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20.11.2023
Indirekte Steuern/Zoll

BFH: Vertrauensschutz bei rechtswidrigem Handeln der Verwaltung

Nimmt ein Umsatzsteuerjahresbescheid den Regelungsgehalt vorheriger Voranmeldungsfestsetzungen in sich auf, ist für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 176 Abs. 2 AO auf den Zeitpunkt der jeweiligen Voranmeldungsfestsetzungen abzustellen. Steuerpflichtige, die auf die vermeintliche Richtigkeit eines BMF-Schreibens vertrauen, genießen den Vertrauensschutz des § 176 Abs. 2 AO, sofern sie ihre Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen beim zuständigen Finanzamt eingereicht haben.

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte ist Organträgerin einer GmbH.

Im Jahr 2012 erbrachte die GmbH gegenüber einem Bauträger Bauleistungen ohne gesonderten Umsatzsteuerausweis. Sowohl die GmbH als auch der Bauträger gingen davon aus, dass der Bauträger als Leistungsempfänger die Umsatzsteuer schulde. Entsprechend erfasste die Klägerin die von der GmbH erbrachten Leistungen nicht in ihren monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen. Die Klägerin übermittelte im Jahr 2014 dem Finanzamt ihre Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2012.

Der Bauträger beantragte im Jahr 2015 die Erstattung des von ihm an das Finanzamt für das Jahr 2012 entrichteten Umsatzsteuer. Anlass hierfür war eine BFH-Entscheidung (V R 37/10) im Jahr 2013, wonach der § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG 2005 entgegen Abschn. 182a Abs. 11 UStR 2005 einschränkend dahingehend auszulegen ist, dass es für die Entstehung der Steuerschuld darauf ankommt, ob der Leistungsempfänger die an ihn erbrachte Werklieferung oder sonstige Leistung, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dient, seinerseits zur Erbringung einer derartigen Leistung verwendet. Mit Änderungsbescheid setzte daraufhin das zuständige Finanzamt der Klägerin eine höhere Umsatzsteuer für das Jahr 2012 fest. Das hiergegen erfolgte Einspruchsverfahren der Klägerin blieb erfolglos. Die Klägerin erhob daraufhin Klage. Das Finanzgericht gab dieser statt. Es begründete seine Entscheidung damit, dass es aufgrund des Vertrauensschutz nach § 176 AO an einer Korrekturgrundlage für den vom Finanzamt erhobenen Änderungsbescheid fehlte. Die daraufhin eingelegte Revision des Finanzamtes wurde vom BFH zurückgewiesen.

Entscheidung des BFH

Nimmt ein Umsatzsteuerjahresbescheid den Regelungsgehalt vorheriger Voranmeldungsfestsetzungen in sich auf, ist für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 176 Abs. 2 AO auf den Zeitpunkt der jeweiligen Voranmeldungsfestsetzungen abzustellen.

Anmerkung

Sowohl das Vorinstanzengericht als auch der BFH haben entschieden, dass bei einer Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids durch die Finanzverwaltung nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden darf, dass eine allgemeine Verwaltungsvorschrift als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist. Der Steuerpflichtige genießt Vertrauensschutz gem. § 176 Abs. 2 AO.

§ 176 AO schützt in die Bestandskraft der Steuerfestsetzung und nicht in das Vertrauen in die Gesetzgebung oder in die höchstrichterliche Rechtsprechung. Die Vorschrift beruht auf einem einheitlichen Vertrauenstatbestand, durch den der Steuerpflichtige davor geschützt werden soll, dass sich ein Rechtsakt, der bereits Eingang in seinen Steuerbescheid gefunden hat, später als mit der Rechtsordnung nicht vereinbar erweist. Vertraut also ein Steuerpflichtiger auf die Richtigkeit einer allgemeinen Verwaltungsauffassung, urteilt das Finanzgericht diese Auffassung aber als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend, kann dem Steuerpflichtigen von der Finanzbehörde nicht der Änderungsschutz des § 176 Abs. 2 AO mit dem Argument versagt werden, dass das Urteil bereits vor Abgabe seiner Umsatzsteuerjahreserklärung veröffentlicht wurde und der Steuerpflichtige deshalb nicht schützenswert sei.

Der Steuerpflichtige kann jedoch nur dann in den Genuss der Vertrauensvorschrift des § 176 Abs. 2 AO gelangen, wenn er sowohl seine Umsatzsteuervoranmeldungen als auch Umsatzsteuerjahreserklärungen eingereicht hat. Da der für einen Besteuerungszeitraum ergehende Umsatzsteuerjahresbescheid denselben Regelungsinhalt aufweist wie die Gesamtheit der für die Voranmeldungszeiträume dieses Besteuerungszeitraums vorliegenden Voranmeldungsfestsetzungen, hat der BFH zutreffend entschieden, dass für die Prüfung, zu welchem Zeitpunkt die in § 176 Abs. 2 AO genannte allgemeine Verwaltungsvorschrift als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet wurde, auf die jeweilige Voranmeldungsfestsetzung abzustellen ist. Gem. § 168 AO ergibt sich bereits aus den Voranmeldungsfestsetzungen eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung für eine bereits nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 UStG entstandene Steuer, die das für § 176 Abs. 2 AO entscheidende Vertrauen in die Bestandskraft der Steuerfestsetzung erzeugt. Die Auffassung der Finanzverwaltung, wonach es für die Anwendbarkeit der Vertrauensvorschrift nicht darauf ankomme, dass ein Steuerpflichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen eingereicht hat, ist daher unzutreffend.  

Vorinstanz

Sächsisches Finanzgericht, Urteil vom 03.02.2021, 2 K 763/20, EFG 2021, S. 1235 

Fundstelle

​BFH, Urteil vom 06.07.2023, V R 5/21​

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