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23.08.2010
Arbeitnehmerbesteuerung/ Sozialversicherung

BVerfG: Einführung der Fünftel-Regelung für Entschädigungen teilweise verfassungswidrig

Sachverhalt

Bis zum Ende des Jahres 1998 galt für die außerordentlichen Einkünfte ein ermäßigter Tarif, der nur die Hälfte des durchschnittlichen Steuersatzes des Steuerpflichtigen betrug. Im Jahr 1998 trat an die Stelle des halben durchschnittlichen Steuersatzes die so genannte Fünftel-Regelung nach § 34 Abs. 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (StEntlG 1999/2000/2002), das am 31.03.1999 verkündet wurde. Danach werden außerordentliche Einkünfte mit einem Steuersatz besteuert, der hinsichtlich des progressiven Tarifverlaufs angewendet worden wäre, wenn sie anteilig jeweils zu einem Fünftel in fünf Veranlagungszeiträumen zugeflossen wären.

Nach § 52 Abs. 47 EStG galt die Neuregelung ab dem Veranlagungszeitraum 1999, bezog aber - rückwirkend - auch Entschädigungen ein, die bereits vor der Verkündung der Neuregelung vereinbart worden waren.

Die Kläger der drei Ausgangsverfahren erhielten als Arbeitnehmer im Veranlagungszeitraum 1999 aufgrund der Aufhebung ihres Arbeitsverhältnisses Abfindungen, die jeweils noch vor der Verkündung der Neuregelung im Januar bzw. März 1999 ausgezahlt wurden. Die zugrundeliegenden Aufhebungsvereinbarungen wurden teils bereits vor der Einbringung des Gesetzentwurfs geschlossen (im Oktober 1996 bzw. Juli 1998), teils aber auch erst danach (im November 1998). In allen Fällen wandte das Finanzamt anstelle des halben durchschnittlichen Steuersatzes die Fünftel-Regelung an.

Entscheidung

Die rückwirkende Anwendung der Fünftel-Regelung nach § 34 Abs. 1 EStG in Verbindung mit § 52 Abs. 47 EStG in der Fassung des StEntlG 1999/2000/2002 ist teilweise verfassungswidrig.

Die Neuregelung verstößt gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes und ist nichtig, soweit die sogenannte Fünftel-Regelung anstelle des zuvor geltenden halben durchschnittlichen Steuersatzes auch dann zur Anwendung kommt, wenn:

  • die Entschädigungen im Jahr 1998, aber noch vor der Einbringung der Neuregelung in den Deutschen Bundestag am 9. November 1998 verbindlich vereinbart und im Jahr 1999 ausgezahlt wurden, oder 
  • unabhängig vom Zeitpunkt der Vereinbarung noch vor der Verkündung der Neuregelung am 31. März 1999 die Auszahlung erfolgte.

Das im Zeitpunkt des Abschlusses der Entschädigungsvereinbarung bestehende Vertrauen in die Anwendung des halben durchschnittlichen Steuersatzes verdient grundsätzlich verfassungsrechtlichen Schutz. Der nach Steuern zu erwartende Nettobetrag ist zumindest auf Seiten des Arbeitnehmers regelmäßig Grundlage für den Abschluss der Abfindungsvereinbarung.

Wenn die Entschädigung dem Steuerpflichtigen nach der Verkündung der Neuregelung am 31. März 1999 zugeflossen ist, handelt es sich um Einkommen, das noch unter der Geltung des alten Rechts erzielt wurde. Auch wenn das bei Abschluss der Entschädigungsvereinbarung bestehende Vertrauen nicht uneingeschränkt schutzwürdig war, dürfen Steuerpflichtige bei ihren Entscheidungen über Sparen, Konsum oder Investition in jedem Fall darauf vertrauen, dass der Steuergesetzgeber nicht ohne sachlichen Grund von hinreichendem Gewicht den Nettoertrag einer bereits zugeflossenen Entschädigung rückwirkend erheblich mindert. Daran änderte auch das im Zeitpunkt des Zuflusses bereits schwebende Gesetzgebungsverfahren nichts. Ein laufendes Gesetzgebungsverfahren führt zwar dazu, dass den Steuerpflichtigen die Abstimmung zukunftswirksamer Dispositionen auf das künftige Recht eher zuzumuten ist, kann aber die Gewährleistungsfunktion, die dem geltenden Recht bis zur Verkündung der Neuregelung zukommt, nicht von vornherein suspendieren. Auf diese können sich die Steuerpflichtigen auch dann berufen, wenn die Entschädigung im Hinblick auf die günstigere alte Rechtslage bewusst bereits im März 1999 ausgezahlt, das Arbeitsverhältnis aber erst später aufgelöst wurde. Denn es stellt grundsätzlich keinen Missbrauch dar, sondern gehört zu den legitimen Dispositionen im grundrechtlich geschützten Bereich der allgemeinen (wirtschaftlichen) Handlungsfreiheit, wenn Steuerpflichtige darum bemüht sind, die Vorteile geltenden Rechts mit Blick auf mögliche Nachteile einer zukünftigen Gesetzeslage für sich zu nutzen.

Betroffene Norm

§ 34 Abs. 1, § 52 Abs. 47 EStG 1999

Vorinstanz

BFH, Beschluss vom 06.11.2002, XI R 42/01, BStBl II 2003, S. 257.
BFH, Beschluss vom 02.08.2006, XI R 30/03, siehe Zusammenfassung in den Deloitte Tax-News
BFH, Beschluss vom 02.08.2006, XI R 34/02, siehe Zusammenfassung in den Deloitte Tax-News.

Fundstelle

BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010, 2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06

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