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23.01.2023
Indirekte Steuern/Zoll

EU-Kommission: ViDA – Behandlung der Plattformwirtschaft

​Die EU-Kommission hat im Rahmen der Initiative „VAT in the digital age (ViDA)“ einen Richtlinienentwurf veröffentlicht, der die Digitalisierung der Meldepflichten, neue Vorschriften im Bereich der elektronischen Rechnungsstellung, der Besteuerung der Plattformwirtschaft sowie eine einheitliche EU-weite MwSt-Registrierung beinhaltet. Nachstehend werden die Änderungsvorschläge der EU-Kommission zur Besteuerung der Plattformwirtschaft vorgestellt. ​ 

Hintergrund

Nach Berechnung der EU-Kommission konnten Lieferanten und Dienstleister Umsätze in Höhe von EUR 191 Milliarden in den europäischen Mitgliedstaaten allein in 2019 durch den Vertrieb ihrer Leistungen über elektronische Schnittstellen (z.B. Marktplätze) erzielen. Unter Berücksichtigung der seitens der Plattformbetreiber (gesondert) erhobenen Entgelte, handelt es sich um ein Ökosystem, in dem jährlich EUR 258 Milliarden umgesetzt werden (d.h. die seitens der Schnittstellenbetreiber erhobenen Entgelte betragen EUR 67 Milliarden auf Basis der 2019-Zahlen).

Von den auf den elektronischen Schnittstellen erzielten Umsätze entfallen fast 60% auf Warenlieferungen (sog. E-Commerce Sektor). Vor dem Hintergrund, dass vermehrt Online-Händler aus dem Drittland in der Vergangenheit ihren (Einfuhr-)Umsatzsteuerverpflichtungen nicht nachgekommen sind, traten bereits ab dem 1.7.2021 die sog. E-Commerce-Regelungen gem. Art. 14a MwStSystRL (§ 3 Abs. 3a UStG) in Kraft, die in bestimmten Sachverhaltskonstellationen durch die Fiktion einer Lieferkette zwischen Online-Händler, Schnittstellenbetreiber und Kunde die Erhebung der Umsatzsteuer bei der Veräußerung von Waren sicherstellen. Die Vorschriften wurden zuletzt flankiert durch weitergehende Aufzeichnungspflichten für die Schnittstellenbetreiber nach dem Plattformen-Steuertransparenzgesetz („DAC-7“-Richtlinie, siehe Deloitte Tax-News), das mit Wirkung zum 01.01.2023 in Kraft getreten ist (darüber hinaus bestehen Aufzeichnungspflichten nach § 22f UStG für Betreiber elektronischer Schnittstellen).

Gleichwohl ist die EU-Kommission der Auffassung, dass der bisherige Rechtsrahmen nicht ausreicht, die Erhebung der Mehrwertsteuer sicherzustellen sowie für Rechtsklarheit und -sicherheit zu sorgen. Das ist insbesondere auf die folgenden Punkte zurückzuführen:

  1. Unklarheiten in welchen Fällen Online-Händler bzw. Online-Dienstleister einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen und folglich als Unternehmer zu klassifizieren sind (siehe zuletzt zur Unternehmereigenschaft bei planmäßigem An- und Verkauf im Rahmen eines Internethandels: BFH, Urteil v. 12.05.2022 – V R 19/20;
  2. Unklarheiten hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Behandlung der von Marktplatzbetreibern erhobenen Gebühr (zum Beispiel elektronische Dienstleistung, grundstücksnahe Leistung bzw. allgemeine Leistung i.S.d. § 3a Abs. 1 und 2 UStG (siehe Deloitte Tax-News);
  3. fehlender Harmonisierung bzgl. der Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten;
  4. Schwierigkeiten bzgl. der tatsächlichen Vollstreckung der Mehrwertsteuer; und
  5. Transformation der Wirtschaft zu sonstigen Leistungen (d.h. weniger Warenlieferungen).

Um das Mehrwertsteuersystem weniger betrugsanfälliger zu machen, schlägt die EU-Kommission die nachstehenden Änderungen vor.  

1. Ausweitung der E-Commerce Regelung gem. Art. 14a MwStSystRL

Wie eingangs erwähnt, sind mit Wirkung ab dem 01.07.2021 die sog. E-Commerce-Regelungen gem. Art. 14a MwStSystRL (§ 3 Abs. 3a UStG) in Kraft getreten. Danach wird bei Online-Händlern, die nicht in der Europäischen Union ansässig sind (d.h. auch keine umsatzsteuerliche Betriebsstätte haben), eine Lieferkette zwischen Online-Händler, Schnittstellenbetreiber und Kunde fingiert, wenn diese Waren in der Europäischen Union veräußern (vgl. § 3 Abs. 3a Satz 1 UStG). Darüber hinaus wird eine Leistungskette unabhängig der Ansässigkeit fingiert, wenn Fernverkäufe von Waren mit Sachwert von höchstens 150 EUR aus dem Drittland über eine elektronische Schnittstelle unterstützt werden (vgl. § 3 Abs. 3a Satz 2 UStG).

