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05.11.2010
Arbeitnehmerbesteuerung/ Sozialversicherung

BFH: Rechtsnatur der Anrufungsauskunft

Sachverhalt

Die Klägerin beabsichtigte im Anschluss an ein BFH-Urteil eine Stornierung der zu Unrecht versteuerten geldwerten Vorteile aus Nachteilsausgleichszahlungen der Jahre 2002 - 2005 und beantragte mit Schreiben vom 06.12.2005 eine Anrufungsauskunft beim Finanzamt dahingehend, dass die in den Veranlagungszeiträumen 2002 bis 2004 zu Unrecht der Lohnsteuer unterworfenen Beträge in den Veranlagungszeiträumen 2005 und 2006 als negative Einnahmen behandelt werden sollten. Den nicht mehr bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern wollte sie auf Wunsch eine Bescheinigung über die zu Unrecht versteuerten Nachteilsausgleichszahlungen ausstellen. Der Erstattungsanspruch, der für die in den Jahren 2002 bis 2005 fälschlicherweise pauschal versteuerten Nachteilsausgleichszahlungen entstanden sei, solle mit entsprechenden Zahlungen im kommenden Anmeldungszeitraum verrechnet werden.

Das Finanzamt erteilte der Klägerin mit Schreiben vom 29.06.2006 die erbetene Anrufungsauskunft. Am 20.09.2006 widerrief das Finanzamt seine Zustimmung zu der von der Klägerin geplanten Vorgehensweise für die Zukunft. Den gegen den Widerruf gerichteten Einspruch der Klägerin verwarf das Finanzamt als unzulässig, weil es sich bei der Anrufungsauskunft nicht um einen Verwaltungsakt handele. Die Klage blieb erfolglos.

Entscheidung

Die Revision ist begründet. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der erteilten Anrufungsauskunft liegen nicht vor.

Sowohl die Anrufungsauskunft (§ 42e EStG) als auch deren Aufhebung stellen Verwaltungsakte i.S. des § 118 Satz 1 der AO dar. Zwar hat der BFH in seiner früheren Rechtsprechung der Anrufungsauskunft nach § 42e EStG lediglich den Charakter einer bloßen Wissenserklärung zuerkannt. Der Senat hat diese Rechtsprechung jedoch mit Urteil vom 30.04.2009 aufgegeben und die Anrufungsauskunft als feststellenden Verwaltungsakt qualifiziert. Dabei ist nach Ansicht des Senats auch unbeachtlich, dass das Finanzamt die Anrufungsauskunft lediglich "grundsätzlich" erklärt hat. Angesichts des Wortlauts von § 42e EStG ("hat auf Anfrage ... Auskunft zu geben, ob und inwieweit im einzelnen Fall die Vorschriften über die Lohnsteuer anzuwenden sind") ist eine Beschränkung der Regelungswirkung entgegen der Auffassung des FG nicht möglich.

§ 42e EStG enthält für die Aufhebung bzw. Änderung einer Anrufungsauskunft keine eigene Korrekturbestimmung. Der Senat sieht darin eine Gesetzeslücke, die durch entsprechende Anwendung des § 207 Abs. 2 AO zu schließen ist. Wenn der Gesetzgeber Steuerpflichtigen aus Gründen der Planungs- und Entscheidungssicherheit Rechtsschutz in Form von Zusagen bereits vor der eigentlichen Steuerfestsetzung gewährt, so darf der Rechtsschutz im Bereich des § 42e EStG für den Arbeitgeber nicht schwächer ausfallen. Die vom Senat damit angesprochene Wertungsgleichheit zwischen der Zusage und der Anrufungsauskunft ist nicht auf die Frage des Rechtsschutzes beschränkt, sondern erfordert auch einen Gleichklang im Bereich der Korrekturmöglichkeiten.

Eine Aufhebungs- oder Änderungsmöglichkeit für die Zukunft bedeutet aber nicht, dass die Behörde grundsätzlich ohne jede weitere Voraussetzung zur Aufhebung oder Änderung befugt ist. Die Vorschrift stellt die Aufhebung oder Änderung des Verwaltungsakts für die Zukunft nicht generell frei; sie macht die Entscheidung vielmehr von sachgerechten Erwägungen der Behörde abhängig. Abzuwägen ist insbesondere, ob das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Einhaltung der verbindlichen Zusage größeres Gewicht hat als der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der die Durchsetzung des "richtigen Rechts" verlangt.

Das Finanzamt hätte entsprechend § 207 Abs. 2 AO eine Ermessensentscheidung treffen müssen. Die dabei angestellten Erwägungen müssten erkennbar sein. Im Streitfall hat das Finanzamt weder im angefochtenen Aufhebungsbescheid noch in der Einspruchsentscheidung den Widerruf begründet und insbesondere keine Abwägung der für und gegen eine Aufhebung sprechenden Umstände vorgenommen. Aus den behördlichen Entscheidungen geht nicht einmal hervor, dass sich das Finanzamt des ihm eingeräumten Ermessens bewusst war. Die in der mündlichen Verhandlung vom Vertreter des Finanzamts geäußerte Erwägung, die Auskunft habe sich als rechtswidrig erwiesen und sei allein deshalb (zu Recht) widerrufen worden, kann nicht mehr berücksichtigt werden. Es handelt sich dabei nicht um eine Ergänzung der Ermessenserwägungen, sondern um deren nicht zulässige Nachholung.

Betroffene Norm

§ 42e EStG
§ 118 AO, § 207 Abs. 2 AO

Vorinstanz

Finanzgericht Düsseldorf, Entscheidung vom 26.11.2008, 4 K 4895/07 AO, EFG 2009, S. 347

Fundstelle

BFH, Urteil vom 02.09.2010, VI R 3/09, BStBl II 2011, S. 233

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 30.04.2009, VI R 54/07, BStBl II 2010, S. 996

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