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25.01.2022
Indirekte Steuern/Zoll

EuGH: Generalanwältin hält deutsche Organschaft für unvereinbar mit EU-Recht

Die Generalanwältin beim EuGH ist der Auffassung, dass die deutschen Kriterien für eine umsatzsteuerliche Organschaft zu eng sind und der deutsche Fiskus die Steuer zu Unrecht beim Organträger erhebt.

Hintergrund

Die deutsche umsatzsteuerrechtliche Organschaft war Vorbild für die europarechtliche Mehrwertsteuergruppe, wie sie heute in Art. 11 MwStSystRL geregelt ist. Im Rahmen des harmonisierten Mehrwertsteuersystems muss sie sich an dieser Richtliniennorm im Lichte der Rechtsprechung des EuGH messen lassen. Zahlreiche Entscheidungen des obersten europäischen Gerichts haben darauf hingewiesen, dass § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG dringend überarbeitet werden muss.

„Es liegt auf der Hand“, so die Generalanwältin in ihren Schlussanträgen, „dass die deutsche Regelung zur Umsetzung der Sechsten Richtlinie zu restriktiv ist.“

Die wettbewerbsartig ausgetragenen Anläufe der beiden Umsatzsteuersenate des BFH zur EU-rechtskonformen Auslegung der Vorschrift dürfen als gescheitert gelten. Bis zur überfälligen Neuregelung durch den deutschen Gesetzgeber herrscht Rechtsunsicherheit.

Der BFH-Vorlage (BFH 11.12.2019 XI R 16/18, MwStR 2020, 447 m. Anm. Grünwald) liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Steuerpflichtige des vorliegenden Rechtsstreits ist eine GmbH. Ihre Gesellschafter halten Beteiligungen von 51% bzw. 49 %. Der alleinige Geschäftsführer der GmbH war zugleich alleiniger Geschäftsführer des Mehrheitsgesellschafters. Nach dem Gesellschaftsvertrag hat jeder Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung die gleiche Anzahl von Stimmen. Der Mehrheitsgesellschafter konnte daher seinen Willen nicht durchsetzen, weshalb das zuständige Finanzamt die finanzielle Eingliederung und damit das Vorliegen einer Organschaft verneinte.

Schlussanträge der Generalanwältin

Der vorlegende XI. Senat fokussiert sich auf zwei Aspekte der deutschen Organschaftsregelung:

1. Sind die Eingliederungsvoraussetzungen zu eng?

2. Erhebt der deutsche Fiskus die Steuer bei der falschen Person?

Die Generalanwältin bejaht die erste und verneint die zweite Frage.

Nach Art. 11 MwStSystRL steht es jedem Mitgliedstaat frei, im Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln. Demgegenüber verlangt das deutsche Recht eine finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung – der BFH sieht darin das Erfordernis nach einem Über- und Unterordnungsverhältnis (Vgl. BFH 11.12.2013 - XI R 38/12, MwStR 2014, 209; BFH 11.12.2013 - XI R 17/11 MwStR 2014, 712 m. Anm. Grünwald; BFH 02.12.2015 - V R 15/14, MwStR 2016, 251 m. Anm. Korf) – bei deren Vorliegen die Organgesellschaft ihre Selbständigkeit verliert und zum unselbständigen Bestandteil des Unternehmens des Organträgers wird.

Dies ist aus Sicht der Generalanwältin problematisch, da ein selbständiges Unternehmen nach der MwStSystRL seine Eigenschaft als Steuerpflichtiger nicht allein wegen der in Art. 11 MwStSystRL beschriebenen engen Verbundenheit verliert. Der Begriff der Mehrwertsteuergruppe führe keineswegs dazu, dass ein einzelnes Mitglied der Gruppe an die Stelle jedes Steuerpflichtigen dieser Gruppe trete.

Aufgrund einer textlichen Analyse und einem Vergleich der deutschen mit der europäischen Norm kommt die Generalanwältin zu dem Schluss, dass das UStG über das hinausgeht, was in der europäischen Richtlinie vorgesehen ist.

Mit Blick auf die Steuerpflichtigeneigenschaft führt sie aus, dass sich aus der Richtlinienvorschrift ergibt, dass Steuerpflichtige, die einer Mehrwertsteuergruppe angehören, weiterhin als Einzelpersonen steuerpflichtig sind. Die Mehrwertsteuerpflichten bestehen unabhängig voneinander für jede einzelne Person (d.h. unabhängig von der Mehrwertsteuergruppe).

Nach Unionsrecht ist der Steuerpflichtige, der die Mehrwertsteuer schuldet, die Mehrwertsteuergruppe selbst und nicht nur der Organträger dieser Gruppe.