Die EU-Kommission beabsichtigt nun, diese Lieferkettenfiktion auf sämtliche Lieferungen (B2B, B2C und B2G) innerhalb der EU zum 1.1.2025 auszuweiten – ausgenommen sind bestimmte Inlandslieferungen (Art. 14a Abs. 2 und 4 MwStSystRL-E). Schnittstellenbetreiber, die Fernverkäufe von Waren mit Sachwert von höchstens 150 EUR aus dem Drittland unterstützen, sollen zukünftig zwingend das Import-One-Stop-Shop (IOSS) anwenden müssen (Art. 369p MwStSystRL-E). Darüber hinaus soll bei Verbringen durch zum vollen Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmer ebenfalls eine Lieferkette fingiert werden, so dass sich der Online-Händler nicht zur Deklaration des Verbringens im Bestimmungsland umsatzsteuerlich registrieren lassen muss (Art. 14a Abs. 3 MwStSystRL-E). Die fingierte Lieferung vom Online-Händler an den Schnittstellenbetreiber soll in beiden Fällen (Art. 14a Abs. 2 und 3 MwStSystRL-E) umsatzsteuerfrei sein (Art. 136a MwStSystRL-E). 

2. Klarstellung der Unternehmereigenschaft, Aufzeichnung-/Aufbewahrungspflichten sowie der USt-Behandlung der von Marktplatzbetreibern erhobenen Gebühr

Des Weiteren beabsichtigt die EU-Kommission,

  1. die Unternehmereigenschaft von Online-Lieferanten und Online-Dienstleistern (z.B. Fiktion der Nichtunternehmereigenschaft bei fehlender Umsatzsteuer-Identifikationsnummer),
  2. die umsatzsteuerliche Behandlung der von Schnittstellenbetreibern erhobenen Gebühr (soll in dem Mitgliedstaat steuerbar sein, wo die vertriebene Lieferung bzw. Dienstleistung steuerbar ist),
  3. sowie die Aufzeichnungs-/Aufbewahrungspflichten

zu konkretisieren und zu harmonisieren (vgl. Art. 46a und 242a MwStSystRL-E).

3. Ausweitung der Leistungskettenfiktion auf kurzfristige Beherbergungs- und Beförderungsleistung

Ferner beinhaltet der EU-Vorschlag die Einführung einer Leistungskettenfiktion bei über eine elektronische Schnittstelle erbrachte kurzfristige Beherbergungs- und Beförderungsleistungen (vgl. Art. 28a MwStSystRL-E und Art. 9b-9d MwSt-DVO-E). Eine vergleichbare Regelung zur Fiktion von Dienstleistungsketten besteht bereits für elektronische Dienstleistungen, die über ein Telekommunikationsnetz, eine Schnittstelle oder ein Portal erbracht werden (vgl. Art. 9a MwSt-DVO bzw. § 3 Abs. 11a UStG). Die nun vorgeschlagene Fiktion über elektronische Schnittstellen erbrachte Beherbergungs- und Beförderungsleistungen soll allerdings nur dann zur Anwendung kommen, wenn der Online-Dienstleister

  1. nicht in der Europäischen Union umsatzsteuerlich registriert;
  2. ein Nichtunternehmer;
  3. ein Unternehmer, der nur umsatzsteuerfreie Umsätze ausführt;
  4. eine nicht unternehmerische juristische Person;
  5. Unternehmer, der nach Durchschnittssätzen für land- und forstwirtschaftliche Betriebe versteuert; oder
  6. Kleinunternehmer

ist (vgl. Art. 28a MwStSystRL-E).

Das führt dazu, dass insbesondere auch durch Nicht- bzw. Kleinunternehmer (vgl. § 19 UStG) überlassende Unterkünfte bzw. erbrachte Beförderungsleistungen der Umsatzsteuer unterliegen. Vermittlungsportale für Unterkünfte bzw. Online-Mitfahrzentralen würden damit ihre Wettbewerbsvorteile gegenüber traditionellen Taxiunternehmen bzw. Hoteliers verlieren. 

