klägerin die Reinigungsleistungen als nicht steuerbare Innenumsätze innerhalb des Organkreises behandelte, hat das Finanzamt lediglich die Reinigungsleistungen, die auf die Flächen des wirtschaftlichen Bereichs entfielen, als nicht steuerbare Innenumsätze anerkannt. Die auf den hoheitlichen Bereich entfallenden Reinigungsleistungen unterwarf das Finanzamt der Wertabgabenbesteuerung. Dagegen wandte sich die Klägerin erfolgreich vor dem FG Niedersachen. Das Finanzamt legte Revision ein. Daraufhin ersuchte der BFH den EuGH um Vorabentscheidung. Der EuGH urteilte, dass der Organträger einziger Steuerpflichtiger der MwSt-Gruppe sein kann und die Leistungen in den hoheitlichen Bereich nicht der Wertabgabenbesteuerung unterliegen. Der BFH hielt es für erforderlich, den EuGH in diesem Rechtsstreit erneut anzurufen.
Sind Art. 2 Nr. 1 und Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG dahin auszulegen, dass die Leistungen, die zwischen den Mitgliedern einer Mehrwertsteuergruppen gegen Entgelt erbracht werden, der Mehrwertsteuer unterliegen?
Ist dabei der Umstand, dass der Leistungsempfänger die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer nicht als Vorsteuer abziehen darf, zu berücksichtigen ist, weil in einem solchen Fall die Gefahr von Steuerverlusten bestünde?
Art. 2 Nr. 1 und Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG sind dahin auszulegen, dass gegen Entgelt erbrachte Leistungen zwischen Personen, die ein und derselben Mehrwertsteuergruppe angehören, die aus rechtlich selbständigen, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbundenen Personen besteht und von einem Mitgliedstaat als einzige Steuerpflichtige bestimmt wird, selbst dann nicht der Mehrwertsteuer unterliegen, wenn die vom Empfänger dieser Leistungen geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer nicht als Vorsteuer abgezogen werden darf.
Ein Leistender, der einer Mehrwertsteuergruppe angehört, kann nicht isoliert als von der Gruppe unabhängiger Steuerpflichtiger betrachtet werden. Das folgt aus dem Wortlaut der maßgeblichen Richtlinienbestimmung, wonach es jedem Mitgliedstaat freisteht, im Inland ansässige Personen, die durch finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln. Erbringt ein Mitglied einer Mehrwertsteuergruppe entgeltliche Leistungen an ein anderes Gruppenmitglied, erübrigt sich die Prüfung der Selbständigkeit des leistenden Gruppenmitglieds. Mit der Rechtsfolge der nichtsteuerbaren Innenleistungen geht auch keine drohende Gefahr von Steuerverlusten einher, da im Fall der Organschaft das Recht auf Vorsteuerabzug der Mehrwertsteuergruppe zusteht.
Erleichterung bei betroffenen Unternehmen: Innenleistungen innerhalb des Organkreises bleiben nichtsteuerbar. Insbesondere steuerpflichtige Unternehmen mit steuerfreien Ausgangsumsätzen bspw. aus dem FSI-Bereich (Banken und Versicherungen) begrüßen die vorliegende Entscheidung, da befürchtete Kostensteigerungen durch die Belastung der Innenleistungen mit Umsatzsteuer ausbleiben. Die umsatzsteuerliche Organschaft wird damit nicht auf die verfahrensrechtliche Dimension einer reinen Steuererklärungsgemeinschaft beschränkt, vielmehr wird das bisherige innerstaatliche Rechtsverständnis bestätigt. Der EuGH betont, dass ein gegenteiliger Ausgang des Vorabentscheidungsverfahrens mit den grundliegenden Funktionen der Organschaft, die darauf ausgerichtet ist, die Verschmelzung der Organgesellschaften zu einem einzigen Steuerpflichtigen und die umsatzsteuerliche Organisationsneutralität zu gewährleisten, nicht zu vereinbaren gewesen wäre. Wesentlich ist, dass trotz des Umstands, dass der Organträger Steuerpflichtiger und Steuerschuldner ist, das Recht auf Vorsteuerabzug der Gruppe selbst und nicht deren Mitgliedern zusteht. Geht es daher im Einzelfall um die Aufteilung der Vorsteuer, ist das nach wie vor zu beachten. Aus der Entscheidung folgt, dass der materiell-rechtliche Gehalt der umsatzsteuerlichen Organschaft erhalten bleibt - allerdings auch alle damit einhergehenden Zweifelsfragen, wie etwa die Unsicherheit, ob eine Organschaft im Einzelfall (unentdeckt) besteht oder bestand, sowie die Frage, ob sie (unentdeckt) weggefallen ist. Bleibt zu hoffen, dass diese und weitere Unsicherheiten im Rahmen der Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die sich mit der Anpassung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG auseinandersetzt, geklärt werden. Nach der Veröffentlichung des Urteils wird die Arbeitsgruppe ihre Arbeit wieder aufnehmen. Ob dann künftig die umsatzsteuerliche Organschaft auf Antrag erfolgt oder es letztlich doch auf ein Erklärungsverfahren hinausläuft, um „ungewollte Organschaften“ zu verhindern, wird, neben der Beantwortung weiterer offener Fragen, in der Praxis mit Spannung erwartet.
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, Art. 11 MwStSystRL
EuGH, Urteil vom 11.07.2024, C-184/23, Finanzamt T II
BFH, EuGH-Vorlage vom 26.01.2023, V R 20/22 (V R 40/19)
EuGH, Urteil vom 01.12.2022, C-269/20, Finanzamt T
BFH, EuGH-Vorlage v. 07.05.2020, V R 40/19
FG Niedersachsen, Urteil vom 16.10.2019, 5 K 309/17
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