Die Generalanwältin schlägt daher dem Gerichtshof vor zu entscheiden, dass die MwStSystRL der deutschen Regelung entgegensteht, die nur den Organträger, der über die Mehrheit der Stimmrechte und über eine Mehrheitsbeteiligung am beherrschten Unternehmen in der Gruppe der steuerpflichtigen Personen verfügt – unter Ausschluss der übrigen Mitglieder der Gruppe – als Vertreter der Mehrwertsteuergruppe und als Steuerpflichtigen dieser Gruppe bestimmt.

Anmerkung

Sollte der EuGH der Rechtsauffassung der Generalanwältin folgen, so kann hinsichtlich des Vorliegens einer Organschaft im Einzelfall, davon ausgegangen werden, dass wenn die – engeren – deutschen Kriterien erfüllt sind, auch die – weiteren – des EU-Rechts vorliegen.

Es sind jedoch auch Mehrwertsteuergruppen denkbar, die mangels Eingliederung der deutschen Norm nicht genügen, jedoch eine so hinreichend enge Verbundenheit aufweisen, dass eine Behandlung dieser Gruppe als einen Steuerpflichtigen durch Art. 11 MwStSystRL angezeigt ist. Mit Spannung darf unter diesem Aspekt erwartet werden, ob bzw. wie das Gericht sich zur Berufbarkeit auf diese Norm äußert.

Folgt der EuGH der Generalanwältin, so stellt sich die Frage, ob die Steuererhebung beim Organträger rechtswidrig und diese daher zu ändern bzw. anfechtbar ist. Der BFH weist in dem Parallelverfahren (BFH V R 40/19, C-269/20) vorsichtshalber darauf hin, dass die Gesamtheit der Organträger iSv § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG Steuerzahlungen in einem Umfang von 10% des gesamten Steueraufkommens aus der Umsatzsteuer in Deutschland leisten (BFH 07.05.2020, V R 40/19 Rz. 29, MwStR 2020, 668 m. Anm. Kruse). Käme es dazu, würde diese Entscheidung ein großes Loch in die Staatskasse reißen und den betroffenen Steuerpflichtigen einen unerwarteten Geldregen bescheren.

Insoweit sind jedoch Zweifel angebracht.

Die Generalanwältin zitiert in ihren Schlussanträgen ein von der Kommission angeführtes Beispiel und bezeichnet dieses als „lehrreich“. Dieses Beispiel beschreibt die Rechtsfolgen beim Vorliegen einer Mehrwertsteuergruppe wie folgt: Alle Mitglieder einer Mehrwertsteuergruppe haften gesamtschuldnerisch für die Mehrwertsteuerschulden der Gruppe, auch wenn de facto nur der Ansprechpartner den gemeinsam geschuldeten Mehrwertsteuerbetrag entrichtet. Nach dem von der Richtlinie vorgesehenen Mehrwertsteuersystem haftet jeder Steuerpflichtige für seine eigenen Verpflichtungen in Bezug auf die Mehrwertsteuer. Da die Mitglieder einer Mehrwertsteuergruppe ihre Eigenschaft als individuelle Steuerpflichtige nicht verlieren, unterliegt die Verteilung der mehrwertsteuerrechtlichen Haftung auf die Mitglieder der Mehrwertsteuergruppe dem nationalen Vertrags- und Deliktsrecht.

Hält man sich vor Augen, dass deutsche Organgesellschaften - neben dem Organträger als Steuerschuldner - nach § 73 AO für die Steuern des Organträger (der Mehrwertsteuergruppe) haften, und zwar ausdrücklich, wie § 44 Abs. 1 Satz 1 AO anordnet, als Gesamtschuldner, so stellt man fest, dass zwar eine Diskrepanz hinsichtlich des Wortlauts der Vorschriften des UStG und der MwStSystRL besteht, nicht jedoch in der tatsächlichen Besteuerung. Auch nach deutschem Recht haften – wie im Beispiel der Kommission – alle Mitglieder einer Mehrwertsteuergruppe für die Mehrwertsteuerschulden der Gruppe gesamtschuldnerisch, auch wenn de facto nur der Ansprechpartner den gemeinsam geschuldeten Mehrwertsteuerbetrag entrichtet.

Diesen Aspekt werden weder der EuGH in seinem Urteil noch der BFH in seiner Folgeentscheidung außer Acht lassen können bzw. wollen.

Betroffene Normen

§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG; Art. 11 MwStSystRL

Fundstelle

EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin (Medina) vom 13.01.2022, C 141/20

Ihre Ansprechpartner

Dr. Ulrich Grünwald
Partner

ugruenwald@deloitte.de
Tel.: +49 30 25468 258

Inga Kruse
Senior Manager

ikruse@deloitte.de
Tel.: +49 30 25468 5704

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