Nach den Vorschlägen der EU-Kommission soll die Überlassung einer Unterkunft kurzfristig sein, wenn diese für max. 45 Tage überlassen wird (Art. 135 Abs. 3 MwStSystRL-E). Bzgl. der Beförderungsleistungen wird auf die bestehenden Normen zurückgegriffen (Art. 48 MwStSystRL; § 3b UStG). Die fingierte Leistung des Dienstleisters an den Schnittstellenbetreiber soll umsatzsteuerfrei sein und einen Vorsteuerabzug ausschließen (vgl. Art. 136b MwStSystRL-E). Für den Schnittstellenbetreiber soll es nicht möglich sein, die Regelung zur Differenzbesteuerung für Reiseveranstalter nach Art. 306 MwStSystRL (§ 25 UStG) anzuwenden. D.h. die Fiktion einer Leistungskette soll keine Auswirkung auf die Vorsteuerquote des Schnittstellenbetreiber haben (vgl. Art. 172a MwStSystRL-E).

4. Hinweis

In der durch die EU-Kommission veröffentlichten Studie wurde auch darauf eingegangen, welche fiskalische Auswirkung es gehabt hätte, die Fiktion einer Leistungskette

  1. auf sämtliche über eine Schnittstelle erbrachten Beherbergungs- und Beförderungsleistung (d.h. nicht nur auf kurzfristige Beherbergungsleistungen); bzw.
  2. auf sämtliche über eine Schnittstelle erbrachten Leistungen

auszuweiten. Eine Nichtsteuerbarkeit aufgrund personeller Merkmale (z.B. Kleinunternehmerregelung) hätte es über elektronische Schnittstellen erbrachten Leistungen nicht mehr geben können. Die fiskalischen Mehrergebnisse wären dementsprechend signifikant. In den konkreten Vorschlag der EU-Kommission zur Änderung der MwStSystRL sind diese Überlegungen nicht eingegangen. 

Betroffene Normen

§§ 3 Abs. 11a, 3b, 22f und 25 UStG; Art. 14a und 306 MwStSystRL; Art. 14a Abs. 2 und 3, 46a, 28a, 135 Abs. 3, 136a, 136b, 172a und 242a MwStSystRL-E; Art. 9a MwSt-DVO; Art. 9b-9d MwSt-DVO-E

Anmerkung

Die Änderungsvorschläge der EU-Kommission sind zum einen fiskalisch getrieben. Denn der Anwendungsbereich der Umsatzsteuer wird nach dem Änderungsvorschlag ausgeweitet, weil durch die Fiktion einer Leistungskette fortan Verbraucher auch mit Umsatzsteuer belastet werden, wenn diese Beherbergungs- und Beförderungsleistung über eine elektronische Schnittstelle beziehen, die schlussendlich von Nicht- und Kleinunternehmern erbracht werden. Die Geschäftsmodelle von Schnittstellenbetreibern, die sich als reine Vermittler verstehen, würden durch Einführung der Leistungskettenfiktion erheblich erschüttert. Denn durch die vorgeschlagene Neuregelung werden die Schnittstellenbetreiber zum Steuerschuldner. Die damit einhergehenden Herausforderungen im Bereich der Steuerfindung und der Anpassungen der IT-Systeme müssten von den Schnittstellenbetreibern gemeistert werden. Sie sollten sich daher frühzeitig mit den vorgeschlagenen Regelungen der EU-Kommission auseinandersetzen, bzw. die Entwicklung auf EU-Ebene beobachten.

Auf der anderen Seite führen die Änderungsvorschläge bei Warenlieferungen über Schnittstellen dazu, dass sich Online-Händler bei Warenverkäufen über eine Schnittstelle nicht mehr im Bestimmungsland umsatzsteuerlich registrieren müssen. Im Ergebnis entspricht das dem weiteren EU-Vorschlag zur „Single VAT Registration“. Hier bieten die Änderungsvorschläge der EU-Kommission erhebliche Einsparungsmöglichkeiten für Lieferanten und Dienstleister, die über elektronische Schnittstellen ihre Dienstleistungen und Waren anbieten, hinsichtlich der Compliance-Kosten.

Festzuhalten ist, dass die Mitgliedstaaten den Änderungsvorschlägen der EU-Kommission noch zustimmen müssen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Mitgliedstaaten sich u.a. aufgrund des europäischen Einstimmigkeitsprinzips lediglich auf das Mindestmaß an Änderungen verständigen konnten. Inwieweit daher die vorgeschlagenen Änderungen im Bereich der Plattformwirtschaft (die zum 1.1.2025 in Kraft treten sollen), aber auch in den Bereichen der digitalen Meldepflichten und der elektronischen Rechnungsstellung sowie einer einzigen und einheitlichen Registrierung in der gesamten EU nach dem ambitionierten Zeitplan der EU-Kommission in Kraft treten werden, ist offen.

Fundstelle

EU-Kommission, Richtlinienentwurf vom 08.12.2022  

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